25.07.2010

Mit Urteil vom 22.04.2010 (Az.: V R 9/09) hat der BFH seine bisherige Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers bei einer lediglich mittelbaren Beteiligung der Gesellschafter des Organträgers an dem Schwesternunternehmen und gleichzeitiger Gesellschafteridentität der Mehrheitsgesellschafter aufgegeben.

Nach dem Urteil des BFH vom 22.04.2010 kann eine GmbH nicht mittelbar über mehrere gemeinsame Gesellschafter in eine Schwester-KG eingegliedert sein.

Die umsatzsteuerliche Organschaft

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (= umsatzsteuerliche Organschaft).

Liegt eine Organschaft im umsatzsteuerrechtlichen Sinne vor, so sind die untergeordneten juristischen Personen (Organgesellschaften) ähnlich einem Angestellten des übergeordneten Unternehmens (Organträger) als unselbständig anzusehen. Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes ist damit nur der Organträger.

Die wirtschaftliche Eingliederung

Die wirtschaftliche Eingliederung setzt voraus, dass die Organgesellschaft nach dem Willen des Unternehmers im Rahmen des Gesamtunternehmens, und zwar im engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit diesem, wirtschaftlich tätig ist. Charakteristisch für das Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung ist, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint. Es genügt daher, wenn zwischen der Organgesellschaft und dem Unternehmen des Organträgers ein vernünftiger betriebswirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung, sei es auch in verschiedenen Wirtschaftszweigen, vorhanden ist. Im Rahmen einer Betriebsaufspaltung steht die durch die Betriebsaufspaltung entstandene Kapitalgesellschaft regelmäßig in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Besitzgesellschaft, wenn der überlassene Vermögensgegenstand für die Betriebsgesellschaft von nicht nur geringer Bedeutung ist

Die organisatorische Eingliederung

Voraussetzung der organisatorischen Eingliederung ist, dass der Organträger durch organisatorische Maßnahmen sicherstellt, dass in der Organgesellschaft sein Wille auch tatsächlich ausgeführt wird. Entscheidend ist, dass der Organträger auf die Organgesellschaft tatsächlich und faktisch beherrschenden Einfluss nehmen kann und sichergestellt ist, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organgesellschaft nicht möglich ist

Die finanzielle Eingliederung

Eine finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers liegt  nach Rechtsprechung des BFH vor, wenn der Organträger unmittelbar in einer Weise an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschlüsse durchsetzen kann. Maßgebend ist insoweit die Stimmenmehrheit. Die Mehrheit der Stimmrechte aus Anteilen an der Organgesellschaft muss über 50 % der gesamten Stimmenmehrheit betragen, sofern keine höhere qualifizierte Mehrheit für Beschlüsse in der Organgesellschaft erforderlich ist.

Dies galt nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH auch in dem Fall, in dem der Organträger lediglich mittelbar in einer Weise an der Organgesellschaft beteiligt war, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschlüsse durchsetzen konnte. In diesem Zusammenhang ließ es der BFH genügen, wenn entweder über

  • einen gemeinsamen Gesellschafter, der in GmbH und Personengesellschaft über eine Anteilsmehrheit von jeweils mindestens 95 % verfügt und auch Geschäftsführer der GmbH ist oder
  • zwei Gesellschafter, denen gemeinsam eine Anteilsmehrheit in beiden Gesellschaften zustand

die finanzielle Eingliederung mittelbar über eine nichtunternehmerisch tätige Tochtergesellschaft des Organträgers erfolgte. Die nichtunternehmerisch tätige Tochtergesellschaft wurde dadurch selbst jedoch nicht zum Bestandteil des Organkreises.

Diese Rechtsprechung hat der BFH jetzt aufgegeben.

Der Fall

Die Klägerin war eine Kommanditgesellschaft (KG), die im Streitjahr 2001 ein Grundstück an ihre Komplementärin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), vermietete und dieser entgeltlich Personal und Inventar für die von der GmbH betriebenen Alten- und Pflegeheime zur Verfügung stellte. Neben den Verwaltungsaufgaben erbrachte die Klägerin die Hausmeisterserviceleistungen für die GmbH.

Gesellschafter der Klägerin und der GmbH waren A, B und C zu jeweils ⅓. Die GmbH war zwar Komplementärin der Klägerin, jedoch an der Klägerin nicht kapitalmäßig beteiligt. Geschäftsführer der GmbH war A.

Die Klägerin ging davon aus, dass zwischen ihr und der GmbH eine umsatzsteuerliche Organschaft bestand. Die Leistungen zwischen ihr und der GmbH wurden als umsatzsteuerfrei behandelt, Umsatzsteuererklärungen nicht abgegeben. Das beklagte Finanzamt vertrat die Auffassung, es fehle an der erforderlichen finanziellen Eingliederung und unterwarf die Innenumsätze der Umsatzsteuer.

Die Entscheidung

Der BFH bestätigt die Auffassung des beklagten Finanzamts. Die GmbH sei nicht finanziell in die Klägerin eingegliedert. Eine finanzielle Eingliederung der GmbH über die drei Gesellschafter der Klägerin in die Klägerin reiche nicht aus. Auch komme eine nur partielle Eingliederung der GmbH – für den Bereich des Betriebs der Alten- und Pflegeheime, nicht aber hinsichtlich der Geschäftsführung der Klägerin – nach der Rechtsprechung des Senats nicht in Betracht.

Zur Begründung führt der BFH aus, eine unmittelbare finanzielle Eingliederung der GmbH in die Klägerin läge schon  nicht vor, da die Klägerin nicht Gesellschafterin der GmbH sei. Die Klägerin sei des Weiteren auch nicht über eigene Tochtergesellschaften mittelbar an der GmbH beteiligt.

Eine finanzielle Eingliederung ergebe sich auch nicht daraus, dass die drei Gesellschafter der Klägerin über die Anteilsmehrheit bei der Klägerin sowie bei der GmbH verfügen. Denn die finanzielle Eingliederung könne – in Abkehr zu seiner bisherigen Rechtsprechung − grundsätzlich nicht mittelbar über mehrere Gesellschafter des Organträgers erfolgen, selbst wenn die Mehrheit der Anteile an der GmbH von den Gesellschaftern einer Personengesellschaft gehalten werden und dieselben Gesellschafter, in beiden Gesellschaften, zusammen über die Mehrheit der Anteile oder Stimmrechte verfügen.

Komme es für die finanzielle Eingliederung auf die rechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten an, so müssten diese dem Organträger selbst zustehen. Eine Zurechnung der Durchsetzungsmöglichkeiten aus fremdem Beteiligungsbesitz sei mit diesem Grundsatz nicht vereinbar.

Neben den allgemeinen Rechtsprinzipien der Richtlinie 77/388/EWG sei bei der Auslegung der Eingliederungsvoraussetzungen insbesondere der Grundsatz der Rechtssicherheit zu berücksichtigen. Nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit müssen die Betroffenen bei Regelungen, die sich finanziell belastend auswirken können, in der Lage sein, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen. Die bisherige Rechtsprechung widerspräche allerdings diesem Grundsatz soweit von einer finanziellen Eingliederung zwischen Schwestergesellschaften über gemeinsame Gesellschafter ausgegangen wurde.

Aufgrund der sich aus der Verlagerung der Steuerschuld auf den Organträger ergebenden finanziellen Auswirkungen komme dem Grundsatz der Rechtssicherheit bei der Auslegung der Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft eine besondere Bedeutung zu. Da die Organschaft insbesondere nicht von einem Antrag des Organträgers abhängig sei, müsse der Organträger in der Lage sein, anhand der Eingliederungsvoraussetzungen das Bestehen einer Organschaft rechtssicher feststellen zu können.

Bei einer Beteiligung mehrerer Gesellschafter an zwei Schwestergesellschaften sei nicht rechtssicher bestimmbar, ob und unter welchen Voraussetzungen der Beteiligungsbesitz einer unter Umständen großen unbestimmten Anzahl von Gesellschaftern zusammengerechnet werden kann, um eine finanzielle Eingliederung der einen in die andere Schwestergesellschaft zu begründen. Die bloße Anteilsmehrheit mehrerer Gesellschafter an zwei Schwestergesellschaften reiche hierfür nicht aus, da diese Gesellschafter die ihnen zustehenden Stimmrechte nicht einheitlich ausüben müssten. Auch nur familiäre Beziehungen zwischen mehreren Gesellschaftern seien kein hinreichendes Indiz für eine Zusammenfassung des ihnen zustehenden Beteiligungsbesitzes. Im Übrigen sei auch nicht rechtssicher bestimmbar, unter welchen Voraussetzungen mehrere Gesellschafter gleichgerichtete oder widerstreitende Interessen verfolgen.

Das Fazit

Die Entscheidung des BFH hat für die zukünftige Gestaltung der Beteiligungsverhältnisse im Zusammenhang mit der umsatzsteuerlichen Organschaft erhebliche Bedeutung. Insbesondere die in der Vergangenheit gewählte Gestaltung einer Betriebsaufspaltung über eine lediglich mittelbare Beteiligung der Mehrheitsgesellschafter der Schwesterngesellschaften führt zukünftig nicht mehr zu dem gewünschten Ziel. Eine finanzielle Eingliederung und damit die Umsatzsteuerfreiheit der Innenumsätze der Schwesternunternehmen kann auf diesem Wege nicht mehr herbeigeführt werden.

Nicht zu entscheiden hatte der BFH die Frage, ob an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten ist, wenn zwischen zwei Schwestergesellschaften z.B. ein Beherrschungsvertrag besteht oder zugunsten einer Schwestergesellschaft Stimmbindungsverträge vorliegen. Offenlassen konnte er auch, ob eine Organschaft vorliegt, wenn nur ein Gesellschafter über eine Anteilsmehrheit an GmbH und Personengesellschaft verfügt und zugleich als Gesellschafter für die Personengesellschaft und als Geschäftsführer der GmbH für beide Gesellschaften geschäftsführungsbefugt ist.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2022/2023)

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2017-2021)

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