26.06.2003 -

 

 

In dem von kurzen Fristen geprägten Arbeitsrecht ist der genaue Nachweis des Zugangs einer Erklärung von herausragender Bedeutung. Im Grundsatz ist stets der Kündigende (der Arbeitgeber) für den fristgerechten Zugang verantwortlich. Vereitelt jedoch der Arbeitnehmer den zügigen Zugang, kann er sich je nach den Umständen nach Treu und Glauben auf den verspäteten Zugang nicht berufen. In einem nun bekannt gewordenen Urteil hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit einem solchen Fall der Zugangsvereitelung zu beschäftigen. Aus Arbeitgebersicht ist die Entscheidung zu begrüßen, denn sie präzisiert die bisherigen Grundsätze (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 7. 11. 2002 – 2 AZR 475/01 -, BB 2003, 1178 mit Anmerkung Mauer). Wir möchten das Urteil zum Anlass nehmen, die wichtige Zugangsproblematik im Arbeitsrecht nochmals darzustellen.

 

Der Fall (verkürzt):

 

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um die fristlose Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) Anwendung. Die Arbeitnehmerin, eine Justizangestellte, war wegen ihres Alters und der Dauer der Betriebszugehörigkeit ordentlich unkündbar.

 

Wegen einer langjährigen Krankheit beauftragte der Arbeitgeber den bei ihm bestehenden Personalärztlichen Dienst mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage der Dienstfähigkeit. Die Arbeitnehmerin hingegen weigerte sich beharrlich, an der Begutachtung, insbesondere durch Vorlage der bisherigen Diagnosen, mitzuwirken. Auch eine Abmahnung blieb erfolglos.

 

Die Arbeitgeberin beantragte deshalb bei der zuständigen Hauptfürsorgestelle (jetzt Integrationsamt) die Zustimmung zu einer verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung. Die Hauptfürsorgestelle stimmte nach Anhörung der Klägerin der Kündigung am 5. April 2000 zu. Schwerbehindertenvertretung und Personalrat stimmten ebenfalls zu. Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin mit Schreiben vom 7. April 2000 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin wegen beharrlicher Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 7 Abs. 2 BAT fristlos.

 

Das Kündigungsschreiben wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin 10. April 2000 zugestellt. Dieser wies jedoch die Entgegennahme der Kündigung mit Schreiben vom 12. April 2000 zurück, da er zwar eine Prozessvollmacht, aber keine Empfangsvollmacht für Kündigung erteilt bekommen habe.

 

Parallel wurde die Kündigung der Klägerin persönlich durch Postzustellungsurkunde übermittelt. Weil die Klägerin am Samstag, dem 8. April 2000, in ihrem Haus nicht angetroffen wurde, hinterlegte die Postzustellerin das zuzustellende Schriftstück beim zuständigen Postamt und warf einen Benachrichtigungsschein über die Niederlegung in den Briefkasten der Klägerin ein. Die Klägerin holte das Schreiben erst am 20. April 2000 bei der Post ab. Vom 7. bis 18. April 2000 habe sie sich auf Anraten ihrer Ärztin zu einer Kur an der Ostsee befunden.

 

Die Arbeitnehmerin erhob gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage unter anderem mit der Begründung, die Kündigung sei ihr nicht fristgerecht zugegangen und schon aus diesem Grunde unwirksam.

 

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hingegen hat in der Berufung die Klage abgewiesen.

 

Die Entscheidung:

 

Das Bundesarbeitsgericht hat den ordnungsgemäßen Zugang der Kündigung bejaht und das Urteil des Landesarbeitsgerichts bestätigt.

 

I. Grundsätze des Zugangs

 

Erklärungen werden unabhängig von der angestrebten Rechtsfolge (z.B. Kündigung oder Abmahnung) rechtlich erst dann wirksam, wenn sie einem Dritten auch zugehen. Ohne diesen Zugang kann die mit der Erklärung verfolgte Wirkung nicht eintreten. Den Begriff des Zugangs definiert man herkömmlich der Gestalt, dass die Erklärung in eine gewisse räumliche Beziehung zum Empfänger verbracht wird, also in dessen Machtbereich, und nach den gewöhnlichen Umständen zu erwarten ist, dass der Empfänger von der Erklärung Kenntnis nehmen kann. Es müssen dabei kumulativ beide Voraussetzungen vorliegen, um einen wirksamen Zugang gewährleisten zu können.

 

Der Zugang setzt damit voraus: Die Erklärung muss in den Machtbereich des Empfängers gelangen, und dieser muss unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme haben.

 

Von dem Zugang der Erklärung ist die Form zu unterscheiden. Ist durch Gesetz eine bestimmte Form vorgeschrieben und wird diese Form nicht eingehalten, so hat dies nach § 125 BGB regelmäßig die Nichtigkeit der Erklärung bzw. des Rechtsgeschäfts zur Folge. Bei Kündigungen ist zwingend die Schriftform nach § 623 BGB einzuhalten. Wird diese Schriftform nicht gewahrt, ist die Kündigung schon aus diesem Grunde unheilbar nichtig.

 

II. Nachweis- und Beweisprobleme

 

In der überwiegenden Zahl der Fälle ist der Nachweis des konkreten Zugangs an einem bestimmten Tag zwischen den Parteien streitig. Dabei versuchen die Betroffenen oft mit allen nur bedenklichen Mitteln, den tatsächlichen Zugang abzustreiten. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. So wird teilweise argumentiert, der Briefumschlag des Arbeitgebers sei zwar zugegangen, es sei aber kein Schreiben darin gewesen; der Zugang wird insgesamt abgestritten, ein Schreiben sei also niemals eingegangen; der Brief habe lediglich ein unbeschriebenes Blatt Papier enthalten; der Brief sei mit erheblicher Verspätung eingegangen, also bspw. erst nach 10 Tagen und nicht schon am Folgetag.

 

III. Zugangsvereitelung

 

In der Praxis treten immer wieder diese Konstellationen auf, in denen der Empfänger die Möglichkeit der Kenntnisnahme (arglistig) vereitelt. Um einen solchen Fall der Zugangsvereitelung handelt es sich auch in der hier zu besprechenden Entscheidung.

 

Das BAG weist zunächst nochmals darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung eine allgemeine Rechtspflicht zur Abholung von Postsendungen auf dem Postamt nicht besteht. Ebenso wenig ist der Empfänger einer Benachrichtigung (z.B. bei einem Einschreiben) nicht ohne weiteres gehalten, das für ihn niedergelegte bzw. beim zuständigen Postamt bereitgehaltene Schriftstück zeitnah abzuholen.

 

Aber: Aus dem Bestehen von Rechtsbeziehungen zwischen dem Erklärenden und dem Erklärungsempfänger und der besonderen Art solcher Beziehungen kann sich doch ergeben, dass der Erklärungsempfänger, wenn er das niedergelegte Schriftstück nicht abholt, sich so behandeln lassen muss, als sei es in seinen Machtbereich gelangt. Liegen die Voraussetzungen einer solchen Zugangsvereitelung vor, muss der Empfänger die Erklärung als gegen sich zugegangen gelten lassen und er kann sich nicht auf Verspätung bzw. den Nichteintritt des Zugangs berufen. Voraussetzung ist jedoch stets, dass der Empfänger den Zugang schuldhaft vereitelt hat, worüber im Einzelfall immer wieder Streit entsteht.

 

Nachfolgend deshalb die wichtigsten Einzelfälle im Überblick:

 

·          Weiß z.B. der Kündigungsempfänger aufgrund mündlicher Mitteilungen seines Arbeitgebers, dass ein Kündigungsschreiben an ihn unterwegs ist, so verhält er sich in der Regel treuwidrig, wenn er eine ihm durch Benachrichtigungszettel über einen vergeblichen Zustellversuch näher bezeichnete Einschreibesendung nicht alsbald während der einwöchigen Aufbewahrungszeit bei der Post abholt.

 

·          Tritt der Arbeitnehmer eine Urlaubsreise in Kenntnis eines an ihn bereits abgeschickten oder in Kürze zugehenden Kündigungsschreibens an, so gilt auch hier, dass er sich den Zugang zurechnen lassen muss. In einem solchen Fall hätte er die notwendigen Vorkehrungen treffen müssen, dass der Inhalt seines Briefkastens überwacht wird und eventuell laufende Fristen eingehalten werden können.

 

Im konkreten Fall wusste die Arbeitnehmerin bereits aus dem Verfahren vor dem Hauptfürsorgestelle, dass der Ausspruch einer fristlosen Kündigung unmittelbar bevorsteht. Sie wurde sogar im Zustimmungsverfahren persönlich angehört. Den Lauf der Fristen konnte sie sich damit selbst ausrechnen. Zudem hatte die Arbeitgeberin auf zweifachem Wege versucht, das Kündigungsschreiben zuzustellen. Einmal an den Anwalt der Arbeitnehmerin und gleichzeitig über den Weg der Postzustellung. Nach Treu und Glauben wäre deshalb die Klägerin nach zutreffender Auffassung des Bundesarbeitsgerichts unter den gegebenen Umständen verpflichtet gewesen, für einen ordnungsgemäßen Postzugang oder eine Nachsendung während ihrer Abwesenheit zu sorgen, bspw. durch Erteilung einer Empfangsvollmacht an ihren Anwalt oder durch einen entsprechenden Nachsendeauftrag.

 

Hinweise für die Praxis:

 

Beweisprobleme können umgangen werden, wenn die Erklärung durch Einschaltung eines Boten überbracht wird. Dieser kann dann ggf. als Zeuge fungieren und den Zeitpunkt des Zugangs bzw. die genaue Uhrzeit des Einwurfs in den Hausbriefkasten bezeugen. Für einen entsprechenden Bestätigungsvermerk schlagen wir folgende Formulierung vor:

 

„Ich bin heute am … , beauftragt worden, Herrn/Frau … (vollständige Anschrift) die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zuzustellen. Das entsprechende Kündigungsschreiben ist mir in unterschriebener Form zur Einsicht vorgelegt und in den Briefumschlag eingelegt worden. Ich habe sodann den Brief um … Uhr in den Hausbriefkasten von Herrn/Frau … eingeworfen. (Alternative: … an Herrn/Frau … ausgehändigt).“

 

Wir empfehlen nachhaltig den vorgenannten Weg durch Einschaltung eines Boten. Beweisprobleme können bei Einhaltung dieser Grundsätze auf jeden Fall vermieden werden. Auch die Zugangsvereitelung muss nämlich vom Arbeitgeber nachgewiesen werden, was sich im Einzelfall durchaus als schwierig erweisen kann.

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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