25.09.2019 -

Öffentliche Arbeitgeber haben besondere Pflichten im Bewerbungsverfahren. So müssen sie schwerbehinderte Arbeitnehmer nach § 165 SGB IX (früher § 82 SGB IX) zu Vorstellungsgesprächen einladen. Ein Verstoß gegen die Einladungspflicht führt zu einem Entschädigungsanspruch nach dem AGG. Wie verhält es sich aber bei rein internen Ausschreibungen? Gelten dann andere Grundsätze oder müssen Arbeitgeber auch bei internen Ausschreibungen schwerbehinderte Beschäftigte zu einem Auswahlgespräch einladen? Mit diesen wichtigen Fragen hat sich das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg befasst und strenge Anforderungen aufgestellt (LAG Berlin-Brandenburg v. 01.11.2018, 21 Sa 643/17).


Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sollten schwerbehinderte Bewerber in jedem Fall persönlich einladen. Dies gilt auch bei internen Stellenausschreibungen. (Copyright: LIGHTFIELD/stock.adobe.com)

Der Fall (verkürzt)

Die Parteien streiten u.a. über Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Der 1958 geborene und als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger ist bei dem beklagten Arbeitgeber bereits seit 1991 beschäftigt. Am 14. Und 28. März 2016 schrieb der Arbeitgeber in zwei internen Stellenanzeigen zwei Stellen als Personalberaterin/Personalberater im „Internen Service“ zum einen in der Agentur für Arbeit Cottbus und zum anderen in der Agentur für Arbeit Berlin-Mitte aus.

Der Kläger bewarb sich auf beide Stellen.

Für die Stelle in Berlin-Mitte fand am 13. Mai 2016 mit dem Kläger ein Auswahlgespräch in Form eines strukturierten Interviews statt. Die Auswahlkommission setzte sich aus dem Geschäftsführer Internen Service Berlin und weiteren Personen zusammen. Die Antworten des Klägers wurden im Gesamtergebnis mit „B“ (bedingt geeignet) und in den Einzelergebnissen teilweise mit „B“ und teilweise nur mit „C“ bewertet. Die Antworten einer anderen Bewerberin wurden insgesamt als mit „A“ (geeignet) bewertet.

Für die Stelle in Cottbus wurde mit dem Kläger in Abstimmung mit der Bezirksschwerbehindertenvertretung kein erneutes Auswahlgespräch geführt. Vielmehr wurde das Ergebnis des für die Stelle in Berlin-Mitte geführten Auswahlgesprächs herangezogen.

Der Arbeitgeber erteilte dann dem Kläger für beide Stellen schriftliche Absagen.

Wegen der Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch für die Stelle in Cottbus machte der Kläger einen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von drei Monatsgehältern à 5.211, 17 Euro geltend, gesamt also 15.633,51 Euro.

Der Anspruch ergebe sich aus § 15 Abs. 1 AGG i.V.m. § 82 S. 1 SGB IX (jetzt § 165 SGB IX), weil er als schwerbehinderter Mensch bei der Besetzung der Stellen diskriminiert worden sei. Der Arbeitgeber hat hingegen die Auffassung vertreten, er sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger zu einem weiteren Auswahlgespräch einzuladen. Zum einen habe es sich um eine rein interne Stellenausschreibung gehandelt. Zum anderen sei der Kläger bereits im ersten Auswahlgespräch bewertet worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 5.200,00 Euro verurteilt.

I. Einladungspflicht schwerbehinderter Arbeitnehmer auch bei internen Ausschreibungen?

Die Frage, ob öffentliche Arbeitgeber verpflichtet sind, schwerbehinderte Beschäftigte auch bei rein internen Ausschreibungen einzuladen und die Vorschrift des § 165 S. 3 SGB IX (früher § 82 S. 2 SGB IX) anzuwenden, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Das Bundesverwaltungsgericht und auch gewichtige Teile der Literatur lehnen eine Einladungspflicht ab. Denn bei der rein internen Stellenausschreibung bestehe gerade keine Meldepflicht für die zu besetzende Arbeitsplätze. Begründet wird dies mit dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang des § 165 S. 3 SGB IX mit § 165 S. 1 SGB IX sowie dem Zweck der Einladungspflicht. Aus der Formulierung „um einen solchen Arbeitsplatz“ werde ein inhaltlicher Bezug zu der in Satz 1 geregelten Meldepflicht hergestellt. Die Gegenmeinung wendet dagegen ein, es handele sich um eine spezifische Schutzbestimmung für Schwerbehinderte. Das Wort „solche“ könne man auch anders lesen. Die zweite Chance, die schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerber durch das Vorstellungsgespräch eröffnet werden sollen, die Stelle nämlich ungeachtet ihrer Behinderung zu erhalten, sei auch bei rein internen Stellenbesetzungen von Bedeutung.

Das Landesarbeitsgericht hat sich der letztgenannten Fassung angeschlossen. Die Vorschrift macht keine Unterscheidung zwischen interner und externer Besetzung. Eine Einladungspflicht besteht für alle zu besetzenden Arbeitsplätze, auch bei rein interner Stellenausschreibung.

II. Sonderfall bei Auswahlgespräch

Das Landesarbeitsgericht hat allerdings einen weiteren Aspekt, der von besonderer Bedeutung ist, für die Einladungspflicht herangezogen. Führt ein öffentlicher Arbeitgeber, wie im vorliegenden Fall, Auswahlgespräche durch, darf er einzelne schwerbehinderte Bewerber nicht davon ausschließen. Schwerbehinderte Bewerber dürfen dann nicht schon nach der Papierlage aussortiert werden. Vielmehr müssen sie, wenn sie nicht offensichtlich ungeeignet sind, in jedem Fall die Chance erhalten, einen öffentlichen Arbeitgeber in einem persönlichen Gespräch von sich zu überzeugen. Das Bedürfnis, schwerbehinderte Menschen gegenüber nichtschwerbehinderten Bewerbern besserzustellen, um ihnen gleiche Bewerbungschancen einzuräumen, besteht nicht nur bei Stellen, die externen Bewerbern offenstehen, sondern auch bei ausschließlich intern zu besetzenden Stellen.

Im vorliegenden Fall wurde der schwerbehinderte Bewerber nur für ein Auswahlgespräch, nämlich für die Stelle in Berlin-Mitte, eingeladen. Bewirbt sich aber ein schwerbehinderter Mensch auf mehrere Stellen mit identischem Anforderungsprofil, muss er auch zu allen Stellen eingeladen werden. Eine erneute Einladung ist nur dann entbehrlich, wenn die Auswahl aufgrund eines identischen Auswahlverfahrens erfolgt. Dann muss die Auswahlkommission personenidentisch sein und zwischen den jeweiligen Auswahlentscheidungen dürfen nur wenige Wochen liegen.

Hinweis für die Praxis:

Dies war hier aber nicht gewährleistet. Der Geschäftsführer für die zu besetzende Stelle in Cottbus war bei dem Auswahlgespräch für Berlin-Mitte nicht anwesend. Damit konnte er sich keinen persönlichen Eindruck von dem Kläger verschaffen. Dieses Defizit vermochten auch die übrigen Mitglieder der identischen Auswahlkommission nicht auszugleichen. Ein persönlicher Eindruck ist nicht mit einem Eindruck vom Hörensagen gleichzusetzen. Zum anderen sind Eindrücke schon von ihrer Natur her subjektiver Art und vielfältigen Einflüssen unterlegen.

Fazit:

Das Landesarbeitsgericht hat hier einen Entschädigungsanspruch in Höhe von etwa einem Bruttomonatsgehalt festgesetzt. Der Arbeitgeber hatte zwar bei zwei identischen Stellen den schwerbehinderten Bewerber zu einem Auswahlgespräch eingeladen, aber eben nur bezogen auf die erste Stelle. Das identische Stellenprofil änderte nichts an der Pflicht zur Einladung zu einem weiteren Auswahlgespräch auf die andere Stelle. Eine Ausnahme zu einer solchen Einladungspflicht im öffentlichen Dienst kommt nur dann in Betracht, wenn Auswahlverfahren und Auswahlkommission vollständig personenidentisch sind. In Teilen widerspricht die Entscheidung zwar der höherrangigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Den hier konkreten Fall hatte das Bundesverwaltungsgericht so aber auch noch nicht zu entscheiden. In Zweifelsfällen ist daher Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes dringend zu empfehlen, schwerbehinderte Bewerber in jedem Fall persönlich einzuladen. Dies gilt auch bei internen Stellenausschreibungen, um Rechtsnachteile und insbesondere Entschädigungsansprüche zu vermeiden.

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