Leitsätze:
- Die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft, die dazu führt, dass die Sozialhilfebedürftigkeit des vorläufigen Erben fortbesteht, verstößt gegen die guten Sitten, es sei denn die Ausschlagung kann ausnahmsweise durch ein überwiegendes Interesse des Erben motiviert werden.
- Erfolgt die Ausschlagung durch den Betreuer des Sozialhilfeempfängers, so kann diesem die dazu notwendige vormundschaftliche Genehmigung nicht erteilt werden.
Der Fall:
Der Betreute ist infolge eines Verkehrsunfalls schwerstbehindert. Er lebt in einem Heim und besucht eine beschützende Werkstatt. Zu den insoweit entstehenden Kosten, die er nur teilweise aus eigenem Einkommen aufbringen kann, leistet der Landschaftsverband als Träger der Sozialhilfe einen Zuschuss.
Der Betreute ist gemeinsam mit seinem Bruder Erbe seiner Mutter geworden. Der Nachlasswert beträgt mindestens 50.000,00 €. Der als Betreuer bestellte Onkel des Betreuten schlug die Erbschaft für diesen aus und beantragte die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung dieser Ausschlagung. Mit dem Genehmigungsantrag wurde dem Vormundschaftsgericht ein Vertrag zwischen den Erben vorgelegt, in dem sich der Bruder des Betreuten verpflichtete, diesem als Gegenleistung für die Ausschlagung „nach billigem Ermessen solche Geld –und Sachleistungen zukommen zu lassen, die die seine Lebensqualität verbessern, auf die der Sozialhilfeträger aber […] nicht zugreifen kann“.
Die Vereinbarung, die Betreuer und Bruder hier gewählt haben, ist nicht zufällig zustande gekommen. Sie orientiert sich ganz offensichtlich an der als „Behindertentestament“ bekannten testamentarischen Konstruktion, die dazu dient, den aufgrund seiner Erkrankung von Sozialleistungen abhängigen Abkömmling vom Erbe profitieren zu lassen, ohne dass der Begünstigte seines Anspruchs auf Sozialleistungen verlustig geht. In diesen Fällen ordnet der Erblasser Testamentsvollstreckung an, wobei der Testamentsvollstrecker aus der Erbschaft nur berechtigt ist dem Erben „nach billigem Ermessen solche Geld –und Sachleistungen zukommen zu lassen, die die seine Lebensqualität verbessern, auf die der Sozialhilfeträger aber […] nicht zugreifen kann“.
Der Bundesgerichtshof hat eine solche testamentarische Konstruktion bereits abgesegnet (vgl. BGH, NJW 1994, 248 ff.). Sittenwidrig sei eine solche Gestaltung nicht. Der Erblasser habe regelmäßig im Sinn, seinen Abkömmling über die Möglichkeiten des Sozialrechts hinaus zu begünstigen. Diese Motivation könne nicht als verwerflich angesehen werden. Die Benachteiligung des Sozialhilfeträgers könne nicht zur Sittenwidrigkeit des Testaments führen, da der Erblasser aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht verpflichtet sei, bei seinem Testat auf die Interessen Dritter oder der Allgemeinheit Rücksicht zu nehmen. Er hätte seinen Abkömmling ebenso gut auch vollständig enterben können.
Im vorliegenden Fall verweigerte das Amtsgericht dennoch die Genehmigung der Ausschlagung mit der Begründung, diese sei sittenwidrig. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht zurück. Hiergegen wandte sich der Betreuer mit der weiteren Beschwerde an das OLG Hamm.
Die Entscheidung des OLG Hamm:
Das OLG Hamm wies die weitere Beschwerde zurück. Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Ausschlagung könne nicht erteilt werden, da diese sittenwidrig sei. Derjenige, der sich in einer Situation befinde, in der er auf Sozialleistungen angewiesen ist, nehme die durch das Sozialstaatprinzip verbürgte Solidarität der staatlichen Gemeinschaft in Anspruch. Nehme er in dieser Situation einen ihm angetragenen Vermögenserwerb nicht wahr, so verweigere er umgekehrt der Gemeinschaft eben diese Solidarität, indem er rechtlich eine Bedürftigkeit vorschütze, die wirtschaftlich nicht besteht bzw. nicht bestehen müsste.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum sogen. „Behindertentestament“ (s.u.) sei auf diesen Fall nicht übertragbar. Der BGH stütze seine Entscheidung maßgeblich auf die verfassungsrechtliche verbürgte Testierfreiheit des Erblassers, die im hiesigen Fall ersichtlich keine Rolle spiele. Zudem sei die Motivation des Bedürftigen anders als die des Erblassers nicht fremd-, sondern eigennützig.
Hinweis für die Praxis:
Mag die Argumentation des OLG Hamm auf den ersten Blick überzeugend sein ist dennoch zweifelhaft, ob diese Rechtsprechung vor dem Bundesgerichtshof Bestand haben wird, der erst jüngst (Beschluss vom 25.07.2009 – IX ZB 196/08) entschieden hat, dass es nicht gegen die Wohlverhaltenspflicht des Insolvenzschuldners im Restschuldbefreiungsverfahren verstößt, eine werthaltige Erbschaft zu Lasten seiner Gläubiger auszuschlagen. Maßgeblich für den BGH war dabei die Überlegung, dass die Entscheidung, eine Erbschaft auszuschlagen, persönlicher Natur sei und auf dem besonderen Verhältnis zwischen Erbe und Erblasser beruhe. Dieser persönliche Charakter des Ausschlagungsrechts dürfe nicht durch einen mittelbaren Zwang zur Annahme der Erbschaft unterlaufen werden. Wenn aber bereits mittelbarer Zwang zur Annahme einer Erbschaft mit dem persönlichen Charakter des Ausschlagungsrechts unvereinbar ist, so muss dies erst Recht für den unmittelbaren Zwang zur Annahme einer Erbschaft gelten, der durch die Verweigerung der vormundschaftlichen Genehmigung herbeigeführt wird.
Allerdings ist die Frage, ob die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft zu Lasten Dritter sittenwidrig ist, zwischen den einzelnen Senaten des Bundesgerichtshofs umstritten (siehe bereits die Anmerkung zum o.g. Beschluss des IX. Zivilsenates zum Insolvenzrecht auf unserer Homepage unter „Aktuelles“ vom 01.09.2009). In Vormundschaftssachen ist der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zuständig. Da sich die Entscheidung des IX. Zivilsenates maßgeblich auf die Besonderheiten der insolvenzrechtlichen Regelungen stützte, bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung des OLG Hamm keinen Bestand haben wird.
In der Praxis ist daher dringend zu empfehlen, in ähnlich gelagerten Fällen rechtzeitig ein sogen. „Behindertentestament“ zu errichten. Anders kann der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf den Nachlass nicht sicher vermieden werden.
Verfasserin: Dr. Susanne Sachs, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Erbrecht, MEYER-KÖRING, Büro Bonn
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