05.08.2020 -

Immer wieder kommt es zu Streit über die Frage, innerhalb welchen Zeitraumes eine Kündigung nach erfolgter Zustimmung durch das Integrationsamt ausgesprochen werden muss. Fristen nach dem Sozialgesetzbuch IX sind sehr kurz. Zudem unterscheidet man zwischen einer ordentlichen und einer außerordentlichen Kündigung. Das Landesarbeitsgericht Köln hat sich dazu in einer aktuellen Entscheidung mit einem sehr speziellen Sachverhalt bei der außerordentlichen Kündigung eines ordentlich unkündbaren Mitarbeiters aus krankheitsbedingten Gründen eingehend befassen müssen (LAG Köln v. 5.9.2019, 6 Sa 72/19). Die Entscheidung ist von grundlegender praktischer Bedeutung und soll daher hier besprochen werden.


Kündigung bei Schwerbehinderten und Kündigungserklärungsfrist (Copyright: Roman/adobe.stock)

Der Fall

Der Kläger ist bei dem beklagten Arbeitgeber mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Aus Gründen des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrages ist das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ordentlich nicht kündbar.

Der Arbeitgeber beabsichtigte den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist, die der ordentlichen Höchstkündigungsfrist entspricht. Er hat dazu den Gesamtpersonalrat, die gesamte Schwerbehindertenvertretung und die bei ihr gebildete „Stabsstelle Gleichstellung und Gender Mainstreaming“ angehört. Das Integrationsamt erteilte auf entsprechenden Antrag am 6. Februar 2018, bei dem Arbeitgeber eingegangen am 9. Februar 2018, die Zustimmung zur besagten Kündigung.

Weil der Gesamtpersonalrat zwischenzeitlich die von dem Arbeitgeber begehrte Zustimmung verweigert hatte, tagte die Einigungsstelle mehr als zwei Monate später am 26. April 2018. Das Einigungsstellenverfahren endete durch Spruch, der die Empfehlung zum Gegenstand hatte, die Kündigung möge ausgesprochen werden. Die schriftliche Begründung der Einigungsstelle ist am 8. Mai 2018 bei dem Arbeitgeber eingegangen. Das vorherige Protokoll zu diesem Beschluss ist schon am 4. Mai 2018 eingegangen.

Im Anschluss wurde die Direktorin des Arbeitgebers über die schriftliche Begründung des Einigungsstellenverfahrens mit interner Verfügung vom 9. Mai 2018 mit der Anfrage informiert, ob sie mit der beabsichtigten Kündigung weiterhin einverstanden sei. Dieses Einverständnis erteilte die Direktorin nach nochmaliger Beteiligung diverser Gremien und Ansprechpartner schließlich mit Verfügung vom 17. Mai 2018.

Die streitgegenständliche Kündigung ging dann dem Arbeitnehmer am 18. Mai 2018 zu, also mehr als drei Monate nach Zustimmung des Integrationsamtes, 22 Tage nach Spruch der Einigungsstelle, zehn Tage nach Zustellung der Begründung des Einigungsstellenbeschlusses, neun Tage nach Zusendung des Einigungsstellenspruchs an die Direktorin und einen Tag nach Einverständniserklärung durch diese.

Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Entscheidung 

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet worden ist.

I. Kündigungserklärungsfrist

Das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) sieht in § 171 SGB IX vor, dass nach erteilter Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung der Arbeitgeber die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung erklären kann. Diese Frist war hier erkennbar mit dem Ausspruch der Kündigung erst drei Monate später abgelaufen.

II. Verlängerung der Kündigungserklärungsfrist?

Das Landesarbeitsgericht hat sich dann sehr eingehend mit der Frage befasst, ob die Kündigungserklärungsfrist hier ausnahmsweise verlängert werden durfte, weil der Arbeitgeber verpflichtet war, zuvor ein personalvertretungsrechtliches Einigungsstellenverfahren durchzuführen. Der Anknüpfungspunkt findet sich insoweit in der Spezialregelung des § 174 Abs. 5 SGB IX. Diese für die außerordentliche Kündigung geltende Vorschrift sieht vor, dass eine Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB erfolgen darf, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes geklärt wird.

Die Rechtsprechung gesteht hier der Praxis zu, dass nach erteilter Zustimmung des Integrationsamtes die Frist noch nicht abläuft, wenn der Arbeitgeber zuvor ein Mitbestimmungsverfahren durchführen und abschließen muss. Insoweit wird auf eine spezielle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 2013 verwiesen. Der zuständige Zweite Senat führt in dieser Entscheidung Folgendes aus (BAG v. 26.9.2013, 2 AZR 843/12 zu Rn. 42.):

„Hat der Arbeitgeber binnen der Frist des § 626 Abs. 2 BGB zudem die Zustimmung des Integrationsamtes nach §§ 85, 91 SGB IX beantragt, ist den Anforderungen der § 626 Abs. 2 BGB, § 91 Abs. 5 SGB IX genüge getan, wenn er die Kündigung entweder unverzüglich nach dessen – ggf. fingierter – Zustimmung oder – falls in diesem Zeitpunkt das Mitbestimmungsverfahren noch nicht abgeschlossen war – unverzüglich dann ausspricht, wenn die personalvertretungsrechtlichen Kündigungsvoraussetzungen erfüllt sind (BAG v. 24.11.2011, 2 AZR 429/10).“

Damit hätte im vorliegenden Fall die spätestens einen Monat nach erklärter Zustimmung des Integrationsamtes am 9. März 2018 abgelaufene Monatsfrist des § 171 Abs. 3 SGB IX ausgedehnt werden können bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die „personalvertretungsrechtlichen Kündigungsvoraussetzungen“ erfüllt waren.

III. Kündigungsausspruch muss „unverzüglich“ erfolgen!

Voraussetzung für die entsprechende Anwendung des § 174 Abs. 5 SGB IX ist dabei in allen Fällen, dass im Anschluss an den Abschluss der Mitbestimmungsverfahren die Kündigung unverzüglich ausgesprochen wird. Dies ist hier aber mit dem Ausspruch der Kündigung erst am 17. Mai 2018 und Zugang der Kündigung am 18. Mai 2018 erkennbar nicht geschehen.

Das Mitbestimmungsverfahren endete mit dem empfehlenden Beschluss der Einigungsstelle. Gerechnet ab dem 8. Mai 2018, also ab dem Tag, an dem die Begründung der Einigungsstelle dem Arbeitgeber zugegangen war, ist der Ausspruch der Kündigung erst am 17. Mai 2018 nicht mehr unverzüglich. Ohnehin ist nicht auf den Ausspruch selbst, sondern auf den Zugang abzustellen. Der war sogar erst einen Tag später am 18. Mai 2018. Damit hatte der Abeitgeber bei Ausspruch der Kündigung im Sinne der Definition des Wortes „unverzüglich“ § 174 Abs. 5 SGB IX schuldhaft mit dem Ausspruch der Kündigung gezögert. Alle Fristen für den Ausspruch der Kündigung waren damit abgelaufen.

Hinweis für die Praxis 

Das Verfahren für den Ausspruch von Kündigungen bei entsprechender notwendiger und vorheriger Beteiligung des Integrationsamtes nach den Regelungen des SGB IX ist von engen und verschiedenen Fristen geprägt. Eine genaue Kontrolle und die Überwachung der verschiedenen Fristen, die teilweise auch parallel laufen, ist zwingend erforderlich; andernfalls drohen Rechtsnachteile. Arbeitgeber müssen insbesondere darauf achten, dass bei Ausspruch von außerordentlichen Kündigungen die speziellen Regelungen des § 174 SGB IX beachtet werden (vgl. zu der gesamten Problematik Nicolai Besgen, Schwerbehindertenrecht Arbeitsrechtliche Besonderheiten, 3. Aufl. 2018; 4. Auflage in Vorbereitung).

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • TOP-Wirtschafts­kanzlei für Arbeits­recht
    (FOCUS SPEZIAL 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen
    (WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen
    (WirtschaftsWoche 2023, 2020)

Autor

Bild von Prof. Dr. Nicolai Besgen
Partner
Prof. Dr. Nicolai Besgen
  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sprechblasen

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.

Kontakt aufnehmen