01.07.2010 -

Der Betriebsrat hat bekanntlich nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ändert. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun in einem aktuellen Beschluss mit der Frage zu befassen, ob Umkleidezeiten zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gehören (BAG, Beschl. v. 10.11.2009 – 1 ABR 54/08). Maßgeblich ist dabei die konkrete Frage, ob das Ankleiden im Betrieb lediglich fremdnützig ist. Die Entscheidung ist für die betriebliche Praxis von grundsätzlicher Bedeutung, da sie die Abgrenzungsmerkmale klar benennt.

Der Fall:

Der Arbeitgeber betreibt bundesweit Einrichtungshäuser. Teil des Marketings ist eine blau-gelbe Farbenkombination, dass auf eine unverwechselbare Assoziation mit dem skandinavischen Ursprungsland des Einrichtungshauses gerichtet ist.

Der antragstellende Betriebsrat ist in einer der Niederlassungen gebildet. Nach einer Gesamtbetriebsvereinbarung sind die Mitarbeiter verpflichtet, die ihnen gestellte Arbeits-, Berufs- bzw. Schutzkleidung zu tragen. Alle Arbeitnehmer erhalten Kleidungsstücke in den Farben „blau/gelb“. Form, Farbe, Schnitt und Material der Kleider sind im Einzelnen festgelegt. Den Arbeitnehmern ist es gestattet, die Firmenkleidung bereits auf dem Weg zur und von der Arbeitsstätte zu tragen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, sich im Betrieb der Arbeitgeberin umzukleiden.

In der konkreten Niederlassung sind des Weiteren in einer Betriebsvereinbarung „Arbeitszeiten“ Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, Lage und Dauer der regelmäßigen wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit sowie die Grundsätze für die Aufstellung der Arbeitseinsatzpläne geregelt. In der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeiterfassungsanlage“ ist die elektronische Erfassung und Buchung der Arbeitszeiten vereinbart. Danach werden die „Kommt-/Geht-Zeiten“ entsprechend der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit“ in näher bestimmten Terminals erfasst.

Der Arbeitgeber ermahnte im März und April 2007 Arbeitnehmer, weil sie erst nach dem Umkleiden das Arbeitszeitende in das Zeiterfassungsgerät eingegeben hatten. Daraufhin leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren ein. Er machte geltend, dass Umkleiden gehöre zur Arbeitszeit und habe daher innerhalb der erfassten „Kommt- und Gehtzeiten“ zu erfolgen. Mit der Anweisung zur zeitlichen Lage der Umkleidezeit habe der Arbeitgeber einseitig Beginn und Ende Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG geändert.

Der Betriebsrat beantragte daher festzustellen, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht zusteht, soweit der Arbeitgeber die Arbeitnehmer anweist, außerhalb ihrer durch Arbeitseinsatzplanung festgelegten Arbeitszeit die von ihr gestellte Firmenkleidung an- und auszuziehen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat im Beschwerdeverfahren den Antrag des Betriebsrats ebenfalls zurückgewiesen.

Die Entscheidung:  

Das Bundesarbeitsgericht hat im Rechtsbeschwerdeverfahren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und dem Betriebsrat Recht gegeben.

I. Begriff der Arbeitszeit

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitzubestimmen über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit. Der Arbeitszeitbegriff in § 87 BetrVG ist nicht deckungsgleich mit dem Begriff der vergütungspflichtigen Arbeitszeit und dem des Arbeitszeitgesetzes oder der Richtlinie 2000/88/EG. Vielmehr bestimmt sich der Arbeitszeitbegriff im BetrVG nach dem Zweck des Mitbestimmungsrechts. Dieser besteht darin, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien und für die Gestaltung ihres Privatlebens nutzbaren Zeit zur Geltung zu bringen.

Dementsprechend betrifft das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG die Lage der Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Arbeitszeit ist deshalb die Zeit, während derer der Arbeitnehmer die von ihm in einem bestimmten zeitlichen Umfang vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich erbringen soll. Eine mitbestimmungspflichtige Änderung der Lage der Arbeitszeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeit außerhalb des festgelegten Zeitraums erbringt oder erbringen soll.

II. Umkleidezeiten

Umkleidezeiten gehören zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, wenn das Umkleiden einem fremden Bedürfnis dient und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfüllt. Das Ankleiden mit vorgeschriebener Dienstkleidung ist nicht lediglich fremdnützig und damit nicht Arbeitszeit, wenn sie zu Hause angelegt und – ohne besonders auffällig zu sein – auch auf dem Weg zur Arbeitsstätte getragen werden kann.

III. Verhalten der Belegschaft?

Im konkreten Fall legte ein Großteil der Belegschaft die Firmenkleidung bereits zu Hause an. Der Arbeitgeber berief sich deshalb darauf, die Firmenkleidung sei schon deshalb nicht besonders auffällig. Dem ist das Bundesarbeitsgericht entgegengetreten. Die besondere Auffälligkeit einer Firmenkleidung im öffentlichen Raum ist objektiv zu bestimmen und hängt nicht vom Verhalten eines Teils der Belegschaft ab.

Das Tragen der einheitlichen Kleidung ist Ausdruck einer bestimmten Firmenkultur des Arbeitgebers und einer darauf gerichteten Identifikation der Beschäftigten. Andererseits dient es vor allem dem Zweck, den Kunden der Einrichtungshäuser das Auffinden und Ansprechen der Mitarbeiter in den weitläufigen Verkaufsräumen und Selbstbedienungslagern zu erleichtern. Die auffällige und markante Farbenkombination „blau/gelb“ wird einheitlich in allen Niederlassungen und Einrichtungshäusern deutschlandweit angewandt. Die Farbgebung ist Teil des Marketings des Unternehmens, das auf eine unverwechselbare Assoziation mit seinem skandinavischen Ursprungsland gerichtet ist. Ein Beschäftigter, der diese Firmenkleidung auf dem Weg von und zur Arbeit trägt, ist im öffentlichen Raum ohne weiteres als solcher des Arbeitgebers identifizierbar und damit auffällig gekleidet.

IV. Subjektive Zumutbarkeit nicht ausschlaggebend

Der besonderen Auffälligkeit steht auch nicht entgegen, dass das Tragen der Firmenkleidung nach Farbe, Form und Schnitt zumutbar ist. Es geht nicht um die subjektive Zumutbarkeit der Merkmale, sondern um die Uniformität der Farbgebung. Der Name des Unternehmens ist mehrfach auf der Kleidung angegeben. An einer damit zwangsläufig verbundenen Offenlegung des Arbeitgebers gegenüber Dritten sowie einer Verbreitung des Bekanntheitsgrades des Unternehmens besteht kein objektiv eigenes Interesse der Arbeitnehmer. Das Tragen der Firmenkleidung auf dem Weg von und zur Arbeit, zu dem auch die Betriebsparteien die Arbeitnehmer wegen des damit verbundenen Eingriffs in die private Lebensführung ohnehin nicht verpflichten könnten, dient allein dem Interesse des Arbeitgebers.

Fazit:

Das Tragen der gestellten Firmenkleidung und damit auch das An- und Ablegen ist allein fremdnützig. Damit zählt auch die Zeit des Umkleidevorgangs im Betrieb zur Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Soweit der Arbeitgeber Mitarbeiter anweist, die Firmenkleidung außerhalb der Arbeitszeiten an- und auszuziehen, ändert er daher einseitig die Lage der Arbeitszeit. Eine solche Änderung unterliegt deshalb gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats.

Hinweis für die Praxis:

Die Entscheidung macht deutlich, dass es sehr detailliert auf das Aussehen der Firmenkleidung und den damit verfolgten Zweck ankommt. Wann Umkleidezeiten zur Arbeitszeit zu rechnen sind, kann pauschal nicht beantwortet werden. Ein sichtbares Firmenlogo spricht aber grundsätzlich für eine fremdnützige Intention. Dies ist bei Firmenkleidung generell üblich, schon um die Erkennbarkeit der Mitarbeiter sicherzustellen. Im Regelfall dürften daher nach dieser Rechtsprechung das An- und Ablegen der Firmenkleidung zur Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu rechnen sein.

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