26.01.2023

Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages

Das Oberlandesgericht Brandenburg hat sich mit Beschluss vom 15. Juni 2022 (Az. 9 UF 221/21) mit der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages befasst, insbesondere im Hinblick auf den ehevertraglichen Ausschluss des Versorgungsausgleichs.

Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages
Das OLG Brandenburg hat sich mit der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages befasst, insbesondere auf den ehevertraglichen Ausschluss des Versorgungsausgleichs (credit:adobestock)

Der Fall der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages in Kürze:

Die Eheleute hatten im März 1992 einen notariellen Ehevertrag geschlossen. In diesem hatten sie Gütertrennung vereinbart, wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt verzichtet und den Versorgungsausgleich (d. h. die Aufteilung der Rentenanrechte im Falle der Ehescheidung) ausgeschlossen. Anschließend haben sie im April 1992 geheiratet. Zu diesem Zeitpunkt war der Ehemann bereits seit längerer Zeit als freiberuflicher Schauspieler und Synchronsprecher tätig. Die Ehefrau war 13 Jahre jünger, stammte aus dem Ausland und arbeitete damals als ungelernte Kellnerin mit lediglich geringem Einkommen. Außerdem war die Ehefrau bei Abschluss des Ehevertrages schwanger. Die Tochter der Beteiligten wurde im Jahre 1992 geboren und seitdem von der Ehefrau betreut, die bis zum Jahre 2007 nicht mehr arbeitete.

Auf den Ehescheidungsantrag des Ehemannes hin sprach das Amtsgericht im Oktober 2021 die Ehescheidung der Beteiligten aus und entschied, dass der Versorgungsausgleich aufgrund des formgemäßen ehevertraglichen Ausschlusses nicht durchzuführen sei. Gegen diese Entscheidung legte die Ehefrau Beschwerde ein. Zur Begründung berief sie sich auf die Sittenwidrigkeit des Ehevertrages sowie eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung durch das Amtsgericht.

Die Entscheidung der Sittenwidrigkeit des Ehevertrages:

Das Oberlandesgericht Brandenburg hat den Beschluss des Amtsgerichts wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung verweist das Oberlandesgericht darauf, dass das Amtsgericht seiner Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) nicht ausreichend nachgekommen sei. Denn es habe die nötige Tatsachenaufklärung, die für eine richterliche Kontrolle des Ehevertrages erforderlich gewesen wäre, nicht vorgenommen. Anknüpfungspunkt für diese Beurteilung war insbesondere der Ausschluss des Versorgungsausgleichs, welchen die Eheleute im Ehevertrag vereinbart hatten. Denn eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich muss grundsätzlich einer Inhalts- und Ausübungskontrolle standhalten (§ 8 Versorgungsausgleichsgesetz). Eine solche richterliche Kontrolle, ob durch eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich eine evident einseitige und unzumutbare Lastenverteilung (mit der möglichen Folge der Sittenwidrigkeit der Vereinbarung) entsteht, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durchzuführen, wenn und soweit das Vorbringen der Beteiligten oder die Umstände des Einzelfalles hierzu Veranlassung geben.

Eine nähere Prüfung, ob eine Sittenwidrigkeit des Ehevertrages in Betracht kommt, sei jedenfalls dann erforderlich, wenn sich das Vorliegen einer typischen Fallgruppe für eine Unwirksamkeit einer ehevertraglichen Regelung aufdränge. Dies hat das Oberlandesgericht hier ausdrücklich bejaht: Denn eine solche typische Fallgruppe lag bereits deshalb vor, weil die Ehefrau bei Abschluss des Ehevertrages schwanger war. Zwar begründet eine Schwangerschaft alleine noch keine ungleiche Verhandlungsposition, die stets zur Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages führen würde. Es entspricht jedoch der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine bei Abschluss des Ehevertrages bestehende Schwangerschaft ein Indiz für eine ungleiche Verhandlungsposition ist und es in diesem Fall gerechtfertigt ist, den konkreten Ehevertrag einer verstärkten richterlichen Inhaltskontrolle zu unterziehen. Weitere Anhaltspunkte, die auf eine Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages aufgrund einer Ungleichheit der Verhandlungspositionen hindeuten können, können sich in subjektiver Hinsicht aus der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit ergeben. Im zugrundeliegenden Fall bestand zwischen den Eheleuten in mehrfacher Hinsicht ein Ungleichgewicht: So war die Ehefrau bei Abschluss des Ehevertrages erst 23 Jahre alt und wenige Jahre in Deutschland. Sie war ausländische Staatsangehörige und arbeitete als ungelernte Kellnerin. Der Ehemann hingegen stand zu diesem Zeitpunkt mit fast 37 Jahren bereits längere Zeit im Berufsleben. Das Oberlandesgericht nahm auch an, dass der Ehemann bereits aufgrund seines Alters und beruflichen Werdegangs in finanziellen Angelegenheiten erfahrener als die Ehefrau gewesen sein dürfte. Außerdem erzielte die Ehefrau aus ihrer (ungelernten) Tätigkeit auch nur ein geringes Einkommen. Erschwerend kam hinzu, dass offenbar die Verlängerung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis der Ehefrau anstand.

Vor diesem Hintergrund kam das Oberlandesgericht zu dem Schluss, dass der Ehevertrag einer verstärkten Inhalts- und Ausübungskontrolle zu unterziehen sei, ob er im Einzelfall sittenwidrig ist. Diese Entscheidung konnte das Oberlandesgericht jedoch nicht selbst treffen, da noch zu viele Einzelfallumstände ungeklärt seien. Das Amtsgericht hat daher nun die umfassenden Einkommens-, Vermögens- und persönlichen Verhältnissen beider Eheleute aufzuklären. Außerdem müssen die Auskünfte der Versorgungsträger zum Versorgungsausgleich eingeholt werden, damit eine Gesamtbilanz erstellt und anhand dessen beurteilt werden kann, ob der Ehevertrag einen Ehegatten einseitig benachteiligt. Da sich eine Sittenwidrigkeit des Ehevertrages unter Umständen erst im Rahmen einer Gesamtwürdigung ergeben kann, ist der im Ehevertrag vereinbarte Ausschluss des Versorgungsausgleichs auch nicht lediglich isoliert zu prüfen, sondern die Regelungen im Ehevertrag sind in ihrer Gesamtheit zu überprüfen.

Fazit:

Dem Oberlandesgericht ist zuzustimmen, dass es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung zwecks vertiefter Prüfung bedarf, ob der konkrete Ehevertrag einer Inhalts- und Ausübungskontrolle standhält oder ob er sittenwidrig und damit unwirksam ist. Dies drängt sich angesichts der vielen Indizien geradezu auf, die bereits für sich genommen, insbesondere aber in ihrer Kombination, für eine ungleiche Verhandlungsposition der Beteiligten bereits bei Abschluss des Ehevertrages sprechen (z.B. Schwangerschaft, Beteiligung eines ausländischen Ehegatten, finanzielles Ungleichgewicht, etc.).

Darüber hinaus verdeutlicht die Entscheidung, wie wichtig eine umfassende Berücksichtigung der konkreten Lebensumstände der Eheleute ist, die idealerweise bereits vor dem Abschluss eines Ehevertrages stattfinden sollte. Fließen die konkreten Lebensumstände und beiderseitigen Interessen von Anfang an ausgewogen und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in die Vertragsgestaltung ein, können spätere Auseinandersetzungen im Rahmen einer Ehescheidung über die (Un-)Wirksamkeit eines Ehevertrages unter Umständen bereits vorsorgend vermieden werden.

Autorin: Sarah Schreinemachers

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Sarah Schreinemachers
  • Rechtsanwältin

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