§ 16 Abs. 2 ErbStG sieht vor, dass der Freibetrag auf die Steuerbemessungsgrundlage bei einer Schenkung, die eine in der Bundesrepublik Deutschland belegene Immobilie umfasst, niedriger ist, wenn Schenker und Schenkungsempfänger ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, als wenn einer von ihnen seinen Wohnsitz im Inland hätte. Kinder erhielten bis 2009 nur 1.100 € statt 205.000 €, und seit 2009 nur 2.000 € statt 400.000 €. Der EuGH sieht darin eine Beschränkung des Kapitalverkehrs (EuGH – Urteil vom 22. April 2010, Rs C-510/08).
Der Fall:
Die Klägerin, eine deutsche Staatsangehörige, die seit mehr als 35 Jahren in den Niederlanden wohnt, erwarb 2007 im Wege der Schenkung von ihrer Mutter, die ebenfalls deutsche Staatsangehörige ist und seit mehr als 50 Jahren in den Niederlanden wohnt, ein in Düsseldorf belegenes bebautes Grundstück mit einem Steuerwert von 255.000 Euro.
Das Finanzamt setzte daraufhin 27.929 € Schenkungsteuer fest. Dabei zog es von dem Steuerwert für das Grundstück einen Freibetrag von 1.100 Euro ab und erhob auf die so ermittelte Bemessungsgrundlage einen Steuersatz von 11%.
Die Klägerin begehrte die Berücksichtigung eines Freibetrags von 205.000 € (seit 2009 400.000 €) begehrt, der für Erwerbe von Kindern vorgesehen ist, wenn der Schenker oder der Erwerber zur Zeit der Ausführung der Schenkung seinen Wohnsitz im Inland hat. Die Steuerlast hätte dann nur 3.500 € und nicht 27.929 € betragen.
Das FG Düsseldorf legte den Fall wegen europarechtlicher Bedenken dem EuGH vor.
Der Entscheidung des EuGH:
Schenkungen mit grenzüberschreitendem Bezug unterfallen der Kapitalverkehrsfreiheit
Art. 56 Abs. 1 EG verbietet ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Wie die Steuer auf Erbschaften fällt die steuerliche Behandlung von Schenkungen unabhängig davon, ob es sich um Geldbeträge, um bewegliche oder um unbewegliche Sachen handelt, unter die Vertragsbestimmungen über den Kapitalverkehr, sofern sie nicht reine Inlandssachverhalte sind.
Für Schenkungen ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass zu den Maßnahmen, die als Beschränkungen des Kapitalverkehrs nach Art. 56 Abs. 1 EG verboten sind, solche gehören, die eine Wertminderung der Schenkung desjenigen bewirken, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig ist, in dem sich die betreffenden Vermögensgegenstände befinden und der die Schenkung besteuert.
Beschränkung des Kapitalverkehrsfreiheit durch unterschiedliche Freibeträge
Da im vorliegenden Fall die im Ausgangsverfahren streitigen innerstaatlichen Bestimmungen vorsehen, dass der Freibetrag auf die Steuerbemessungsgrundlage bei einer Schenkung, die eine in der Bundesrepublik Deutschland belegene Immobilie umfasst, niedriger ist, wenn Schenker und Schenkungsempfänger ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, als wenn einer von ihnen seinen Wohnsitz im Inland hätte, und somit darauf hinauslaufen, dass die erstgenannte Kategorie von Schenkungen einer höheren Schenkungsteuer unterliegt als derjenigen, die im Rahmen der zweitgenannten Kategorie von Schenkungen erhoben wird, bewirken sie eine Beschränkung des Kapitalverkehrs, weil sie den Wert der Schenkung einer Immobilie mindern
Da nämlich diese Bestimmungen die Anwendung eines Freibetrags auf die Steuerbemessungsgrundlage für die betreffende Immobilie vom Wohnsitz des Schenkers und des Schenkungsempfängers zum Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung abhängig machen, stellt die höhere Besteuerung der Schenkung unter Gebietsfremden eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.
Keine Rechtfertigung erkennbar
Eine nationale Steuerregelung wie die im Ausgangsverfahren streitige kann nur dann mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar sein, wenn die unterschiedliche Behandlung Situationen betrifft,
- die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind,
- oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.
Ferner ist die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Kategorien von Schenkungen nur gerechtfertigt, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zum Erreichen des mit dieser Regelung verfolgten Ziels erforderlich ist.
Vergleichbares wird ungleich behandelt
In Bezug auf die Höhe der Schenkungsteuer, die auf die Schenkung einer in Deutschland belegenen Immobilie erhoben wird, kann es keinen objektiven Unterschied geben, der es rechtfertigen würde, die Situation von Personen, von denen keine im Inland wohnt, und die Situation, in der zumindest eine dieser Personen im Inland wohnt, ungleich zu behandeln. Folglich ist die Situation der Klägerin mit der jedes Schenkungsempfängers, der eine in Deutschland belegene Immobilie von einem in Deutschland ansässigen Familienangehörigen erhält, sowie mit der eines dort ansässigen Schenkungsempfängers, der diese Zuwendung von einem dort nicht ansässigen Familienangehörigen empfängt, vergleichbar.
Wenn eine nationale Regelung für die Zwecke der Besteuerung einer im Wege der Schenkung erworbenen Immobilie, die in dem betreffenden Mitgliedstaat belegen ist, gebietsfremde Schenkungsempfänger, die diese Immobilie von einem gebietsfremden Schenker erhalten haben, einerseits und gebietsfremde oder gebietsansässige Schenkungsempfänger, die eine solche Immobilie von einem gebietsansässigen Schenker erhalten haben, sowie gebietsansässige Schenkungsempfänger, die diese Immobilie von einem gebietsfremden Schenker erhalten haben, andererseits auf die gleiche Stufe stellt, kann sie diese Schenkungsempfänger im Rahmen dieser Besteuerung hinsichtlich der Anwendung eines Freibetrags auf die Steuerbemessungsgrundlage für diese Immobilie nicht unterschiedlich behandeln, ohne gegen die Vorgaben des Unionsrechts zu verstoßen.
Indem der nationale Gesetzgeber Schenkungen an diese beiden Personengruppen – außer in Bezug auf die Höhe des Freibetrags, der dem Schenkungsempfänger gegebenenfalls zugutekommt – gleich behandelt, hat er anerkannt, dass zwischen ihnen im Hinblick auf die Modalitäten und die Voraussetzungen für die Erhebung der Schenkungsteuer kein Unterschied in der objektiven Situation besteht, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte.
Fazit
Das instruktive Urteil verdeutlicht einmal mehr, wie lohnend es sein kann, nicht nur erb- und schenkungsteuerliche Vorgänge mit Berührung zum EU-Ausland dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Die Europarechtswidrigkeit lag bei § 16 Abs. 2 ErbStG auf der Hand. Und die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, wie – bisweilen schamlos – europarechtswidrig der Steuergesetzgeber Gesetze erlässt oder evident europarechtswidrige Gesetze belässt, und sei es nur zu Abschreckung für bestimmte Gestaltungsüberlegungen. Das gilt umso mehr im Außensteuerrecht.
Die hilflosen Rechtfertigungsversuche der Finanzverwaltung zu § 16 Abs. 2 ErbStG, die der EuGH im angeführten Urteil vollständig zurückweist, werfen kein allzu gutes Licht auf die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, ein uneingeschränkt europarechtskonformes und diskriminierungsfreies Steuerrecht zu schaffen.
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