Am 3. November 2009 hat der tschechische Präsident Václav Klaus den „Vertrag von Lissabon“ unterzeichnet, nachdem das tschechische Verfassungsgericht in Brno (Brünn) eine dagegen gerichtete Klage abgewiesen hatte. Das viel gescholtene und viel gepriesene Reformwerk kann damit nach jahrelangem Aufschub in Kraft treten.
Der steinige Weg des Vertrages, auf dem zwei gescheiterte Referenden sowie unzählige Diskussionen und Medienbeiträge – nur wenige davon mit wirklich korrektem Inhalt – liegen, hat wohl für die meisten EU-Bürger in Vergessenheit geraten lassen, was genau der umstrittene Pakt eigentlich regelt – Anlass genug für einen kurzen „Blick zurück nach vorn“.
Wenn man nicht den eher haarsträubenden Erläuterungen des letzten Signatars Klaus folgen möchte, die nachzulesen sich für Freunde der Realsatire sich unbedingt lohnt
http://www.pi-news.net/2009/01/vaclav-klaus-erklaert-den-lissabon-vertrag/
könnte man den wesentlichen Inhalt des Vertrages von Lissabon etwa wie folgt zusammenfassen:
Der Reformvertrag übernimmt die wesentlichen inhaltlichen Fortschritte des ursprünglichen „Vertrages über eine Verfassung für Europa“ vom 29. Oktober 2004, der an den irischen und niederländischen Referenden 2005 scheiterte. Er baut aber auf der Struktur der bestehenden Verträge auf. Dementsprechend sieht der Reformvertrag – in zwei Artikeln – die Änderung des Vertrages über die Europäische Union (EU-Vertrag) und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) vor.
Der Name des EG-Vertrages wird dabei in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ geändert. Gegenüber dem ursprünglichen Verfassungsvertrag enthält der Reformvertrag eine Reihe von Änderungen und Ergänzungen, die im Einzelnen in einem „Mandat für die Regierungskonferenz“ vom 26. Juni 2007 festgelegt wurden:
- Die Handlungsfähigkeit der Union wird durch tief greifende Reformen im institutionellen Bereich gestärkt. Ein hauptamtlicher Präsident des Europäischen Rates wird die Kontinuität des Unionshandelns stärken. Der Anwendungsbereich der qualifizierten Mehrheit wird ausgeweitet. Für Entscheidungen des Rates wird ab 1. November 2014 grundsätzlich die „doppelte Mehrheit“ gelten, die sowohl die Gleichheit der Mitgliedstaaten als auch die Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt. Bis zum 31. März 2017 können Mitgliedstaaten bei Annahme eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit allerdings die Abstimmung nach dem derzeit geltenden Stimmsystem beantragen. Der rotierende Vorsitz in den Ministerräten bleibt in Form einer 18-monatigen Teampräsidentschaft aus drei Mitgliedstaaten grundsätzlich erhalten. Die Zahl der Kommissare wird ab 2014 auf zwei Drittel der Zahl der Mitgliedstaaten reduziert.
- Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) wird ausgebaut. Das neue Amt des „Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ (oft griffig, aber fälschlich als „EU-Außenminister“ bezeichnet) soll eine stärkere Kohärenz des Außenhandelns der Union sicherstellen. Der Hohe Vertreter führt den Vorsitz im Rat für Auswärtige Angelegenheiten und ist gleichzeitig als Vizepräsident der Kommission zuständig für den Bereich Außenbeziehungen. Unterstützt wird er durch den Europäischen Auswärtigen Dienst, der aus Mitarbeitern der Kommission, des Ratssekretariats und entsandten Diplomaten der Mitgliedsstaaten bestehen wird. Die Beschlussfassung in der GASP wird auch weiterhin im Wesentlichen einstimmig erfolgen.
- In den politischen Sachbereichen wird es Fortschritte vor allem bei der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität, der Energiepolitik sowie im Bereich Soziales geben. Zusätzlich werden neue Bestimmungen für „Klimaschutz und Energiesolidarität“ aufgenommen. In der Justiz- und Innenpolitik werden die Möglichkeiten für eine verstärkte Zusammenarbeit einer Gruppe von Mitgliedstaaten, die vorangehen möchten, erleichtert.
- Der Reformvertrag enthält einen Ausbau der Rolle des Europäischen Parlaments, sieht die direkte Einbindung der nationalen Parlamente in europäischen Gesetzgebungsprozess vor, führt die Europäische Bürgerinitiative und die Grundrechte-Charta ein, die durch einen verweisenden Artikel rechtsverbindlich wird (für Großbritannien und Polen gelten Ausnahmeregeln; Tschechien hat einen vollständigen „opt-out“ aus der Grundrechte-Charta verhandelt). Das Europäische Parlament wird neben dem Rat gleichberechtigter Mitgesetzgeber und gleichberechtigter Teil der Haushaltsbehörde. Der Kommissionspräsident wird nach dem Reformvertrag durch das Europäische Parlament gewählt und dadurch demokratisch legitimiert.
- Schließlich soll der Reformvertrag die Transparenz und Verständlichkeit der Union durch die einheitliche Rechtspersönlichkeit der Union, durch die – gerade von Deutschland seit Langem geforderte – klarere Kompetenzabgrenzungzwischen der Union und den Mitgliedstaaten sowie durch die Vereinfachung der Verfahren erhöhen. Der Rat wird künftig öffentlich tagen, wenn er über Rechtsetzungsentwürfe berät oder abstimmt. Das Subsidiaritätsprinzip (= in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, handelt die Union nur dann, wenn ihre Maßnahmen wirksamer sind als nationale, regionale oder lokale Maßnahmen) wird politisch durch direkte Stellungnahmen der nationalen Parlamente im europäischen Gesetzgebungsverfahren und erweiterte Klagemöglichkeiten überwacht.
Wie sich der EG-Vertrag und der EU-Vertrag im Einzelnen durch den Vertrag von Lissabon geändert haben, kann man in der konsolidierten Fassung nachlesen
http://www.consilium.europa.eu/showPage.asp?lang=de&id=1296&mode=g&name=
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