25.11.2009 -

Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) ist bereits am 24.07.2008 in Kraft getreten. Allerdings wird sie gemäß Art. 28 Rom I-VO erst auf solche Verträge angewandt, die nach dem 17. Dezember 2009 geschlossen werden. Für den internationalen Einsatz von Arbeitnehmern wird sie somit in Kürze relevant. Die Richtlinie gilt in den Mitgliedsstaaten der EU, ausgenommen hiervon ist Dänemark, ohne dass es eines nationalen Umsetzungsaktes bedürfte; sie gilt damit unmittelbar. Folgende Grundsätze sind ihr zu entnehmen:

1. Rechtswahl

Die Rom I-VO gilt für Individualarbeitsverträge (Art. 8 Rom I-VO); Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen fallen nicht in ihren Geltungsbereich. In Individualarbeitsverträgen kann grundsätzlich bei Vertragsschluss das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht von den Parteien frei gewählt werden (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO). Auch die nachträgliche Änderung dieser Rechtswahl ist problemlos möglich (Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO). Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Einzelfalles ergeben. Eindeutige Umstände wären beispielsweise die Bezugnahme auf eine Vielzahl von Rechtsnormen aus einer bestimmten Rechtsordnung im Arbeitsvertrag.

2. Regelanknüpfung

Soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist, gilt Folgendes:

a) Gewöhnlicher Arbeitsort

Bei fehlender Rechtswahl unterliegt der Arbeitsvertrag gem. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO dem Recht des Staates, in dem – oder anderenfalls von dem aus – der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Tätigkeit verrichtet. Maßgeblich ist also regelmäßig der Betriebsort. Es kann jedoch auch der Ort, „von dem aus die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird“ maßgeblich sein, wenn die Arbeit von einem festen Ort aus organisiert wird, jedoch wie beispielsweise bei fliegendem Personal von Luftfahrtgesellschaften der Einsatzort grenzüberschreitend ist.

b) Entsendung von Mitarbeitern

Gem. Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO wird kein Arbeitsortswechsel angenommen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit nur vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet. Das ist der typische Fall der Entsendung. Entscheidend hierbei ist allerdings, dass die Entsendung nur vorübergehend, also zeitlich begrenzt ist. Es muss also eine Rückkehr des Mitarbeiters geplant sein. Die Übertragung einer unbefristeten Daueraufgabe im Ausland ist daher keine vorübergehende Arbeitsverrichtung in einem anderen Staat.

c) Recht der Niederlassung

Sollte sich anhand der vorgenannten Grundsätze nicht ergeben, welches Recht anzuwenden ist, so unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmern eingestellt hat (Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO). Die Betriebsniederlassung ist somit maßgeblicher Anknüpfungspunkt, wenn Arbeitnehmer zu verschiedenen Einsatzorten entsandt wurde, diese Einsatzorte ständig wechseln und die Arbeit nicht von einem bestimmten Ort aus gewöhnlich verrichtet wird. Vorstellbar könnte dies beispielsweise für den grenzüberschreitenden Einsatz von Ingenieuren und Monteuren sein.

3. Ausnahmeregel

Die dargestellten Regelanknüpfungen (Arbeitsort und Niederlassungsort) kommen allerdings nicht zum tragen, wenn sich gem. Artikel 8 Abs. 4 Rom I-VO aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag eine engere Verbindung zu einem anderen als in Art. 8 Abs. 2 oder 3 Rom I-VO bezeichneten Staat aufweist. In diesem Fall ist das Recht des Staates, zu dem diese engere Verbindung besteht, anzuwenden. Als Ausnahmeregelung ist Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO restriktiv auszulegen. Diese Ausnahmeregelung ermöglicht im Fall grob unverhältnismäßiger und unangemessener Ergebnisse der Regelanknüpfung ein Ausweichen auf eine andere Rechtsordnung. Ob eine „engere Verbindung“ vorliegt, ist anhand des Einzelfalles zu beurteilen. Beispielsweise könnten folgende Gesichtspunkte Bedeutung haben: gemeinsame Staatsangehörigkeit oder gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthaltsort der Parteien, Vertragssprache, Währung der Entgeltzahlung, Ort der Ausübung des Direktionsrechtes.

4. Durchbrechung der vertraglichen Rechtswahl

Die von den Parteien getroffene Rechtswahl kann durch zwingende Bestimmungen eines Staates eingeschränkt werden. Gem. Art. 8 S. 1 S. 2 Rom I-VO darf die Rechtswahl der Parteien nämlich nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Art. 8 Abs. 2, 3 und 4 Rom I-VO mangels einer anderweitigen Rechtswahl anzuwenden wäre. Ergibt also die Regelanknüpfung gem. Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom I-VO ein anderes anzuwendendes Recht als dies in der Rechtswahlklausel vereinbart wurde, so gelten trotz Rechtswahl die zwingenden Bestimmungen der Rechtsordnung, die ohne diese anwendbar wären. Es wird somit ein gewisser arbeitsrechtlicher Mindeststandard gesichert. Bei diesem Mindeststandard handelt es sich um vertraglich nicht abdingbare, zwingende Vorschriften, die dem Arbeitnehmerschutz dienen. Zwingende Regelung des deutschen Kündigungsschutzes, Regelungen zum Betriebsübergang oder Regelungen eines allgemein verbindlichen Tarifvertrages gehören beispielsweise hierzu. Dies führt in der Konsequenz zur Anwendung eines „Mischrechts“.

5. Durchbrechung der Regelanknüpfung sowie vertraglichen Rechtswahl

Bestimmte „Eingriffsnormen“ des deutschen Arbeitsrechts setzen sich allerdings nicht nur gegen eine Rechtswahl durch, sondern finden auch Anwendung, wenn die Regelanknüpfung gem. Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom I-VO die Anwendung einer ausländischen Rechtsordnung zum Ergebnis hat. Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe der Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen (Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO). Beispielsweise sind nach deutschem Arbeitsrecht der Schutz von Schwangeren und Müttern sowie der besondere Schutz von Betriebsratsmitgliedern im öffentlichen Interesse zu wahren.

FAZIT:Beim internationalen Einsatz von Arbeitnehmern müssen sowohl Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer überdenken, welchem Recht das Arbeitsverhältnis unterliegen soll. Eine Rechtswahl ist hilfreich, garantiert jedoch nicht, dass im Ergebnis nicht auch Vorschriften einer anderen Rechtsordnung zur Anwendung kommen können.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • TOP-Wirtschafts­kanzlei für Arbeits­recht
    (FOCUS SPEZIAL 2024, 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen
    (WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen
    (WirtschaftsWoche 2023, 2020)

Autor

Bild von Dr. Christopher Liebscher, LL.M. (Penn)
Partner
Dr. Christopher Liebscher, LL.M. (Penn)
  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht
  • Fachanwalt für Medizinrecht
Ihr Ansprechpartner für
  • alle Fragen des Individual- und kollektiven Arbeitsrechts
  • die arbeits- und medizinrechtliche Beratung im Gesundheitssektor
  • die Beratung von Arbeitgebern im Arbeitsrecht
  • die arbeitsrechtliche Beratung von Geschäftsführern, Führungskräften und Arbeitnehmern
  • Chefarztrecht

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sprechblasen

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.

Kontakt aufnehmen