03.03.2009 -

 

Grundsätzlich besteht nach Abschluss der Ausbildung kein Anspruch auf Übernahme in ein Arbeitsverhältnis. Für die Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung gilt nach § 78a BetrVG jedoch etwas anderes. Diese Personen haben grundsätzlich einen Übernahmeanspruch in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Beschl. v. 16.7.2008 – 7 ABR 13/07) hatte sich nun mit der interessanten Frage zu befassen, ob der Arbeitgeber den Einwand der Unzumutbarkeit erbringen kann, weil er sich entschlossen hat, einen Teil der in seinem Betrieb anfallenden Arbeitsaufgaben künftig Leiharbeitnehmern zu übertragen.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

Der Rechtsstreit spielt in einem großen Klinikum mit ca. 2.000 Mitarbeitern. Neben dem dort gebildeten Betriebsrat bestand auch eine Jugend- und Auszubildendenvertretung. In dieser Jugend- und Auszubildendenvertretung war ein Auszubildender Mitglied, der sich in der Ausbildung zum Krankenpfleger befand.

Er beantragte mit Schreiben vom 10. Juli 2005 fristgerecht seine Weiterbeschäftigung im Anschluss an das Berufsausbildungsverhältnis gem. § 78a BetrVG.

Nur wenige Tage vorher teilte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin dem Leiter der Personalabteilung Folgendes mit:

„ … Die Organe der Klinikum B. GmbH (Gesellschafterversammlung, Aufsichtsrat und Geschäftsführung) haben als unternehmerische Entscheidung verbindlich festgelegt, dass bis auf Weiteres keine Einstellungen von der Klinikum B. GmbH durchgeführt werden, ausgenommen Ärzte und Leitungspersonal. Soweit wegen Ausscheiden der Mitarbeiter oder aus sonstigen Gründen zusätzliches Personal benötigt wird, kann dieses über die Klinikum B. Servicegesellschaft mbH, nach einer strengen Prüfung der Notwendigkeit, im Rahmen eines befristeten Leiharbeitsverhältnisses angefordert werden … .“

Die Arbeitgeberin beantragte beim Arbeitsgericht die Feststellung, dass zwischen ihr und dem Auszubildenden ein Arbeitsverhältnis nach § 78a BetrVG nicht begründet wird. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses sei kein freier geeigneter Arbeitsplatz im Pflegebereich vorhanden gewesen, der mit dem Auszubildenden hätte besetzt werden können. Der nicht durch eigene Arbeitnehmer gedeckte Personalbedarf im Pflegebereich werde nach den Beschlüssen der Organe durch die befristete Überlassung von Arbeitnehmern der Servicegesellschaft gedeckt.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat im Beschwerdeverfahren hingegen die arbeitsgerichtliche Entscheidung abgeändert und den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen.

 

Die Entscheidung des BAG:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht hingegen die zweitinstanzliche Entscheidung aufgehoben und den Rechtsstreit in der Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

I. Übernahmeverpflichtung aus § 78a BetrVG

Nach § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG gilt zwischen einem Auszubildenden, der Mitglied des Betriebsrats oder eines der anderen dort genannten Betriebsverfassungsorgane ist, und dem Arbeitgeber im Anschluss an das Berufsausbildungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit als begründet, wenn der Auszubildende in den letzten drei Monaten vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses vom Arbeitgeber schriftlich die Weiterbeschäftigung verlangt. Diese Übernahmeverpflichtung soll die Kontinuität der Ämter gewährleisten und den Amtsträger vor nachteiligen Folgen bei seiner Amtsführung während des Berufsausbildungsverhältnisses schützen. Durch ein form- und fristgerechtes Übernahmeverlangen entsteht zwischen dem Arbeitgeber und dem Mitglied ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis in seinem Ausbildungsberuf.

 

II. Gegenrechte des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Kraft Gesetzes entstandenen Arbeitsverhältnisses unter den Voraussetzungen des § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG nur erreichen, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände die Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann. Der Begriff der Zumutbarkeit unterliegt dabei besonderen Anforderungen. Er entspricht den Voraussetzungen des § 626 Abs. 2 BGB, also dem Maßstab bei Ausspruch einer fristlosen Kündigung.

 

III. Gründe der Zumutbarkeit

Neben personen- und verhaltensbedingten Gründen können auch betriebliche Gründe die Auflösung des Kraft Gesetzes entstandenen Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Die Fortsetzung des nach § 78a Abs. 2 BetrVG begründeten Arbeitsverhältnisses ist dem Arbeitgeber aus betrieblichen Gründen unzumutbar, wenn er keinen andauernden Bedarf für die Beschäftigung eines Arbeitnehmers hat. Maßgeblich sind die Verhältnisse im Ausbildungsbetrieb.

Ob ein Beschäftigungsbedarf zur Verfügung steht, bestimmt sich nach den arbeitstechnischen Vorgaben und der Personalplanung des Arbeitgebers, der allein darüber entscheidet, welche Arbeiten im Betrieb verrichtet werden sollen und wie viele Arbeitnehmer damit beschäftigt werden. Ohne Bedeutung ist daher, ob Arbeitsaufgaben vorhanden sind, mit deren Verrichtung ein Arbeitnehmer betraut werden könnte. Der Arbeitgeber ist daher nicht verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen Arbeitsplätze neu zu schaffen, um die Weiterbeschäftigung zu gewährleisten. Ein Beschäftigungsbedarf liegt insoweit auch nicht vor, wenn sich der Arbeitgeber entschlossen hat, eine bestimmte Arbeitsmenge nicht durch die Einrichtung eines Arbeitsplatzes, sondern durch Mehrarbeit zu erledigen. Von Missbrauchsfällen abgesehen ist der Arbeitgeber grundsätzlich auch nicht gehindert, durch eine Veränderung der Arbeitsorganisation Arbeitsplätze wegfallen zu lassen. Ist hingegen im Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses ein freier Arbeitsplatz vorhanden, hat bei der Prüfung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung ein künftiger Wegfall von Arbeitsplätzen unberücksichtigt zu bleiben.

 

IV. Aber: Einsatz von Leiharbeitnehmern führt nicht zur Unzumutbarkeit!

Die Übernahme eines durch § 78a BetrVG geschützten Auszubildenden ist nicht allein deshalb unzumutbar, weil sich der Arbeitgeber entschließt, die in seinem Betrieb anfallenden Arbeitsaufgaben künftig nicht mehr Arbeitnehmern zu übertragen, mit denen er selbst ein Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, sondern Leiharbeitnehmern. Durch diese Entscheidung allein wird weder die Anzahl der Arbeitsplätze noch die Arbeitsmenge, für deren Bewältigung der Arbeitgeber Arbeitnehmer einsetzt, verändert. Die bisher anfallenden Arbeiten werden nach wie vor von dem Arbeitgeber innerhalb seiner betrieblichen Organisation mit Arbeitskräften erledigt, die diese Arbeitsaufgaben nach seinen Weisungen für ihn ausführen. Der Arbeitgeber deckt seinen Arbeitskräftebedarf lediglich mit Arbeitnehmern eines anderen Arbeitgebers. Durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern entfällt daher lediglich der Bedarf an der Beschäftigung von Arbeitnehmern, die in einem durch Arbeitsvertrag begründeten Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen. Nach Auffassung des BAG führt dies jedoch nicht zur Unzumutbarkeit im Sinne des § 78a Abs. 4 BetrVG, weil sich allein durch die Entscheidung des Arbeitgebers, künftig für die Erledigung der Arbeitsmenge (fremde) Leiharbeitnehmer einzusetzen, die Anzahl der im Betrieb eingerichteten Arbeitsplätze und damit auch der Beschäftigungsbedarf nicht ändert.

 

V. Arbeitgeber muss Arbeitsplätze frei halten

Für die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung ist im Übrigen auf den Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses abzustellen. Die Weiterbeschäftigung ist dem Arbeitgeber im Einzelfall auch dann zumutbar, wenn er einen kurz vor der Beendigung der Berufsausbildung frei gewordenen Arbeitsplatz wieder besetzt hat, statt ihn für einen nach § 78a BetrVG geschützten Auszubildenden frei zu halten. Dies gilt regelmäßig bei einer Besetzung, die innerhalb von drei Monaten vor dem vereinbarten Ende des Ausbildungsverhältnisses vorgenommen wird, da der Arbeitgeber innerhalb des Dreimonatszeitraums des § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG mit einem Übernahmeverlangen rechnen muss. Diesem Verlangen muss er entsprechen, wenn nicht die Ausnahmetatbestände des § 78a Abs. 4 BetrVG vorliegen.

Der Arbeitgeber kann sich dieser Verpflichtung nur dann entziehen, wenn die sofortige Neubesetzung durch dringende betriebliche Erfordernisse geboten war.

 

Fazit:

Der Fall konnte von dem BAG nicht abschließend entschieden werden, da noch konkrete Feststellungen von den Tatsacheninstanzen getroffen werden mussten, ob und ggf. welche freien Arbeitsplätze zum Zeitpunkt des Übernahmeverlangens vorhanden waren. Die unternehmerische Entscheidung, freie Arbeitsplätze nur noch mit Leiharbeitnehmern zu besetzen, ist jedenfalls für sich genommen nicht ausreichend und begründet keine Unzumutbarkeit.

 

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