28.07.2020 -

In vielen Fällen nehmen langjährig freigestellte Betriebsratsmitglieder nicht mehr an der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung in Unternehmen und Betrieben teil. Sie bewerben sich nicht auf freie Stellen, da sie vollständig von der Arbeitsleistung freigestellt sind. Der Arbeitgeber berücksichtigt sie daher auch nicht bei der Besetzung von Beförderungsstellen. Dies kann zu einer Ungleichbehandlung führen. Der Gesetzgeber hat daher in § 37 Abs. 4 BetrVG eine spezielle Schutzregelung vorgesehen. Die Vorschrift ist allerdings sehr allgemein gehalten und führt in der Praxis immer wieder zu Streit über die Frage, welche betriebsübliche berufliche Entwicklung ein Betriebsrat, wäre er nicht freigestellt gewesen, genommen hätte. Einen solchen Streit hatte nun das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern zu entscheiden (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 17.10.2019, 5 Sa 25/19). Wir möchten die Entscheidung zum Anlass nehmen, die wichtigen Grundsätze der Rechtsprechung darzustellen und auf die Risiken hinzuweisen.


Vergütung von Betriebsratmitgliedern und berufliche Entwicklung (Copyright: contrastwerkstatt/stock.adobe).

Der Fall

Der klagende Arbeitnehmer nimmt den beklagten Arbeitgeber auf Anpassung seiner Vergütung im Wege einer Zahlungsklage in Anspruch. Er ist seit dem Jahre 2007 Mitglied des Betriebsrats und seit 1997 als Werkzeugmaschinenbauer beschäftigt. Er hat eine dreieinhalbjährige Ausbildung zum Werkzeugmechaniker erfolgreich abgeschlossen. Der Arbeitgeber beschäftigt ca. 270 Arbeitnehmer und fertigt Kunststoffsteckverbindungen für die Automobilindustrie. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Anwendung.

Der Kläger ist in die Entgeltgruppe 6 (Hauptstufe) des Entgeltrahmentarifvertrages (ERA) eingruppiert. Er ist der Abteilung Tooling zugeordnet, die mit etwa neun Beschäftigten besetzt ist.

Im August 2013 schrieb der Arbeitgeber in der Abteilung Tooling eine neu geschaffene Stelle des „Supervisor Mechanical Shop“ aus. Es handelte sich um eine Beförderungsstelle in der Entgeltgruppe 7 Zusatzstufe 1. Als Anforderungsprofil war u.a. eine abgeschlossene fachspezifische mindestens dreijährige Berufsausbildung und mehrjährige Berufserfahrung gefordert.

Der Kläger bewarb sich auf diese Stelle nicht. Die Stelle wurde dann mit einem seiner Kollegen aus der Abteilung Tooling besetzt. Dieser Kollege hatte eine höhere Qualifikation als das Betriebsratsmitglied und eine Meisterausbildung.

Der Kläger wurde dann in der Folgezeit zum Vorsitzenden des Betriebsrates gewählt und von seiner beruflichen Tätigkeit vollständig seit 2014 freigestellt.

Ein paar Jahre später im Jahre 2017 beantragte der Kläger eine Höhergruppierung, die der Arbeitgeber ablehnte. Er erhob daraufhin Zahlungsklage und hat die rückständigen Vergütungsdifferenzen seit September 2017 eingeklagt. Er hat dazu die Ansicht vertreten, er sei wie sein Kollege, der die Beförderungsstelle erhalten habe, zu vergüten. Dies sei mittlerweile die Entgeltgruppe 8 und die Lohndifferenz in Höhe von monatlich 940,00 € brutto sei daher nachzuzahlen. Er habe sich im August 2013 bewusst nicht auf die Stelle „Supervisor Mechanical Shop“ beworben, da er bei der anstehenden Betriebsratswahl auf Platz 1 der von der IG Metall gestützten Liste habe kandidieren und nach Möglichkeit den Betriebsratsvorsitz habe übernehmen sollen. Hätte er sich beworben, hätte er bei objektiver Betrachtung die höherwertige Stelle erhalten müssen, da er länger als sein Kollege im Betrieb beschäftigt sei und zudem als einziger Mitarbeiter der Abteilung über die geforderte mindestens dreijährige fachspezifische Berufsausbildung verfüge. Der Kollege habe nur eine zweieinhalbjährige Ausbildung absolviert.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen.

Die Entscheidung

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt. Ein Zahlungsanspruch des Klägers besteht nicht.

I. Entwicklungsschutz von Betriebsräten

Nach § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG, der das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG konkretisiert, darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Dies gilt nach § 37 Abs. 4 S. 2 BetrVG auch für allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers.

Die Vorschrift soll sicherstellen, dass Mitglieder des Betriebsrats weder in wirtschaftlicher noch in beruflicher Hinsicht gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung Nachteile erleiden. Nach dem Zweck der Vorschrift, das Betriebsratsmitglied vor finanziellen Nachteilen wegen der Ausübung der Betriebsratstätigkeit zu schützen, kommt es darauf an, ob die Gehaltsentwicklung des Betriebsratsmitglieds während der Dauer seiner Betriebsratstätigkeit in Relation zu derjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückgeblieben ist.

Vergleichbar i.S.v. § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG sind Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie der Amtsträger und dafür in gleicher Weise wie dieser fachlich und persönlich qualifiziert waren. Üblich ist eine Entwicklung, die vergleichbare Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen haben.

Hinweise für die Praxis

Eine Üblichkeit entsteht aufgrund gleichförmigen Verhaltens des Arbeitgebers und einer von ihm aufgestellten Regel. Dabei muss der Geschehensablauf so typisch sein, dass aufgrund der Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten zumindest in der überwiegenden Anzahl der vergleichbaren Fälle mit der jeweiligen Entwicklung gerechnet werden kann.

II. Keine Vergleichbarkeit

Der Kläger stand zwar lange Zeit auf derselben betrieblichen Hierarchieebene wie sein Kollege. Die berufliche Entwicklung seines Kollegen beruht aber nicht auf einer üblichen Entwicklung, die die Mehrzahl der Werkzeugmechaniker in der Abteilung Tooling in aller Regel durchläuft. Es handelte sich nur um eine einzelne Beförderungsstelle. Damit hatte schon die Mehrheit der Beschäftigten in der Abteilung Tooling keine Chance auf einen Aufstieg in diese Position. Also war die Beförderung kein Regelfall in der Abteilung. Sie beruhte vielmehr auf individuellen Zusatzqualifikationen. Der Kollege des Betriebsrats hatte eine Fortbildung zum geprüften Industriemeister und zum geprüften technischen Betriebswirt erworben. Diese Zusatzqualifikationen hatte das Betriebsratsmitglied nicht.

III. Prüfungskriterien für einen beruflichen Aufstieg

Will ein Amtsträger geltend machen, dass er ohne Ausübung seines Amts oder ohne die Freistellung durch Beförderungen einen beruflichen Aufstieg genommen hätte, hat er hierzu mehrere Möglichkeiten:

1. Hat er sich auf eine bestimmte Stelle beworben, kann er vortragen, dass seine Bewerbung gerade wegen seiner Betriebsratstätigkeit, insbesondere wegen einer Freistellung für die Betriebsratstätigkeit, erfolglos geblieben ist.

2. Hat sich der Amtsträger auf eine bestimmte Stelle tatsächlich nicht beworben, kann und muss er zur Begründung des fiktiven Beförderungsanspruchs darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Betriebsratstätigkeit bzw. der Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ansonsten erfolgreich gewesen wäre.

3. Aber auch wenn eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung danach keinen Erfolg gehabt hätte oder hätte haben müssen, steht dies einem Anspruch nicht zwingend entgegen. Scheitert nämlich eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung an fehlenden aktuellen Fachkenntnissen, kann das Betriebsratsmitglied vortragen, das Fehlen von feststellbarem aktuellen Fachwissen beruhe gerade auf der Betriebsratsfreistellung.

Fazit

Das Gericht hat eine Beförderung bzw. eine berufliche Entwicklung des Betriebsratsmitglieds auf allen denkbaren Prüfungsstufen abgelehnt. Hätte er sich seinerzeit beworben, so wäre die Bewerbung nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht erfolgreich gewesen. Er kann daher eine fiktive Beförderung nicht verlangen. Sein Kollege war durch die höherwertige Meisterausbildung besser qualifiziert. Es handelte sich um eine singuläre Stelle. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nur deshalb nicht über derartige Zusatzqualifikationen verfügte, weil er im Betriebsrat tätig war, lagen nicht vor und wurden von dem Betriebsrat auch nicht behauptet.

Mit der Frage der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung müssen sich viele Unternehmen befassen. Die fiktive berufliche Entwicklung ist nachzuzeichnen. Umgekehrt dürfen Betriebsratsmitglieder aber auch nicht bevorteilt werden. Dies wäre eine unzulässige Begünstigung. Die Anwendung der Vorschrift verlangt daher Fingerspitzengefühl und eine Abwägung der beiderseitigen Interessen. In Zweifelsfällen sollte man sich dazu eine objektive Begutachtung einholen.

Lorbeerkranz

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