08.03.2023 -
Die Verpflichtungen, einen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, sind sehr hoch. (credit:adobestock)

Sind Arbeitnehmer dauerhaft nicht mehr in der Lage, ihre vertragliche Arbeitsleistung aus krankheitsbedingten Gründen zu erbringen, haben sie grundsätzlich einen Anspruch auf sogenannte leidensgerechte Beschäftigung. Der Arbeitgeber muss dann prüfen, ob eine andere Beschäftigung möglich und umsetzbar ist. Sind Mitarbeiter als schwerbehinderte Menschen anerkannt, ist diese Pflicht sogar nach dem SGB IX noch gesteigert. Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einem aktuellen Urteil dazu entschieden, dass regelmäßig kein Anspruch besteht, eine leidensgerechte Beschäftigung im Homeoffice zu ermöglichen (LAG Köln v. 12.1.2022 – 3 Sa 540/21). Wir möchten die Kernaussagen dieser wichtigen Entscheidung hier für die Praxis darstellen.

Der Fall:

Der beklagte Arbeitgeber betreibt eine Augenklinik sowie 12 weitere medizinische Versorgungscentren. Die Klägerin ist dort als medizinische Fachangestellte mit 30 Wochenstunden beschäftigt. Arbeitsvertraglich ist ein bestimmter Einsatzort vereinbart.

Die Klägerin ist 35 Jahre alt und leidet an Multipler Sklerose. Als Folge dieser Erkrankung hat sie einen Grad der Behinderung von 50. Im Zeitraum vom 15. Januar 2020 bis zum 9. Februar 2021 war sie arbeitsunfähig erkrankt.

Nach ihrer Rückkehr wurde ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt. Der Inhalt des BEM-Gespräches ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls wurde in dem Gespräch eine Tätigkeit im Homeoffice thematisiert.

Mit ihrer im März 2021 beim Arbeitsgericht Siegburg eingegangenen Klage begehrt die Klägerin eine Beschäftigung im Homeoffice. Sie beruft sich auf eine verbindliche Vereinbarung im BEM-Gespräch und vor allem auf die Pflicht der Beklagten, ihr einen leidensgerechten Arbeitsplatz im Homeoffice zur Verfügung stellen zu müssen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das LAG den Anspruch ebenfalls abgelehnt und die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Keine Vereinbarung

Zunächst hat das LAG geprüft, ob in dem BEM-Gespräch eine verbindliche Vereinbarung über eine Änderung des Arbeitsplatzes getroffen worden ist. Eine solche Vereinbarung fordert eine Vertragsänderung. An einer solchen verbindlichen Zusage des Arbeitgebers und einer rechtswirksamen Vereinbarung fehlte es aber erkennbar. Zwar wurde das Thema einer künftigen Tätigkeit im Homeoffice zwischen den Parteien besprochen. Es kam aber gerade nicht zu einer klaren und eindeutigen Vertragsänderung.

Hinweis für die Praxis:

Im Rahmen von BEM-Gesprächen sind solche Vereinbarungen natürlich zulässig. Allerdings sind dann auch beide Parteien für die Zukunft an eine entsprechende Vertragsänderung gebunden. Daher sollte man sich genau überlegen, welche Personen am BEM-Gespräch teilnehmen und welche Kompetenzen ihnen für Vertragsänderungen eingeräumt werden.

II. Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung im Homeoffice?

Sind Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage, ihre vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen, beinhaltet dies nicht zugleich das Recht des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Vielmehr muss der Arbeitgeber auf Basis der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht, die in § 241 Abs. 2 BGB einen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, eine leidensgerechte Weiterbeschäftigung auf einen anderen Arbeitsplatz prüfen. Dies führt in vielen Fällen zu Streit über die Reichweite dieser Prüfungspflicht.

Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass im Rahmen des bestehenden Direktionsrechtes der Arbeitgeber den Einsatz auf einen leidensgerechten anderen Arbeitsplatz, der auch im Wege des Direktionsrechtes zugewiesen werden könnte, prüfen muss. Keine Pflicht besteht generell dazu, einen Arbeitsplatz für den erkrankten Mitarbeiter frei zu kündigen oder einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen.

III. Keine Pflicht zur vertragsfremden Beschäftigung

Der Arbeitgeber hat schließlich insbesondere keine Verpflichtung, den Arbeitnehmer vertragsfremd zu beschäftigen. Allerdings kann der Arbeitgeber im Rahmen der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht gehalten sein, dem Wunsch des Arbeitnehmers nach einer Vertragsanpassung nachzukommen, insbesondere, wenn anderenfalls ein dauerhaftes Unvermögen des Arbeitnehmers droht, seine Arbeitsleistung noch erbringen zu können.

Im vorliegenden Fall bestand keine Verpflichtung, die Arbeitnehmerin im Homeoffice weiter zu beschäftigen. Das LAG hat klargestellt, dass es sich dabei um eine vertragsfremde Beschäftigung handelt, die nicht mehr das Berufsbild einer medizinischen Fachangestellten prägt. Zu diesem Berufsbild gehören unter anderem die Arztassistenz, der Patientenempfang sowie die Diagnostik. All diese Tätigkeiten erfordern eine Tätigkeit in der Praxis vor Ort. Bei der begehrten Tätigkeit im Homeoffice würde die Klägerin diese prägenden Tätigkeiten nicht mehr ausüben können.

Hinweis für die Praxis:

Die Klägerin war zusätzlich auch mit einem GdB von 50 anerkannt. Die Pflichten, eine leidensgerechte Beschäftigung zu ermöglich, sind damit nach § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX deutlich erhöht. Auch nach dem SGB IX besteht aber keine Verpflichtung, eine leidensgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, wenn die Erfüllung für den Arbeitgeber nicht mehr zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist (vgl. § 164 Abs. 4 S. 3 SGB IX). Der Arbeitgeber muss zudem keinen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz dauerhaft neu einrichten.

Fazit:

Die Verpflichtungen, einen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, sind sehr hoch. Bei schwerbehinderten Menschen sind sie zusätzlich erhöht. Alle Arbeitgeber müssen alle möglichen Umsetzungsmöglichkeiten im Rahmen des bestehenden Direktionsrechts prüfen und dürfen nicht von vornherein jede andere Beschäftigung ablehnen. Aber: Unzumutbare Aufwendungen, vertragsfremde Beschäftigungen und unverhältnismäßige Aufwendungen müssen nicht erbracht werden. Diese Ablehnungsgründe muss der Arbeitgeber im Beschäftigungsprozess vor dem Arbeitsgericht darlegen und beweisen können.

Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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