22.01.2004 -

 

Kommt es im laufenden Arbeitsverhältnis zu Vertragsstörungen, haben sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer das Recht, das Arbeitsverhältnis (ggf. fristlos) zu kündigen. Neben diesem Kündigungsrecht besteht aber auch die Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis anzufechten. Die Anfechtung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn schon zum Zeitpunkt der Einstellung der Arbeitnehmer über eine bedeutsame Vertragsvoraussetzung getäuscht hat. In diesen Fällen stellt sich dann für den Arbeitgeber die Frage, ob er das bereits gezahlte Gehalt zurückfordern kann. In einer nun bekannt gewordenen Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht Nürnberg einen solchen Rückforderungsanspruch verneint (Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urt. v. 28.8.2003 – 8 Sa 142/03 -, kann auf der Homepage des LAG Nürnberg www.arbg.bayern.de/lagn/index.htm abgerufen werden).

 

Der Sachverhalt:

 

Der klagende Arbeitnehmer war als Kraftfahrer seit dem 2. April 2002 beschäftigt. Noch innerhalb der Probezeit sprach er eine Eigenkündigung zum 31. August 2002 aus.

 

Während dieser Kündigungsfrist wurde nun dem Arbeitgeber bekannt, dass dem Arbeitnehmer der für eine Ausübung als Kraftfahrer notwendige Führerschein der Klasse 2 fehlte. Bei der Einstellung hatte der Arbeitnehmer vielmehr einen gefälschten Führerschein der Klasse 2 vorgelegt.

 

Der Arbeitgeber teilte deshalb dem Kraftfahrer mit Schreiben vom 9. August 2002 zunächst mit, dass sein Arbeitsverhältnis zum 10. August 2002 ende; eine ausdrückliche Kündigung wurde hingegen nicht ausgesprochen. Im November 2002 wurde dann von Seiten des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis zusätzlich wegen arglistiger Täuschung angefochten.

 

Der Arbeitnehmer hat auf dem Klagewege geltend gemacht, dass das zwischen den Parteien bestehende Beschäftigungsverhältnis durch die von dem Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Der Arbeitgeber hat hingegen im Wege der Widerklage aufgrund der Anfechtung des Arbeitsverhältnisses durch arglistige Täuschung ein Anspruch auf Rückzahlung des überzahlten Lohnes geltend gemacht und insgesamt 1.606,86 € zurückgefordert. Dabei wurde nur der Anteil des bezahlten Lohnes gefordert, den ein Fahrer mit Führerschein der Klasse 2 und 3 gegenüber jemandem ohne diesen Führerschein erhalten hätte.

 

Die Entscheidung des LAG:

 

Das LAG Nürnberg hat die Anfechtung für wirksam erklärt, jedoch nur mit eingeschränkter Wirkung. Einen Rückforderungsanspruch wegen des bereits bezahlten Lohns lehnte das LAG hingegen ab.

 

I. Verhältnis Anfechtung und Kündigung

 

Bei dem Arbeitsvertrag handelt es sich um ein Dauerschuldverhältnis. Dauerschuldverhältnisse können innerhalb der vereinbarten bzw. der gesetzlichen Kündigungsfristen gekündigt werden. Die Kündigung bezieht sich dabei stets auf Störungen, die erst im Laufe des Vertragsverhältnisses aufgetreten sind. Ein ursprünglich intakter Vertrag soll also wegen später eingetretener Umstände wieder beendet werden.

 

Die Anfechtung beruht hingegen auf anderen Gründen. Die Anfechtung bezieht sich auf Willensmängel beim Abschluss des Arbeitsvertrages. Der vorliegende Fall verdeutlicht diesen Unterschied: Hätte der Arbeitgeber gewusst, dass der Arbeitnehmer, der als Kraftfahrer eingestellt werden sollte, tatsächlich keinen Führerschein der Klasse 2 bzw. 3 hat, wäre der Arbeitsvertrag nicht abgeschlossen worden. Nur aufgrund der Täuschung bzw. der Vorlage des gefälschten Führerscheins kam es zum Vertragsschluss. Der Arbeitgeber war daher nach § 123 BGB zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigt.

 

II. Wirkungen der Anfechtung

 

Die Anfechtung bezieht sich also auf Willensmängel bei Vertragsabschluss, so dass auch die Wirkungen einer Anfechtung rückwirkend das Vertragsverhältnis mit rückwirkender Kraft beseitigen, es also von Anfang an als nichtig anzusehen ist (vgl. § 142 BGB).

 

Aber: Im Hinblick auf den Charakter des Arbeitsverhältnisses als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis und insbesondere auch wegen der Schwierigkeit einer Rückabwicklung hat sich aber ebenso wie bei anderen Dauerschuldverhältnissen in Rechtsprechung und Literatur die Meinung durchgesetzt, dass ein bereits in Verzug gesetzter Arbeitsvertrag nicht mit rückwirkender Kraft angefochten werden kann (vgl. BAG, Urt. v. 20.2.1986 – 2 AZR 244/85 -, NZA 1986, 739). Anstelle der rückwirkenden Nichtigkeit wird der Anfechtung damit nur kündigungsähnliche Wirkung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft zugeschrieben.

 

Ausnahmen bestehen nur dann, wenn Rückabwicklungsschwierigkeiten nicht auftreten können und es deshalb nicht gerechtfertigt erscheint, abweichend von § 142 BGB der Anfechtungserklärung nur Wirkung für die Zukunft beizumessen. Dies gilt bspw. dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund krankheitsbedingter Ausfallzeiten keine Arbeitsleistung erbracht hat oder das Arbeitsverhältnis aus sonstigen Gründen außer Funktion gesetzt worden ist.

 

III. Lohnrückforderung grundsätzlich ausgeschlossen

 

Ist damit eine Anfechtung mit rückwirkender Kraft grundsätzlich ausgeschlossen, kann der Arbeitgeber auch nicht bereits überzahlten Lohn zurückverlangen. Bis zum Zeitpunkt der Anfechtungswirkung hat ein Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis bestanden. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitsleistung erbracht und als Gegenleistung den Lohn erhalten.

 

Im vorliegenden Fall war der Arbeitgeber noch nicht einmal berechtigt, den Lohn zu mindern, denn tatsächlich hat er den Arbeitnehmer als Fahrer der Führerscheinklasse 2 (freilich ordnungswidrig) eingesetzt und die entsprechende Leistung entgegengenommen. Zwar ist der Arbeitnehmer nach Ansicht des LAG Nürnberg aufgrund seiner arglistigen Täuschung nicht schutzwürdig. Andererseits wurde die vertraglich geschuldete Leistung in vollem Umfange erbracht. Das LAG lehnte deshalb jegliche Rückforderung für die Vergangenheit ab.

 

Fazit damit:

 

Der Arbeitgeber war zwar zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigt, die Anfechtung wirkte aber nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurück. Damit konnte auch der bereits gezahlte Lohn nicht zurückgefordert werden.

 

Hinweis für die Praxis:

 

Der Entscheidung ist im Grundsatz zuzustimmen. Allerdings weisen wir darauf hin, dass ein Rückforderungsanspruch im Einzelfall dann gegeben sein kann, wenn die Arbeitsleistung für den Arbeitgeber keinerlei Sinn hat. Wer sich bspw. aufgrund bestimmter vorgetäuschter Qualifikationen einstellen lässt, die er dann tatsächlich nicht vorweisen kann, wird im Regelfall eine verwertbare Arbeitskraft nicht mehr erbringen können. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Durchsetzung eines Rückforderungsanspruchs regelmäßig schwierig sein wird, denn die volle Darlegungs- und Beweislast liegt bei dem Arbeitgeber.

 

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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