12.11.2009 -

 

Der gewohnheitsrechtlich anerkannte arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet bekanntlich die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage. Das Bundesarbeitsgericht hat nun in einer aktuellen Entscheidung seine Rechtsprechung zum Gleichbehandlungsgrundsatz präzisiert. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht auf einen einzelnen Betrieb beschränkt, sondern bezieht sich vielmehr auf alle Betriebe des Unternehmens (BAG, Urt. v. 3.12.2008 – 5 AZR 74/98). In welchen Fällen dies der Fall ist und welche Einschränkungen gelten, möchten wir nachfolgend erläutern.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Der klagende Arbeitnehmer ist bei einem weltweit tätigen Logistik- und Paketdienstunternehmen als Paketzusteller beschäftigt. Er verlangt von seinem Arbeitgeber unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes die Teilnahme an einer unternehmensweiten Lohnerhöhung.

Der Arbeitgeber beschäftigt bundesweit in 72 Betrieben etwa 15.000 Arbeitnehmer. Zum 1. September 2005 erhöhte er die Löhne und Gehälter nahezu aller Mitarbeiter um 2,1 %. Lediglich die ca. 120 Arbeitnehmer des Betriebs G., in dem der Paketzusteller beschäftigt war, erhielten keine Erhöhung der Vergütung.

Bei dem Betrieb G. galten aufgrund einer Betriebsvereinbarung spezielle Bestimmungen für die Erbringung von Mehrarbeit. Die betroffenen Arbeitnehmer mussten im Einzelfall der Anordnung zustimmen.

Der Arbeitnehmer ist aufgrund eines Aufhebungsvertrages vom 10. Juli 2008 zum 31. Oktober 2008 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Er wurde unter Fortzahlung seiner Bezüge bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unwiderruflich freigestellt. Weiter heißt es im Aufhebungsvertrag, die Parteien seien sich einig, dass mit Erfüllung der bezeichneten Regelungen alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleichgültig aus welchem Rechtsgrund, abgegolten seien (Ausgleichsklausel).

Im Anschluss an die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages hat sich der Arbeitnehmer auf eine unternehmensweite Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes berufen und die Lohnerhöhung geltend gemacht. Der Arbeitgeber hat sich hingegen darauf berufen, dass die Herausnahme des betreffenden Betriebes aus der allgemeinen Gehaltserhöhung gerechtfertigt sei. Maßgeblich seien die objektiven Wirtschaftlichkeitszahlen und der damit verbundene Betrag zum Erfolg des Gesamtunternehmens. Zudem seien in der Niederlassung G. die anfallenden Kosten je befördertem Paket bundesweit die höchsten; sie lägen durchschnittlich ca. 15 % höher als in der übrigen Division.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie hingegen im Berufungsverfahren abgewiesen.

 

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben, in der Sache allerdings noch nicht abschließend entschieden. Vielmehr wurde der Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

I. Gleichbehandlungsgrundsatz im Bereich der Vergütung

Der gewohnheitsrechtlich anerkannte arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage ebenso wie die sachfremde Differenzierung zwischen Gruppen von Arbeitnehmern. Eine Differenzierung ist sachfremd, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerte Gründe gibt, wenn also bei einer am Gleichheitsgedanken orientierten Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich anzusehen ist.

Im Bereich der Vergütung gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz nur eingeschränkt, weil der Grundsatz der Vertragsfreiheit für individuell vereinbarte Löhne und Gehälter Vorrang hat. Das Gebot der Gleichbehandlung greift jedoch dann ein, wenn der Arbeitgeber Leistungen aufgrund einer generellen Regelung gewährt, insbesondere wenn er bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt.

 

Hinweis für die Praxis:

Von einer solchen Regelung darf der Arbeitgeber nur Arbeitnehmer aus sachlichen Gründen ausschließen. Zunächst ist der Zweck der in Betracht kommenden Maßnahme zu ermitteln und danach zu beurteilen, ob der von der begünstigten Maßnahme ausgeschlossene Personenkreis berechtigterweise außerhalb der allgemeinen Zweckrichtung steht.

 

II. Unternehmensweise Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Ist eine verteilende Entscheidung des Arbeitgebers nicht auf einen einzelnen Betrieb beschränkt, sondern bezieht sie sich auf alle oder mehrere Betriebe des Unternehmens, ist auch die Gleichbehandlung betriebsübergreifend zu gewährleisten. Eine Unterscheidung zwischen den einzelnen Betrieben ist nur zulässig, wenn es hierfür sachliche Gründe gibt. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet damit den Arbeitgeber in Bezug auf alle seine Arbeitnehmer. Der Unternehmensbezug des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist auch im arbeitsrechtlichen Schrifttum weitgehend anerkannt. Dabei sind die Besonderheiten des Unternehmens und der Betriebe zu berücksichtigen.

 

III. Arbeitgeber muss Differenzierungsgesichtspunkte offen legen!

Steht eine Differenzierung nach Gruppen von Arbeitnehmern fest, hat der Arbeitgeber die Gründe für die Differenzierung offen zu legen und so substantiiert darzutun, dass die Beurteilung möglich ist, ob die Unterscheidung sachlichen Kriterien entspricht. Sind die Unterscheidungsmerkmale nicht ohne weiteres erkennbar und legt der Arbeitgeber seine Differenzierungsgesichtspunkte nicht dar oder ist die unterschiedliche Behandlung nach dem Zweck der Leistung nicht gerechtfertigt, kann die benachteiligte Arbeitnehmergruppe verlangen, nach Maßgabe der begünstigten Arbeitnehmergruppe behandelt zu werden. Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ausdrücklich auch dann, wenn der Arbeitgeber eine Gruppenbildung zwischen den Betrieben vornimmt, also nach Betrieben differenziert, in dem er etwa einzelne Betriebe von allgemeinen Leistungen ausnimmt.

 

Hinweis für die Praxis:

Der Arbeitgeber darf bei freiwilligen Lohnerhöhungen damit zwischen den Betrieben nach deren wirtschaftlicher Leistung und dem bereits bestehenden Lohnniveau differenzieren. Es ist grundsätzlich ein legitimer Zweck, eine Konkurrenz unter den Betrieben zu fördern und Leistungsanreize zu setzen. Allerdings muss der Arbeitgeber seinen Zweck offen legen, um das Kriterium der sachlichen Notwendigkeit prüfen zu können.

 

Fazit:

Im vorliegenden Fall konnte das Bundesarbeitsgericht den Rechtsstreit noch nicht abschließend entscheiden. Die nötigen Gründe für eine Differenzierung waren noch nicht hinreichend konkret dargelegt worden. Das Bundesarbeitsgericht macht aber deutlich, dass eine Differenzierung möglich und zulässig ist. Der Arbeitgeber wird nun darzulegen haben, ob er sachliche Gründe für die Differenzierung nachweisen kann.

 

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