21.03.2017 -

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) können Befristungen nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam sein mit der Folge, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entsteht. Unter welchen Umständen eine Missbrauchsprüfung veranlasst ist, haben die Erfurter Richter bisher nur näherungsweise und abhängig vom konkreten Einzelfall ausgeführt. In seiner nun veröffentlichen Entscheidung vom 26. Oktober 2016 (7 AZR 135/15) hat das BAG erstmals konkrete Grenzen benannt, bei deren Überschreitung eine Missbrauchskontrolle angezeigt bzw. ein Rechtsmissbrauch sogar indiziert ist.

Der Fall (verkürzt):

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Befristungsabrede. Der Kläger war von Oktober 2007 bis Februar 2014 auf der Grundlage eines insgesamt 15-mal verlängerten befristeten Arbeitsvertrages an einem städtischen Gymnasium als Vertretungslehrer im Fach Sport beschäftigt. Die Befristungen wurden jeweils auf die Vertretung verschiedener erkrankter oder in Elternzeit bzw. Mutterschutz befindlicher Lehrer gestützt. Der Kläger war der Ansicht, dass die letzte Befristungsvereinbarung unwirksam sei. Er machte geltend, dass für die Befristung schon kein Sachgrund vorliege, sie aber jedenfalls nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam sei. Der Kläger begehrte die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Befristungsabrede nicht beendet wurde.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht die Berufung zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Die Revision des beklagten Landes war hingegen erfolgreich. Das BAG hat die Klage zurückgewiesen und die Befristung für wirksam gehalten.

I. Sachgrund: Vertretung

Das BAG stellte zunächst – insoweit noch übereinstimmend mit dem LAG – fest, dass ein Sachgrund gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG in Form des vorübergehenden Vertretungsbedarfs, konkretisiert durch § 21 Abs. 1 BEEG, vorlag. Zwar vertrat der Kläger die abwesenden Lehrerinnen nicht direkt, sondern nur mittelbar. Dem beklagten Land war es aber gelungen, die Vertretungskette aufzuzeigen und den nur vorübergehenden Beschäftigungsbedarf darzulegen. Der Kläger übernahm danach den Sportunterricht anderer Lehrer, die wiederum die abwesende Lehrerin direkt vertraten.

II. Kein institutioneller Rechtsmissbrauch

Auf diesen Sachgrund konnte sich nach Ansicht des BAG das beklagte Land auch berufen, da die Voraussetzungen des institutionellen Rechtsmissbrauchs nicht vorlagen.

Zwar dürfen sich die Gerichte bei der Befristungskontrolle grundsätzlich nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen, um in Wirklichkeit einen ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarf zu decken. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist eine Missbrauchsprüfung allerdings nur notwendig, wenn die äußeren Umstände der Beschäftigung Veranlassung dazu bieten. Dafür sind die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen von besonderer Bedeutung. Nachdem das BAG bisher nur grobe Orientierungshilfen gegeben hatte, wo die zeitlichen bzw. zahlenmäßigen Grenzen genau liegen, legte es nunmehr konkrete Richtwerte fest.

Danach ist eine umfassende gerichtliche Kontrolle nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs regelmäßig geboten, wenn die Gesamtdauer der befristeten Arbeitsverhältnisse acht Jahre überschreitet oder mehr als zwölf Verlängerungen vereinbart wurden bzw. wenn die Gesamtdauer sechs Jahre überschreitet und mehr als neun Verlängerungen vereinbart wurden. In diesen Fällen hängt es von weiteren, durch den Kläger vorzutragenden Umständen ab, ob tatsächlich Rechtsmissbrauch anzunehmen ist.

Von einem indizierten Rechtsmissbrauch ist auszugehen, wenn die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses zehn Jahre überschreitet oder mehr als 15 Verlängerungen vereinbart wurden bzw. wenn die Gesamtdauer acht Jahre überschreitet und mehr als zwölf Verlängerungen vereinbart wurden. Werden diese Grenzen überschritten, so obliegt es dem Arbeitgeber, den Rechtsmissbrauch durch die Angabe besonderer Umstände zu entkräften.

Unter Anwendung dieser Umstände war zwar eine umfassende Missbrauchskontrolle veranlasst, hinreichende weitere Gesichtspunkte, die zu der Annahme eines Rechtmissbrauchs führten, konnte der Kläger allerdings nicht vorbringen. Die Befristung war damit wirksam, die Klage abzuweisen.

Fazit:

Werden Arbeitnehmer über sehr lange Zeiträume befristet beschäftigt, kann dies nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs im Einzelfall zur Unwirksamkeit der Befristung führen, selbst wenn ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG vorliegt. Unter welchen Umständen eine Missbrauchskontrolle veranlasst oder die Annahme einer rechtmissbräuchlichen Gestaltung sogar indiziert ist, hat das BAG nun grundsätzlich festgelegt und damit für weitere Rechtsklarheit gesorgt. Künftige Entscheidungen über die Verlängerung von Befristungen sollten unter Beachtung dieser Grundsätze sorgfältig abgewogen werden.

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