17.09.2021 -

Im Grundsatz werden Mitarbeiter nach Ablauf der Kündigungsfrist, auch wenn sie Kündigungsschutzklage erhoben haben, nicht weiterbeschäftigt. Die Parteien warten zunächst den Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens ab. Geht der Prozess über mehrere Instanzen, kann daher die Verfahrensdauer deutlich länger dauern als die eigentliche Kündigungsfrist. In speziellen Fällen kann für die Dauer des laufenden Rechtsstreits eine sogenannte Prozessbeschäftigung vereinbart werden. Die Prozessbeschäftigung ihrerseits kann allerdings wiederum auf verschiedenen Rechtsgründen beruhen. Sie kann durch freie Willenserklärungen begründet werden oder aber aufgrund eines gesetzlichen Anspruchs. Die Unterscheidung ist von großer Bedeutung, denn das LAG Berlin-Brandenburg hat in einem aktuellen Urteil klargestellt, dass im Falle eines gesetzlichen Anspruchs die Prozessbeschäftigung nicht der Schriftform bedarf, wie sonst bei befristeten Arbeitsverträgen üblich (LAG Berlin-Brandenburg v. 5.3.2020 – 5 Sa 1932/19). Die Entscheidung ist von praktischer Bedeutung und vermeidet unliebsame Folgen im Falle einer Prozessbeschäftigung.


Schriftform für Befristung nicht erforderlich (Copyright: boonchok/adobe.stock).

Der Fall

Der beklagte Arbeitgeber betreibt an den Flughäfen Tegel und Schönefeld Dienstleistungen der Luftsicherheit, u.a. Fluggastkontrollen sowie Reise- und Handgepäckkontrollen. Der Arbeitgeber beschäftigt in diesem Bereich etwa 1.200 Mitarbeiter auf dem Flughafen Tegel und etwa 650 Mitarbeiter auf dem Flughafen Schönefeld.

Die klagende Arbeitnehmerin ist bereits seit 2005 beschäftigt. Ihr obliegt die Kontrolle von Reise- und Handgepäck sowie von Personen unter Verwendung technischer Hilfsmittel. Ihre monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 2.054,00 €.

Der Arbeitgeber hat die krankheitsbedingte Kündigung nach vorheriger Anhörung des zuständigen Spartenbetriebsrats ausgesprochen. Die Kündigung wurde auf seit 2009 angefallene krankheitsbedingte Fehlzeiten, Lohnfortzahlungskosten und in den Jahren 2014 und 2018 durchgeführte Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) gestützt. Der Betriebsrat widersprach am 10. September 20218 der Kündigung und erhob Bedenken hinsichtlich der fehlenden Einleitung von BEM-Verfahren für die Fehlzeiten in den Jahren 2015 bis 2018.

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin krankheitsbedingt und fristgerecht zum 28. Februar 2019. Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unmittelbar an die Beklagte mit Schreiben vom 25. Februar 2019 und führte darin u.a. aus:

„Mit Mitteilung vom 10. September 2018 hat der Spartenbetriebsrat der Kündigung des Arbeitsverhältnisses form- und fristgerecht, sowie mit hinreichender inhaltlicher Begründung gem. § 102 BetrVG widersprochen. Vor dem Hintergrund des ordnungsgemäßen Widerspruchs des Betriebsrats gegen die Kündigung fordern wir Sie hiermit auf, unsere Mandantin gem. § 102 Abs. 5 BetrVG auch nach Ablauf der Kündigungsfrist zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen.“

Mit E-Mail vom Folgetag teilte eine Personalreferentin des Arbeitgebers dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin Folgendes mit:

„Unter Bezugnahme auf Ihre E-Mail vom gestrigen Tag, bestätige ich Ihnen die Prozessbeschäftigung für Frau Alexandra A. bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Vorab ist Frau A. bis zum Kammertermin am 6. März 2019 zum Dienst geplant.“

Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens hat dann die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten hilfsweise den unbefristeten Bestand eines Arbeitsverhältnisses der Parteien aufgrund fehlender Schriftform der Befristungsabrede des Prozessarbeitsverhältnisses geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht hat diesem hilfsweisen Antrag stattgegeben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, zwischen den Parteien sei ein Prozessarbeitsverhältnis zustande gekommen, welches mangels schriftlicher Vereinbarung nicht wirksam befristetet worden sei und daher unbefristet bestehe. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG haben nicht vorgelegen. Der Widerspruch des Betriebsrats sei nicht ordnungsgemäß gewesen.

Die Entscheidung

Im Berufungsverfahren hat das LAG die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und ein Prozessarbeitsverhältnis als wirksam begründet bejaht und damit die Klage insgesamt abgewiesen.

I. Unterscheide Ursache der Prozessbeschäftigung

Zunächst war zu klären, auf welcher Grundlage die Prozessbeschäftigung zu Stande gekommen ist. Die Besonderheit einer Prozessbeschäftigung liegt darin, dass über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus ein Arbeitsvertrag befristet bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens vereinbart wird. Ein Arbeitsverhältnis wird grundsätzlich durch einen Arbeitsvertrag begründet. Im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses ist für die Wirksamkeit dieser Befristung zwingend die Schriftform nach § 14 Abs. 4 TzBfG erforderlich. Wird die Schriftform nicht eingehalten, entsteht ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, § 16 TzBfG.

Bringt aber der Arbeitgeber deutlich zum Ausdruck, dass er gerade keinen rechtsgeschäftlichen Abschluss eines Arbeitsvertrages befristet herbeiführen will, sondern nur eine bestehende Rechtspflicht zur Weiterbeschäftigung annimmt und diese erfüllen will, greifen die vorgenannten Grundsätze nicht. Mit der Weiterbeschäftigung im Rahmen einer Prozessbeschäftigung wird dann gerade nicht eine auf Abschluss eines Arbeitsverhältnisses gerichtete Willenserklärung abgegeben. In einem solchen Fall will der Arbeitgeber nur zum Ausdruck bringen, dass er einen gesetzlichen Anspruch erfüllen möchte.

Hinweis für die Praxis:

Die Unterscheidung ist also von weitreichender Bedeutung. Im einen Fall bedarf es der Schriftform, im anderen nicht. In Zweifelsfällen kann der Praxis aber nur empfohlen werden, jede Prozessbeschäftigung schriftlich zu vereinbaren, um so den Einwand der fehlenden Schriftform auszuschließen.

II. Voraussetzungen des gesetzlichen Anspruchs zwingend?

Das LAG hatte dann weiter zu klären, ob der Widerspruch des Betriebsrats wirksam erklärt worden ist. Man könnte nämlich, so auch die Klägerin, die Ansicht vertreten, der Arbeitgeber kann einen gesetzlichen Anspruch auf Weiterbeschäftigung aus § 102 Abs. 5 BetrVG nur dann wirksam erfüllen, wenn auch die Voraussetzungen eines wirksamen Widerspruchs vorgelegen haben.

Dem hat das LAG aber eine deutliche Absage erteilt. Beide Seiten sind hier offensichtlich davon ausgegangen, der Anspruch aus § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG liege vor. Damit kann den Parteien aber gerade nicht der Wille unterstellt werden, sie wollten zum Zwecke der Weiterbeschäftigung ein aus ihrer Sicht überflüssiges weiteres Arbeitsverhältnis rechtsgeschäftlich schließen. Es kommt auch nicht darauf an, so das LAG, ob die Klägerin die Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG rechtsirrig annahm.

Die Klägerin hat sich auf § 102 BetrVG berufen und die Beklagte hat nach objektivem Empfängerhorizont lediglich eine Erfüllungshandlung in diesem Sinne vorgenommen.

Hinweis für die Praxis:

Es kommt nicht darauf an, ob objektiv die Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gegeben waren oder nicht. Maßgeblich ist der beiderseits geäußerte Bezug auf diese Norm. Einen anderen Inhalt kann man den Parteien nicht unterstellen.

Fazit

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Der Arbeitgeber wollte einen gesetzlichen Anspruch erfüllen, mehr nicht. Ein zusätzlicher rechtsgeschäftlicher Wille kann und konnte ihm daher nicht unterstellt werden. In Zweifelsfällen empfehlen wir aber, eine Prozessbeschäftigung nur ausdrücklich schriftlich zu vereinbaren. Zudem sollte man sich bei der Vereinbarung einer Prozessbeschäftigung immer darüber im Klaren sein, auf welcher Basis die Prozessbeschäftigung erfolgt, freiwillig oder aufgrund eines gesetzlichen Anspruchs. Die Beachtung dieser Grundsätze vermeidet Rechtsnachteile.

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