10.05.2009 -

 

Arbeitnehmer können nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) nicht nur die Reduzierung der Arbeitszeit verlangen. Das TzBfG sieht vielmehr auch einen Anspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit ausdrücklich vor. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun zu entscheiden, ob dieser Anspruch auch den Wechsel auf einen Arbeitsplatz mit einer höherwertigen Tätigkeit beinhaltet (BAG, Urt. v. 16.9.2008 – 9 AZR 781/07, NZA 2008, 1285).

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Die klagende Arbeitnehmerin arbeitete seit 1986 in Drogeriemärkten des beklagten Arbeitgebers. Die Verkaufsstellen werden als so genannte Profitcenter geführt. Die einer Verkaufsstelle zugewiesenen Personalkosten sind von ihrem Umsatz abhängig.

Der Arbeitgeber beschäftigt Verkäuferinnen und Kassiererinnen nur in Teilzeit. Die Verkaufsstellen werden von Verkaufsstellenverwalterinnen geleitet. Diese sind Fachvorgesetzte der dort tätigen Verkäuferinnen und Kassiererinnen. Verkaufsstellenverwalterinnen sind in Vollzeit mit 37,5 Wochenstunden oder in Teilzeit mit mindestens 30 Wochenstunden tätig.

Die Arbeitnehmerin wurde bis Herbst 2004 als Verkaufsstellenverwalterin in Vollzeit beschäftigt. Im Herbst 2004 verlangte sie die Verringerung ihrer Arbeitszeit nach § 8 TzBfG auf 20 Wochenstunden (vorher 37,5 Stunden), um ihre Schwiegermutter zu pflegen. Sie war bereit, als Verkäuferin und Kassiererin zu arbeiten. Ab November 2004 arbeitete sie dann mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden als Verkäuferin und Kassiererin gegen eine Vergütung nach dem einschlägigen Gehaltstarifvertrag von 1.056,60 €.

Ein Jahr später ab Herbst 2005 bemühte sie sich darum, ihre Arbeitszeit zu verlängern und wieder eine Tätigkeit als Verkaufsstellenverwalterin aufzunehmen. Sie bewarb sich fünfmal um Stellen, die mit 30 bis 37,5 Wochenstunden für „Verkaufsstellenverwaltungen“ ausgeschrieben waren. Ausdrücklich bewarb sie sich zuletzt für die ab 1. Januar 2006 zu besetzende Stelle einer „Verkaufsstellenverwaltung“ mit einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden.

Alle fünf Bewerbungen blieben erfolglos. Die für den beklagten Arbeitgeber handelnden Personen besetzten die Stellen endgültig mit anderen Arbeitnehmerinnen.

Für den Zeitraum Januar bis November 2006 erzielte die Arbeitnehmerin ein Gesamteinkommen in Höhe von 15.731,36 € brutto. Für die Tätigkeit als Verkaufsstellenleiterin hätten ihr in einer 35-Stundenwoche Vergütungen von insgesamt 23.872,81 € brutto zugestanden.

Die Klägerin verlangte, den Arbeitgeber zu verurteilen, einer Verlängerung der Arbeitszeit auf 35 Stunden zuzustimmen. Ferner hat sie Schadensersatz für die unterbliebene Verlängerung der Arbeitszeit in der Zeit von November 2005 bis November 2006 in Höhe des Differenzbetrages gefordert. Nachdem der Arbeitgeber ihr seit 1. Dezember 2006 die Stelle einer Verkaufsstellenverwalterin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden übertragen hatte, hat die Klägerin im arbeitsgerichtlichen Prozess nur noch Schadensersatz geltend gemacht. Sie ist der Auffassung, ihr habe ein Anspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit nach § 9 TzBfG zugestanden. Diesen Anspruch habe der Arbeitgeber schuldhaft nicht erfüllt.

Der Arbeitgeber hingegen ist der Ansicht, das Merkmal des entsprechenden Arbeitsplatzes in § 9 TzBfG schließe einen Anspruch auf Übertragung einer höherwertigen Position aus. Der Klägerin habe es frei gestanden, auf der Grundlage von § 8 TzBfG eine Tätigkeit als teilzeitbeschäftigte Verkaufsstellenverwalterin durchzusetzen. Schließlich habe die Bewerbung um die Leitung der Verkaufsstelle jedenfalls aus dringenden betrieblichen Gründen nicht berücksichtigt werden können. Das Personalkostenbudget der Verkaufsstelle wäre mit dem der Klägerin zustehenden Entgelt (nach dem vierten Tätigkeitsjahr) überschritten gewesen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Schadensersatzklage überwiegend stattgegeben.

 

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt und die Revision des Arbeitgebers zurückgewiesen.

 

I. Verlängerungsanspruch nur bei entsprechendem freien Arbeitsplatz

Arbeitgeber haben nach § 9 TzBfG teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, die ihnen den Wunsch nach einer Verlängerung ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt haben, bei der Besetzung eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes bei gleicherEignung bevorzugt zu berücksichtigen. Dem Anspruch können dringende betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen.

Das Erfordernis des „entsprechenden freien Arbeitsplatzes“ ist regelmäßig nur dann gewahrt, wenn die zu besetzende Stelle inhaltlich dem Arbeitsplatz entspricht, auf dem der Arbeitnehmer, der den Verlängerungswunsch angezeigt hat, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit ausübt. Die angestrebte Stelle muss damit vergleichbar sein. Das ist zu bejahen, wenn es sich um gleiche oder zumindest ähnliche Tätigkeiten handelt. Beide Tätigkeiten müssen in der Regel dieselben Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung des Arbeitnehmers stellen. Ein entsprechender Arbeitsplatz liegt im Regelfall vor, wenn der zu besetzende Arbeitsplatz dem vertraglich vereinbarten Tätigkeitsbereich und der dafür notwendigen Eignung und Qualifikation entspricht.

 

Hinweis für die Praxis:

Für die Vergleichbarkeit der beiden Arbeitsplätze besteht ein hinreichender Anhaltspunkt, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die angestrebte Tätigkeit mit Ausnahme des veränderten Arbeitszeitumfangs durch Ausübung seines Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewO zuweisen könnte. Der Arbeitnehmer hat in der Regel keinen Anspruch auf Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit. Im vorliegenden Fall war die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung Verkäuferin und Kassiererin und damit nach ihrem Anforderungsprofil nicht gleichwertig mit der angestrebten Stelle einer Verkaufsstellenverwalterin.

 

II. Ausnahme: Anspruch auf höherwertigen Arbeitsplatz

Obwohl die im Streitfall angestrebte Stelle hierarchisch nicht der von der Klägerin in Teilzeit inne gehabten Position entsprach, war sie dennoch ein „entsprechender Arbeitsplatz“ im Sinne von § 9 TzBfG. Das BAG hat klargestellt, dass die von der Arbeitnehmerin verlangte Verlängerung der Arbeitszeit vor allem die Änderungen rückgängig machen sollte, die erforderlich waren, um den früheren Teilzeitwunsch zu realisieren.

Ein Arbeitgeber, der eine Personalorganisation vorgibt, die Teilzeitarbeit nur auf einer niedrigeren Hierarchiestufe als der bisher eingenommenen zulässt, bindet sich selbst. Die Grenze zwischen den beiden Hierarchieebenen wird für einen späteren Verlängerungswunsch des Arbeitnehmers abweichend vom Regelfall durchlässig. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sein Verlängerungswunsch auch für einen freien Arbeitsplatz berücksichtigt wird, auf dem höherwertige Tätigkeiten zu verrichten sind, wenn das Anforderungsprofil der früher ausgeübten Tätigkeit entspricht.

Dieses Ergebnis entspricht auch Sinn und Zweck des TzBfG. Das TzBfG will den Wechsel von einem Vollzeit- in ein Teilzeitarbeitsverhältnis oder umgekehrt erleichtern. Ziel des Gesetzes ist es daher u.a., Teilzeitarbeit zu fördern. § 9 TzBfG soll der Befürchtung vieler Arbeitnehmer, nach einem Wechsel zur Teilzeitarbeit nicht mehr zur Vollzeitarbeit zurückkehren zu können und so in ihrem beruflichen Aufstieg beeinträchtigt zu werden, entgegenwirken. Die Vorschrift soll also sicherstellen, dass der Arbeitnehmer nicht damit rechnen muss, auf unabsehbare Dauer Teilzeitarbeit leisten zu müssen.

 

Fazit:

Die Ausnahme eines Anspruches auf Verlängerung der Arbeitszeit in einer höherwertigen Funktion besteht nur unter engen Voraussetzungen. Sie verlangt eine organisatorische Vorgabe des Arbeitgebers, die Teilzeitarbeit lediglich auf einer niedrigeren Hierarchiestufe zulässt. Darüber hinaus setzt der Ausnahmetatbestand die früher tatsächlich bewiesene und fortdauernde persönliche und fachliche Eignung des Teilzeitarbeitnehmers voraus. Entgegenstehende dringende betriebliche Gründe, die hier abgelehnt wurden, sind nur ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn sie zwingend und von ganz besonderem Gewicht sind.

 

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