24.05.2018 -

Die betriebliche Praxis hat sich auf die Notwendigkeit der Durchführung eines BEM eingestellt. Die Rechtsprechung befasst sich dennoch in immer wieder neuen Fallkonstellationen mit der Thematik. In einem aktuellen Urteil hat das Landesarbeitsgericht Hamburg erneut klargestellt, dass schon die fehlerhafte Einladung zu einem BEM-Gespräch zur Unwirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung führen kann, selbst dann, wenn die Krankheitsfehlzeiten sogar ausreichen würden (LAG Hamburg, v. 8.6.2017, 7 Sa 20/17). Die Entscheidung steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die Rechtsprechung ist von großer praktischer Bedeutung und sollte von jedem Arbeitgeber zwingend beachtet werden.


Unter bestimmten Umständen kann schon die fehlerhafte Einladung zu einem BEM-Gespräch zdazu führen, dass eine krankheitsbedingten Kündigung unwirksam ist, stellte das Landesarbeitsgericht Hamburg in einem aktuellen Urteil klar. 

Der Fall:

Der 40-jährige Kläger ist als Koch bei dem beklagten Arbeitgeber seit 2008 beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt beträgt 2.315,00 €. Es besteht ein Personalrat.

Im Jahre 2013 war der Kläger an insgesamt 40 Tagen, im Jahr 2014 an insgesamt 55 Tagen und im Jahre 2015 an insgesamt 184 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 21. April 2015 ist der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Die krankheitsbedingten Fehlzeiten führten zu Entgeltfortzahlungskosten; im Jahre 2013 in Höhe von 3.867,57 €, für das Jahr 2014 in Höhe von 5.256,60 € und 5.126,66 € für das Jahr 2015.

Die Arbeitsunfähigkeitszeiten in den Jahren 2013 und 2014 waren auf Knie- und Rückenbeschwerden zurückzuführen. Seit 2015 traten nach entsprechenden Operationen keine Knie- oder Rückenbeschwerden mehr auf. Die seit dem 21. April 2015 bestehende Arbeitsunfähigkeit beruht auf einer psychischen Erkrankung.

Der Kläger legte zunächst eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, mit welcher ihm eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 2. Februar 2020 bescheinigt wurde. Der Arbeitgeber hörte darauf den Personalrat zu einer beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung an. Während des Anhörungsverfahrens legte der Kläger eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die eine Arbeitsunfähigkeit nur noch bis zum 1. März 2016 bescheinigte. Er wies darauf hin, die Bescheinigung bis 2. Februar 2020 sei falsch ausgestellt worden.

Der Personalrat verweigerte die Kündigung. Der Kläger blieb auch über den 1. März 2016 hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 10. März 2016 bot der Arbeitgeber zusätzlich die Durchführung eines BEM an und bat um Rückmeldung bis zum 1. April 2016. Eine Antwort auf dieses Schreiben erhielt er nicht. Bei dem Arbeitgeber gilt die „Dienstvereinbarung zur Regelung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements“. Ein Gespräch über ein BEM fand auch in der Folgezeit nicht statt.

Mit Spruch vom 2. Mai 2016 ersetzte die Einigungsstelle die Zustimmung des Personalrats zu der ordentlichen Kündigung, die dann im Mai mit Wirkung zum 31. August 2016 ausgesprochen wurde.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage und dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Hamburg die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung

Bei der Überprüfung der sozialen Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist eine dreistufige Prüfung vorzunehmen. Zunächst muss – erste Stufe – im Kündigungszeitpunkt eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegen. Ferner muss – zweite Stufe – eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen sein. Schließlich muss – dritte Stufe – eine Interessenabwägung ergeben, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen.

II. Anforderungen an ein BEM

Im Rahmen der dritten Stufe, der gebotenen Interessenabwägung, darf die Kündigung als letztes Mittel nur ausgesprochen werden, wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Möglichkeiten zu ihrer Vermeidung ausgeschöpft hat. Die nötigen Informationen kann der Arbeitgeber im Rahmen eines BEM-Verfahrens erlangen. Voraussetzung ist daher nach ständiger Rechtsprechung, dass vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ein BEM-Gespräch durchgeführt werden muss.

Zwar stellt die Durchführung des BEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung dar. Dennoch führt ein unterlassenes BEM regelmäßig zur Unwirksamkeit der Kündigung. Nach der ständigen Rechtsprechung hat das Fehlen bzw. das nicht ordnungsgemäß durchgeführte BEM Auswirkungen auf die Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess.

So ist grundsätzlich der klagende Arbeitnehmer für alternative Beschäftigungsmöglichkeiten darlegungspflichtig. Bei unterlassenem BEM ist jedoch der Arbeitgeber zu umfassendem Sachvortrag verpflichtet, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich, eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung des Arbeitsplatzes ausgeschlossen und auch ein Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz nicht möglich ist.

Hinweis für die Praxis:

Durch die Umkehr der Darlegungslast soll nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sichergestellt werden, dass der seinen Verpflichtungen aus § 84 Abs. 2 SGB IX (seit 1. Januar 2018 § 167 Abs. 2 SGB IX) zuwider handelnde Arbeitgeber keinen Vorteil aus dieser Untätigkeit ziehen kann.

III. Umkehr der Darlegungslast

Der Arbeitgeber hat bei unterlassenem bzw. nicht ordnungsgemäß durchgeführtem BEM umfassend und detailliert vorzutragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Warum also ein BEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerliche Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Ist es dagegen denkbar, dass ein BEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau von Fehlzeiten bzw. zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

Hinweis für die Praxis:

Die Umkehr der Darlegungslast fordert dem Arbeitgeber viel ab. Es reicht nicht aus, dass ein Mitarbeiter, selbst bis zum Jahr 2020, arbeitsunfähig krankgeschrieben ist. Das BEM soll nämlich auch dazu dienen, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und abzukürzen. Im Kündigungsschutzprozess müssen daher alle denkbaren Varianten und Alternativen bei einem unterlassenen BEM dem Arbeitsgericht dargelegt werden. Gelingt dies nicht, was regelmäßig der Fall ist, ist die Kündigung schon deshalb unwirksam.

IV. BEM-Angebot muss wirksam sein!

Ein Arbeitgeber muss natürlich ein BEM nicht durchführen, wenn der Arbeitnehmer ein solches Angebot ablehnt. Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitnehmer sich zu dem schriftlichen Angebot nicht geäußert. Allerdings haben beide Instanzen festgestellt, dass dieses Angebot nicht wirksam war. Es fehlten die zwingenden gesetzlichen Anforderungen. Ein nicht ordnungsgemäßes BEM-Anschreiben wirkt sich im Ergebnis wie ein unterlassenes BEM aus!

Der Arbeitgeber muss inhaltlich die Anforderungen des § 84 Abs. 2 SGB IX bzw. § 167 Abs. 2 SGB IX n.F. in seinem BEM-Anschreiben erfüllen. Er muss dabei auf die Ziele des BEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hinweisen. Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf den Gesetzestext hinausgehen. Zu diesen Zielen zählt die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Dem Arbeitnehmer muss ferner verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das er auch Vorschläge einbringen kann.

Daneben ist zwingend ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und der Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes Gespräch durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – also sensible Daten im Sinne von § 3 Abs. 9 BDSG – erhoben und gespeichert und inwieweit für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden.

Hinweis für die Praxis:

Nur bei einer diesen Anforderungen entsprechenden Unterrichtung kann vom Versuch einer ordnungsgemäßen Durchführung eines BEM die Rede sein. Erst wenn dem Arbeitnehmer ein BEM in diesem Sinne ordnungsgemäß angeboten worden ist und er daraufhin seine Teilnahme bzw. Auskünfte zur Art der bestehenden Beeinträchtigung verweigert, kann von der Aussichtslosigkeit des BEM ausgegangen und von seiner Durchführung abgesehen werden.

V. Hinweis auf Betriebs- oder Dienstvereinbarung reicht nicht aus

Schließlich hat das Landesarbeitsgericht Hamburg klargestellt, dass es im Rahmen eines BEM-Anschreibens nicht ausreicht, auf eine geltende Betriebs- oder Dienstvereinbarung zu verweisen. Die Existenz einer Dienstvereinbarung führt nicht zu einer ordnungsgemäßen Einladung zum BEM, denn sie entbindet den Arbeitgeber nicht von ihren gesetzlichen Pflichten. Im Gegenteil: Im Rahmen einer Dienstvereinbarung können dem Arbeitgeber sogar zusätzliche Pflichten für den Inhalt eines BEM-Anschreibens auferlegt werden.

Fazit:

Arbeitgeber sollten im Vorfeld einer krankheitsbedingten Kündigung also nicht nur zwingend auf die Durchführung bzw. Einleitung eines BEM-Verfahrens achten. Besondere Sorgfalt ist auch auf den Inhalt des Einladungsschreibens zu verwenden. Ist das Schreiben unvollständig oder fehlerhaft und entspricht nicht den Anforderungen der Rechtsprechung, führt schon dies allein zu einem unwirksamen BEM mit der Folge der Unwirksamkeit der Kündigung. Der Praxis kann daher nur dringend empfohlen werden, entsprechende Musterschreiben zu überprüfen und den aktuellen Anforderungen anzupassen.

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Auszeichnungen

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