26.06.2018 -

Überall dort, wo Menschen sich begegnen, treffen sie mit ihren eigenen Ideen und Vorstellungen zusammen. Nicht immer führt dies zu einem Kompromiss. In manchen Situationen ist es sogar erforderlich, dass der eine dem Rat des anderen (mehr oder weniger „blind“) folgt. as für zwischenmenschliche Beziehungen gilt, findet nicht selten in Arztpraxen und im Rahmen einer ärztlichen Behandlung seine Entsprechung. Der Patient steht dem Arzt bei der Diagnose und der gewählten Behandlung als Laie gegenüber. Gerade diese Situation begründet ein „Informations- und Wissensgefälle“ zwischen den beiden Beteiligten, dem durch die Rechtsprechung durch verschiedene Instrumente und (teils auch durch den Gesetzgeber wie in §§ 630a BGB) begegnet wird.

So hat sich beispielsweise eine umfangreiche (nicht immer leicht zu durchschauende) Casuistik um die Frage etwaiger Beweiserleichterungen gebildet. Eine Beweiserleichterung soll im Arzthaftungsrecht zugunsten des Patienten u.a. dann eintreten, wenn bspw. durch das Gutachten eines Sachverständigen ein sog. „grober Behandlungsfehler“ durch den behandelnden Arzt festgestellt wurde. Allerdings greift auch diese Beweiserleichterung nicht uneingeschränkt. Dies zeigt ein aktueller Fall des OLG Hamm.


Im Falles eines im nachinein verstorbenen Patienten war bei der Frage nach einem möglichen Behandlungsfehler auch entscheidend, dass der behandelnde Hausarzt mehrfach dokumentiert hatte, dem Verstorbenen eindringlich zur stationären Aufnahme im Krankenhaus geraten zu haben.

Der Fall:

Das OLG Hamm (Urteil vom 02.02.2018, Az. 26 U 72/17) hatte darüber zu entscheiden, ob eine an sich anzunehmende Beweislastumkehr aufgrund eines groben ärztlichen Behandlungsfehlers entfällt, wenn der Patient zuvor einer dringenden ärztlichen Anordnung nicht gefolgt ist und damit eine mögliche Mitursache für den erlittenen Gesundheitsschaden gesetzt hat.

In dem zu entscheidenden Fall forderte die Klägerin als Alleinerbin ihres mit 49 Jahren verstorbenen Ehemannes Schadensersatz (u.a. auch Unterhaltsansprüche) und Schmerzensgeld wegen einer behaupteten fehlerhaften Behandlung des beklagten Hausarztes. Der verstorbene Ehemann hatte sich dem Hausarzt mit Thorax-Schmerzen vorgestellt. Dieser überwies den Ehemann der Klägerin mit der Verdachtsdiagnose „instabile Angina pectoris“ ins Krankenhaus. Nachdem dort am unmittelbar der Einweisung folgenden Wochenende keine weitere Behandlung aus Sicht des Verstorbenen erfolgte, entließ sich dieser selbst.

Es folgten weitere Termine beim beklagten Hausarzt, der den Verstorbenen wiederum mit dringender ärztliche Anordnung und Empfehlung ins Krankenhaus einwies. Der Verstorbene melde sich dort zwar, vereinbarte aber nur kardiologische Untersuchungstermine und lehnte eine sofortige stationäre Aufnahme ausdrücklich ab. Kurze Zeit später verstarb der Ehemann der Klägerin zuhause, bevor der angesetzte Untersuchungstermin stattfinden konnte. Der herbeigerufene Notarzt konnte nur noch „Herzversagen“ als Todesursache feststellen.

Die Entscheidung des OLG Hamm:

Das OLG Hamm hat die Berufung des Beklagten als begründet angesehen. Zwar habe das Landgericht zu Recht einen groben Behandlungsfehler – aufgrund fehlerhafter Anamnese, Dokumentationsversäumnissen, unterlassener Befunderhebung und versäumter ASS-Gabe – zulasten des Beklagten bejaht. Allerdings habe das Landgericht verkannt, dass sich der Verstorbene der dringenden und auch indizierten ärztlichen Behandlung aktiv widersetzt hat. So hat der Verstorbene „in vorwerfbarer Weise durch Missachtung ärztlicher Anordnungen oder Empfehlungen eine mögliche Mitursache für den Gesundheitsschaden gesetzt“ (OLG Hamm, Urt. v. 02.02.2018, Az. 26 U 72/17, Rz. 33 – m.w.N.). Dem Verstorbenen musste also der Vorwurf gemacht werden, sich uneinsichtig über die dringende ärztliche Anweisung hinweggesetzt zu haben. Hierbei spielte insbesondere auch eine Rolle, dass der behandelnde Hausarzt mehrfach dokumentiert hatte, dem Verstorbenen zur stationären Aufnahme im Krankenhaus eindringlich geraten zu haben.

Fazit:

Die von der Rechtsprechung entwickelten Beweislastregeln konnten im vorliegenden Fall nicht uneingeschränkt Anwendung finden. Es kommt somit immer darauf an, wie sich sowohl der Arzt als eben auch der jeweilige Patient im Einzelfall verhalten haben. Eine patientenseitige Missachtung der dringenden ärztlichen Anordnung oder Empfehlung kann zu einem Wegfall von etwaigen Beweiserleichterungen führen. Dies wird insbesondere in den Fällen zu gelten haben, in denen der jeweilige Patient eine selbständige Ursache für die Vereitelung des Heilerfolges setzt (OLG Hamm, Urt. v. 02.02.2018, Az. 26 U 72/17, Rz. 33).

Weiterhin zeigt der Fall anschaulich, dass der Beweiswert der ärztlichen Dokumentation im Arzthaftungsrecht kaum überschätzt werden kann. Gerade die durchgehende und exakte Dokumentation des behandelnden Arztes, insbesondere im Hinblick auf ärztliche Anordnungen und dringende Empfehlungen, ist haftungsrechtlich (§ 630f BGB), aber auch berufsrechtlich dringend geboten.

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Alexander Helle
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