23.04.2019 -

Dauererkrankte Mitarbeiter können im Rahmen einer sogenannten stufenweisen Wiedereingliederung (Hamburger Modell) in das Arbeitsleben wieder eingegliedert werden. Arbeitgeber müssen einer solchen Wiedereingliederung nicht zwingend zustimmen. Anders stellt es sich aber bei schwerbehinderten Menschen nach dem SGB IX dar. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass die Ablehnung eines Antrages auf Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer Schadensersatzpflichten des Arbeitgebers auslöst (Hessisches Landesarbeitsgericht v. 7.8.2017, 7 Sa 232/17).


Arbeitgeber müssen bei langzeiterkrankten Mitarbeitern einer Wiedereingliederung nicht zustimmen. Anders verhält es sich, wenn es sich um einen schwerbehinderten Menschen handelt. (Copyright: Doris_Heinrichs/stock.adobe.com)

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer begehrt Schadensersatz wegen der Ablehnung einer stufenweisen Wiedereingliederungsmaßnahme. Der Arbeitsvertrag besteht bereits seit 1991. Der Kläger ist als technischer Angestellter bei einem Straßenverkehrsamt beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem TVöD. Der Arbeitnehmer ist in die Entgeltgruppe 12 eingruppiert und erhält ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 5.195,97 €.

Es besteht ein Grad der Behinderung von 70. In der Zeit von August 2014 bis zum 6. März 2016 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Aufgrund der krankheitsbedingten Abwesenheit wurde der Kläger dem betriebsärztlichen Dienst zur Beurteilung vorgestellt. Gemäß der Beurteilung der Betriebsärztin vom 12. Oktober 2015 sollte nicht von einem kurzfristigen Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit auszugehen sein.

Nur kurze Zeit später, unter dem 28. Oktober 2015, beantragte der Kläger jedoch unter Vorlage eines Wiedereingliederungsplanes seines Arztes eine stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Der Arbeitgeber hat diesen Antrag abgelehnt.

Unter dem 7. Dezember 2015 hat der Kläger erneut Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben beantragt. Diesmal hat der Arbeitgeber dem Antrag zugestimmt. Nach erfolgreicher Wiedereingliederung wurde die volle Arbeitsfähigkeit des Klägers am 7. März 2016 auf seinen bisherigen Arbeitsplatz wiederhergestellt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte den ersten Wiedereingliederungsplan vom 28. Oktober 2015 zu Unrecht abgelehnt habe. Er hat hierzu behauptet, dass er bei der Anwendung und Durchführung des ersten Wiedereingliederungsplanes bereits am 18. Januar 2016 wieder voll arbeitsfähig gewesen wäre. Daraus hat er zugleich gefolgert, dass ihm ein Schaden wegen des Verdienstausfalls entstanden sei.

Das Arbeitsgericht Frankfurt hat die Zahlungsklage, gerichtet auf den Verdienstausfall in Höhe von 8.486,75 € abzüglich Krankengeld und Arbeitslosengeld abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht den Schadensersatzanspruch zugesprochen.

I. Pflicht zur Gewährung der stufenweisen Wiedereingliederung

Das Landesarbeitsgericht hat in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung zunächst klargestellt, dass aus § 84 Abs. 2 SGB IX (jetzt § 167 Abs. 2 SGB IX) ein Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung folgt. Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung sowohl des Betrieblichen Eingliederungsmanagements als auch der in diesem Zuge als geeignet in Betracht kommenden Maßnahmen, so zieht dies eine Verpflichtung zum Schadensersatz gem. § 280 BGB nach sich.

Hinweis für die Praxis:

Der Schutz von schwerbehinderten Menschen nach dem SGB IX ist sehr hoch. Anträge auf stufenweise Wiedereingliederung können daher bei diesem Personenkreis nicht ohne Rechtsnachteile abgelehnt werden. In Zweifelsfällen ist mit dem behandelnden Arzt des Arbeitnehmers Kontakt aufzunehmen oder aber ergänzend ein Betriebsarzt einzuschalten.

II. Ermittlung des Schadens

Verstöße gegen das SGB IX beinhalten keine unmittelbaren Rechtsfolgen. Gesetzlich ist dazu nichts geregelt. Das Landesarbeitsgericht hat allerdings klargestellt, dass dies nicht zu einer rechtlichen Unverbindlichkeit und Folgenlosigkeit bei Gesetzesverstößen führen kann. Der Arbeitnehmer hat daher Anspruch auf die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert seines Vermögens ohne Eintritt der Ablehnung der Wiedereinsetzungsmaßnahme und dem tatsächlichen Wert seines Vermögens. Dies umfasst dann das Arbeitsentgelt, das der schwerbehinderte Arbeitnehmer bei einer zeitlich früheren Herstellung seiner Arbeitsunfähigkeit verdient hätte.

Im konkreten Fall wäre der Arbeitnehmer zu einem früheren Zeitpunkt wieder voll arbeitsfähig gewesen. Zu ersetzen ist daher der Differenzlohn zwischen der Zeit vom 18. Januar 2016 bis zum 7. März 2016.

Fazit:

Arbeitgeber sollten bei der Rückkehr von langzeiterkrankten Mitarbeitern nicht vorschnell eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben ablehnen. Dies betrifft sowohl Fälle der stufenweisen Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell als auch Fälle, in denen die volle Arbeitsfähigkeit behauptet wird. Bei Ablehnung drohen Schadensersatzansprüche. In Zweifelsfällen sind weitere ärztliche Diagnosen einzuholen. Keinesfalls dürfen sich Arbeitgeber über bestehende ärztliche Atteste, auch wenn sie nicht nachvollziehbar sind, einseitig hinwegsetzen.

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