Im Zuge fortschreitender Europäisierung spielt das internationale Familienrecht in der anwaltlichen Praxis eine immer größere Rolle. Mehr als jeder zehnte Deutsche heiratet inzwischen ausländische Staatsangehörige.[1] Andere begründen ihren Familienwohnsitz im Ausland. Allein in den Nachbarländern Deutschlands leben mehr als eine halbe Millionen Deutsche.[2] Wird eine solche Ehe mit Auslandsbezug geschieden, hängen die Rechtsfolgen der Scheidung häufig davon ab, in welchem der beteiligten Länder zuerst die Scheidung eingereicht wird.
Der Wettlauf zum Gericht
Zwar existiert in jedem Land ein internationales Privatrecht, das bestimmt, welches Recht Anwendung findet, wenn die Beteiligten aus verschiedenen Staaten stammen – auch das internationale Privatrecht ist jedoch von Land zu Land unterschiedlich und kann jeweils zu verschiedenen Ergebnissen führen. So ist nach deutschem internationalen Privatrecht beispielsweise in erster Linie die Staatsangehörigkeit der Beteiligten maßgeblich, in England dagegen der Wohnsitz. Zwei deutsche Staatsangehörige, die in England leben, würden also nach deutschem Recht geschieden, wenn der Scheidungsantrag in Deutschland eingereicht wird, jedoch nach englischem Recht, wenn er in England eingereicht wird.
Über das anwendbare Recht entscheidet damit faktisch derjenige, der zuerst den Scheidungsantrag stellt. Da die Rechtsfolgen einer Scheidung sich – je nach anwendbarem Recht – ganz erheblich unterscheiden können, beginnt so ein absurder Wettlauf, den derjenige gewinnt, der den besseren und schnelleren Anwalt hat. Selbst wenn bei der Eheschließung die Scheidung bereits mitgedacht und ein Ehevertrag abgeschlossen wird, ist man vor überraschenden Folgen nicht gefeit.
Zur Illustrierung ein Beispiel, das sich so tatsächlich ereignet hat:[3]
Ein im Finanzgeschäft tätiger Franzose (M), der Millioneneinnahmen zu erwarten hatte, ließ sich in London nieder und heiratet dort seine ebenfalls französische Freundin (F). F unterschrieb – ohne anwaltlich beraten zu sein – einen Ehevertrag, in dem sie den Totalverzicht auf jegliche Ansprüche aus der Ehe für den Fall der Scheidung erklärte.
Für den Fall der Scheidung stellte sich die Rechtslage wie folgt dar:
Wird der Scheidungsantrag zunächst bei einem französischen Gericht eingereicht, ist dieses zuständig und wendet nach dem Staatsangehörigkeitsprinzip französisches Recht an. Der Ehevertrag hat Bestand. F erhält nichts.
Wird dagegen zuerst ein englisches Gericht angerufen, wendet das Gericht nach dem Domizilprinzip englisches Recht an. Nach englischem Richterrecht ist aber ein Ehevertrag unwirksam, bei dem nicht beide Parteien rechtlich beraten waren. F erhält Unterhalt und Vermögensausgleich in Millionenhöhe.
Tatsächlich passiert ist Folgendes:
Beide hatten gute Anwälte, die zügig bei dem jeweils günstigeren Gericht (der Anwalt des M in Frankreich, der Anwalt der F in England) Scheidungsantrag einreichten. Tatsächlich gingen die Scheidungsanträge am selben Tag ein. Der Anwalt des M war allerdings noch ein klein wenig besser als derjenige der F, denn er ließ von der französischen Geschäftsstelle auch die Uhrzeit des Eingangs seines Antrags vermerken. Da der englische Kollege nicht nachweisen konnte, dass sein Antrag früher eingegangen war, gewann M den Wettlauf.
Derart zufällige Ergebnisse mit ggf. fatalen Konsequenzen widersprechen jedem Gerechtigkeitsempfinden. Bemühungen um ein einheitliches europäisches internationales Privatrecht sind bisher gescheitert, da sich nicht alle Mitgliedstaaten verpflichten wollten, ggf. ausländisches Privatrecht anzuwenden.[4]
Neuer deutsch-französischer Wahlgüterstand
Umso erfreulicher ist es, dass Deutschland und Frankreich einen Vorstoß auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts wagen und einen deutsch-französischen Wahlgüterstand auf den Weg gebracht haben, der am 13.01.2010 das Bundeskabinett passiert hat und dem sich möglicherweise weitere EU-Staaten anschließen werden. Die Neuregelung, die noch von den Gesetzgebern in Deutschland und in Frankreich beschlossen werden muss, beschränkt sich nicht darauf, verbindlich festzulegen, ob deutsches oder französisches Recht anzuwenden ist, sondern schafft einen eigenständigen Güterstand, der deutsches und französisches Scheidungsrecht verbindet.
Dabei orientiert sich der neue Güterstand grundsätzlich an der deutschen Zugewinngemeinschaft (dem gesetzlichen Güterstand), bei dem die Vermögensmassen der Eheleute während der Ehe getrennt bleiben und am Ende der Ehe der wirtschaftliche Zugewinn ausgeglichen wird. Die deutsche Regelung wird allerdings um verschiedene französische Besonderheiten ergänzt. Namentlich werden Schmerzensgeldzahlungen, die ein Ehepartner während der Ehe erhält, sowie zufällige Wertsteigerungen von Immobilien (z.B. durch Erklärung zum Bauland) beim Zugewinnausgleich nicht berücksichtigt.
Gewählt werden kann der Güterstand, wenn
- deutsche Ehegatten in Frankreich oder französische Ehegatten in Deutschland leben
- deutsch-französische Ehegatten in Frankreich oder in Deutschland leben oder
- ausländische Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt entweder in Deutschland oder in Frankreich haben.
Ein Wettlauf in der oben geschilderten Art ist freilich nur in den ersten beiden Fällen ausgeschlossen, nämlich nur dann, wenn ausschließlich Deutschland und Frankreich beteiligt sind, nicht aber ein weiteres Land.
Hinweise für die Praxis:
Solange das europäische Familienrecht nicht insgesamt harmonisiert ist, kann nur jedem binationalen Ehepaar oder Ehepaaren, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen, dringlich geraten werden, bei einem Anwalt, der auf das internationale Familienrecht spezialisiert ist, fachkundigen Rat einzuholen.
Kommt dieser zu dem Ergebnis, dass im Falle einer Scheidung nicht nur deutsches Recht, sondern auch das Recht des anderen Landes zur Anwendung kommen kann, wenn das entsprechende Gericht angerufen wird, sollte ein Ehevertrag abgeschlossen werden, der die Scheidungsfolgen verbindlich regelt, um zufällige Ergebnisse der oben geschilderten Arzt auszuschließen.
Binationale Eheverträge sollten im besten Fall von Anwälten aus beiden Ländern daraufhin überprüft werden, ob sie im Scheidungsfall vor den jeweiligen Gerichten Bestand haben können.
Liegt kein solcher Ehevertrag vor, wenn die Ehe geschieden werden soll, sollten die Ehepartner unverzüglich einen spezialisierten Anwalt aufsuchen, da – wie das oben genannte Beispiel zeigt – in diesen Fällen buchstäblich jede Minute zählen kann.
[1]Quelle: www.bundesregierung.de
[2]Wirtschaft und Statistik 2009, S. 1159.
[3]Beispiel aus: Mallory Völker, Europäisierung des Familienrechts – Haftungsfalle forum shopping, FF 2009, S. 443 ff.
[4]Siehe Mallory Völker, Europäisierung des Familienrechts – Haftungsfalle forum shopping, FF 2009, S. 449 f.
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