23.08.2015 -

Sich zur Behandlung gesetzlicher versicherter Patienten dem engen Pflichtenregime einer vertragsärztlichen Zulassung zu unterstellen, wird bereits im Praxisalltag von vielen Ärzten als Zumutung empfunden. Exponentiell steigt der Unmut, wenn die Aufforderung zur Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst auf den Schreibtisch flattert. Wer setzt sich auch gerne die Nacht über oder am Wochenende in ein Taxi oder eine dafür eingerichtete Notdienstpraxis.

Zu dem Unmut gesellt sich häufig auch das Unbehagen. Im Bereitschaftsdienst muss auch der Orthopäde eine Schmerzsymptomatik im Bauch und der Pulmologe eine tiefe Schnittverletzung versorgen. Besonders die patientenfernen Fachgruppen wie Pathologen oder Labormediziner, aber auch ausschließlich psychotherapeutisch tätige Vertragsärzte fühlen sich offenbar – so lässt ein Blick in die vielfältige Rechtsprechung hierzu vermuten – mit einer notärztlichen Betreuung überfordert.

Der Versuch, der Bereitschaftsdienstpflicht zu entgehen, wird daher häufig auf die fehlende Kompetenz der notfallmäßigen Versorgung durch die langjährige, fachärztliche Spezialisierung begründet. Eine solchen Begründung war und ist jedoch nicht erfolgversprechend, wie das jüngste Urteil des Bundessozialgerichts zeigt.

Der Fall

Ein ausschließlich psychotherapeutisch tätiger Vertragsarzt (im Folgenden: Kläger) hatte sich nach der damalig geltenden Notfalldienstordnung 1994 von der Teilnahme am Notfalldienst befreien lassen. Diese sah einen Ausnahmetatbestand für hochspezialisierte Fachärzte vor, wenn der hausärztliche Anteil der Patienten unter 20% liege – diese Voraussetzung erfüllte der Kläger.

Die Bereitschaftsdienstordnung wurde zum 01.07.2007 geändert und der Kläger von der dafür zuständigen KV nun wieder zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst verpflichtet. Allerdings sollte der Kläger erst ein Jahr nach der Erteilung des Bescheids wieder verpflichtet werden, damit der Kläger in dieser Zeit sich für die Teilnahme an dem Bereitschaftsdienst fortbilden könne.

Diesen Bescheid focht der Kläger an. In seiner Begründung wies er unter anderem darauf hin, dass er aufgrund seiner ausschließlichen psychotherapeutischen Tätigkeit nicht mehr die fachliche Kompetenz für den Bereitschaftsdienst besitze und diese auch nicht innerhalb der von der KV eingeräumten einjährigen Karenzzeit erlangen könne.

Die Entscheidung

Nachdem die Klage bereits in den Vorinstanzen erfolglos blieb, wies auch das BSG die Revision im Wesentlichen zurück. Lediglich die einjährige Karenzzeit wurde auf den 01.10.2016 – also ein Jahr nach dem nun ergangenen Urteil – erweitert.

Das Bundessozialgericht bestätigt zunächst seine bisherige Rechtsprechung. Auch einen Vertragsarzt für psychotherapeutische Medizin träfe die Verpflichtung zur Mitwirkung am Bereitschaftsdienst, wie dies auch für jeden anderen Vertragsarzt gelten würde. Daran würde auch nicht die lange Entbindung von der Teilnahmeverpflichtung etwas ändern. Allerdings attestierte dem Kläger das BSG, dass er zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund der langen Zeit der Entbindung von der Teilnahmepflicht tatsächlich nicht mehr über die Kompetenz zur notfallmäßigen Versorgung verfüge (das LSG hatte in seiner Entscheidung auf diesen Vortrag des Klägers noch etwas süffisant den Schluss gezogen, dass bei Zutreffen dieser Behauptung wohl auch die Voraussetzung der Approbation nicht mehr vorlägen). Dies würde allerdings die Pflicht zur Finanzierung eines Vertreters nicht ausschließen!

Dem Vertragsarzt sei es aber – und dies ist die eigentliche Kernfrage der Entscheidung – zuzumuten, sich innerhalb eines Jahres die notwendige Kompetenz wieder anzueignen. Hierfür seien ausreichende Fortbildungsangebote vorhanden, die der Vertragsarzt wahrzunehmen habe. Das BSG folgte dabei einer von dem Kläger vorgelegten Stellungnahme der Ärztekammer Hannover ausdrücklich nicht. Diese hatte dafür einen wesentlich längeren  Zeitraum für erforderlich erachtet. Ein weiteres, vom Kläger vorgelegtes Privatgutachten eines Universitätsklinikums sah sogar eine zweijährige nahezu vollzeitige Tätigkeit im ambulanten und stationären Bereich vor, um diese Kompetenz erneut zu erwerben.

Das Urteil liegt bislang nur als Pressemitteilung vor. Die genaue Begründung und die damit erforderliche Auseinandersetzung an die medizinischen Anforderungen des Bereitschaftsdienstes bleibt abzuwarten.

Das BSG fügte seiner Entscheidung dann noch den Hinweis an, dass bei einer Verletzung dieser Verpflichtung, der Vertragsarzt zwar weiter vorübergehend ungeeignet für die Teilnahme am Bereitschaftsdienst bleibe, in diesem Fall jedoch disziplinarische Maßnahmen in Betracht zu ziehen seien.

Fazit

Die ständige Rechtsprechung wird bestätigt. Jeder Vertragsarzt unabhängig seines fachlichen Ausrichtung ist zur Teilnahme verpflichtet. Wer nicht aufgrund einer der wenigen Ausnahmen von der Teilnahme entbunden ist, muss sich bereits nach der Berufsordnung für Ärzte in den zur Berufsausübung erforderlichen fachlichen Kenntnissen fortbilden, § 4 M-BO.

Die jetzige Entscheidung zeigt aber, dass selbst der zu führende Nachweis, der Vertragsarzt verfüge tatsächlich nicht mehr über die erforderliche Kompetenz, nicht zum Ziel führt. Die Kernfrage, ob eine entsprechende Fortbildung innerhalb eines Jahres zur Wiedererlangung der erforderlichen Kenntnisse ausreicht ist im wesentlichen eine medizinische Frage. Das Bundessozialgericht – in solchen Fällen immer auch mit Ärzten als ehrenamtliche Richter besetzt – hat dies nun so festgestellt.

Letztlich ist damit dem Arzt ein weiteres Argument genommen – so selten es ohnehin vorher zum Erfolg verhalf. Nur wer tasächlich körperlich so eingeschränkt ist, dass eine Teilnahme unzumutbar ist und dessen Praxis so wenig Gewinn abwirft, dass eine finanzielle Beteiligung außer Verhältnisse stände, kann auf eine Entbindung von der Teilnahmepflicht hoffen.

 

 

 

 

 

 

 

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