22.04.2003

Aktuelle Ergänzung: Lesen Sie zu diesem Thema den vollständig aktualisierten und überarbeiteten Beitrag vom 17.05.2010

„Umsatzsteuerliche Organschaft und Insolvenz – Steuerfallen und Chancen in Organkreisen unter besonderer Berücksichtigung neuer Finanzrechtspechtsprechung -„

http://www.meyer-koering.de/de/aktuell/Umsatzsteuerliche%20Organschaft%20und%20Insolvenz.html

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1.            Problemaufriss

Ein durchaus gängiges Insolvenz-Szenario soll kurz das Problemgemenge und die drängenden Entscheidungsnotwendigkeiten aufreißen, in denen sich eine Vielzahl von Unternehmen, Unternehmern und Geschäftsführern wiederfinden, wenn innerhalb eines erkannten oder unerkannten umsatzsteuerlichen Organkreises ein beteiligtes Unternehmen in die Insolvenz fällt.

Fall:  Die X-GmbH ist als Organträgerin mehrheitlich an der Y-GmbH beteiligt und bildet mit ihr einen umsatzsteuerlichen Organkreis. Die internen Umsätze (Lieferungen durch die Organgesellschaft an die Mutter) werden als nichtsteuerbare Innenumsätze behandelt. Die umsatzsteuerbaren und umsatzsteuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen der Organtochter an externe Dritte werden von Ihr mit Umsatzsteuerausweis fakturiert, die vereinnahmte Umsatzsteuer über Verrechnungskonten an die Mutter weitergeleitet und von dieser an das Finanzamt abgeführt. Im Zuge beginnender Liquiditätsschwierigkeiten der Organträgerin stellt diese die Zahlungen an das Finanzamt ein und stellt Monate später Insolvenzantrag. Nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wird Wochen später das Verfahren schließlich eröffnet.

Das Finanzamt verlangt nun die Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft für nicht abgeführte Umsatzsteuer des gesamten Organkreises, zu dem auch noch andere insolvente Unternehmen gehören. Der Insolvenzverwalter der X-GmbH verlangt vom Finanzamt Erstattung der Umsatzsteuerzahlungen, weil eine Organschaft bereits vor Monaten weggefallen sei und verweist das Finanzamt an die Y-GmbH. Die Geschäftsführung der Y-GmbH will diese existenzgefährdenden Zugriffe nicht hinnehmen und stellt die Frage nach dem Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft.

Es stellt sich nunmehr regelmäßig die Frage, ob und bis wann die Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft vorliegen, und ob die vorläufige oder endgültige Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Organschaft zu Fall bringt. Das hat ganz besondere Bedeutung für die Fragen,

·         ob, seit wann oder bis wann eine umsatzsteuerliche Organschaft besteht,

·         wer ab welchem Zeitpunkt Schuldner der Umsatzsteuer ist und eigene umsatzsteuerliche Pflichten zu erfüllen hat,

·         ob und bis wann die Haftungsvoraussetzungen des § 73 AO vorliegen,

·         ob und ab wann steuerliche Erstattungsansprüche gegen das Finanzamt bestehen, ob diese unter den beteiligten Unternehmen verrechnet werden dürfen,

  • ob und ab wann innerhalb des ehemaligen Organkreises Erstattungsansprüche bestehen.

Nicht zuletzt wegen der sich hieraus ergebenden persönlichen Haftungsrisiken der Beteiligten, sollte diesen Fragen im Zuge eines Insolvenzverfahrens besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Finanzverwaltung jedenfalls hat diese Chance erkannt, wir die nachfolgende Passage aus der Verfügung der OFD Koblenz vom 15.06.2000 (S 0550 A – St 52 3) zeigt:

„In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass Organschaftsverhältnisse von den Beteiligten nicht erkannt und folglich die steuerlichen Konsequenzen nicht gezogen wurden. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Kapitalgesellschaft sollte daher zum Anlass genommen werden, das Vorliegen einer Organschaft zu prüfen. Gegebenenfalls kann dann noch Umsatzsteuer gegen den Organträger festgesetzt und u.U. auch realisiert werden.“

 

2.            Umsatzsteuerliche Organschaft

Eine umsatzsteuerliche Organschaft im Sinn des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG liegt nach Abschnitt 21 UStR (2000) vor, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein anderes Unternehmen eingegliedert ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist es nicht erforderlich, dass alle drei angeführten Merkmale einer Eingliederung sich gleichermaßen deutlich feststellen lassen. Nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse kann die Selbständigkeit auch dann fehlen, wenn die Eingliederung auf einem der drei Gebiete nicht vollkommen ist (BFH – Urteil vom 20.2.1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133; vom 18.12.1996 XI R 25/94, BStBl II 1997, 441). Dagegen reicht es nicht aus, dass sie nur in Beziehung auf zwei der genannten Merkmale besteht (BFH – Urteil vom 23.4.1964 – BStBl III S. 346; vom 22.6.1967 – BStBl III S. 715; vom 20.2.1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133; vom 18.12.1996 XI R 25/94, BStBl II 1997, 441). Liegt eine Organschaft vor, sind die untergeordneten juristischen Personen (Organgesellschaften, Tochtergesellschaften) im Verhältnis zum übergeordneten Unternehmen (Organträger, Muttergesellschaft) als umsatzsteuerlich unselbständig anzusehen; umsatzsteuerlicher Unternehmer ist nur der Organträger.

Als Organgesellschaften kommen nur juristische Personen des Zivil- und Handelsrechts in Betracht. Organträger kann jeder Unternehmer sein. Eine GmbH, die an einer Kommanditgesellschaft als persönlich haftende Gesellschafterin beteiligt ist, kann nicht als Organgesellschaft in das Unternehmen dieser Kommanditgesellschaft eingegliedert sein (BFH-Urteil vom 14.12.1978 – BStBl 1979 II S. 288).

Die Voraussetzungen für die umsatzsteuerliche Organschaft (finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung) sind nicht in vollem Umfange identisch mit denen der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft. Für Zwecke der Umsatzsteuer sind folgende Voraussetzungen maßgebend:

·         Eine finanzielle Eingliederung liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vor, wenn der Organträger unmittelbar oder mittelbar in einer Weise an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass er seinen Willen (durch Mehrheitsbeschlüsse) durchsetzen kann (BFH-Urteile vom 20.1.1999 XI R 69/97, BFH/NV 1999, 1136; vom 26.2.1998 V B 97/97, BFH/NV 1998, 1267; vom BFH 22.11.2001, V R 50/00, BStBl 2002 II S. 167). Maßgebend ist die Stimmenmehrheit. Die Mehrheit der Stimmrechte aus Anteilen an der Organgesellschaft muss über 50 v.H. der gesamten Stimmrechte betragen, sofern keine höhere qualifizierte Mehrheit für Beschlüsse in der Organgesellschaft erforderlich ist.

·         Wirtschaftliche Eingliederung bedeutet, dass die Organgesellschaft gemäß dem Willen des Unternehmers im Rahmen des Gesamtunternehmens, und zwar in engem wirtschaftlichem Zusammenhang mit diesem, es fördernd und ergänzend, wirtschaftlich tätig ist (BFH-Urteil vom 22.6.1967 – BStBl III S. 715). Anders als bei der Gewerbesteuer ist bei der Umsatzsteuer nicht Voraussetzung für das Vorliegen einer Organschaft, dass die Muttergesellschaft einen nach außen in Erscheinung tretenden Gewerbebetrieb unterhält, sofern die erforderliche wirtschaftliche Verflechtung gegeben ist (vgl. BFH-Urteil vom 17.4.1969 – BStBl II S. 413).

·         Die organisatorische Eingliederung liegt vor, wenn der Organträger durch organisatorische Maßnahmen sicherstellt, dass in der Organgesellschaft sein Wille auch tatsächlich ausgeführt wird. Diese Eingliederung im Sinne einer engen Verflechtung mit Über- und Unterordnung (vgl. dazu BFH-Urteile vom 17.4.1969 V R 123/68, BFHE 95, 558, BStBl II 1969, 505, unter 2. b; Urteil vom 9.1.1992 V R 82/85, BFH/NV 1993, 63, unter II. 2. a) liegt regelmäßig vor, wenn Personenidentität in den Leitungsgremien von Organträger und Organgesellschaft besteht (vgl. BFH-Urteil vom 20.2.1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133, zu II. a, aa); eine vollständige Identität ist allerdings nicht erforderlich (BFH-Urteil in BFHE 187, 355, BStBl II 1999, 258, zu II. 2.), zumal das Merkmal der Personenidentität nicht zwingend ist (Schmidt/Müller/Stöcker, Die Organschaft, 5. Aufl., Rz. 1374).

Nicht von ausschlaggebender Bedeutung, sondern nur als Indiz zu werten ist, dass die Organgesellschaft in eigenen Räumen arbeitet, eine eigene Buchhaltung und eigene Einkaufs- und Verkaufsabteilungen hat, da dies dem Willen des Organträgers entsprechen kann (vgl. BFH-Urteil vom 23.7.1959 – BStBl III S. 376).). Entscheidend ist, ob durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sichergestellt ist, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organtochter nicht stattfindet (BFH-Urteil vom 20.2.1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133; Urteil vom 28.1.1999, V R 32/98, BStBl 1999 II S. 258).

Zu berücksichtigen ist, dass gerade das Merkmal der organisatorischen Eingliederung (nur) nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) zu beurteilen ist, also nicht voll ausgeprägt sein muss (vgl. BFH-Urteil in BFHE 187, 355, BStBl II 1999, 258, unter II. 2.; Urteil vom 17.1.2002, V R 37/00, BStBl 2002 II S. 373 ).

3.         Ende der Organschaft in Insolvenzfällen

Die Organschaft endet zu dem Zeitpunkt, zu dem eine der Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht mehr erfüllt ist. In Insolvenzfällen problematisch ist dabei in aller Regel das Merkmal der organisatorischen Eingliederung.

Die bloße Liquidation der Organgesellschaft (außerhalb der InsO) hat, solange sie noch nicht abgeschlossen ist, keine Auswirkung auf ihre Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers. Der Liquidationsbeschluss führt deshalb nicht zur Beendigung des Organschaftsverhältnisses; die Organgesellschaft rechnet vielmehr (noch) so lange zum Unternehmen des Organträgers, bis die Liquidation abgeschlossen und das vorhandene Gesellschaftsvermögen veräußert ist (FG Münster vom 31.1.1991, 5 K 3761/88 U, UR 1991 S. 378, m.w.N.). Dies gilt selbst dann, wenn im Rahmen der Liquidation nur noch Umsätze aus der Verwertung sicherungsübereigneter Gegenstände bewirkt werden (FG Nürnberg vom 22.2.1990, II 169/86, EFG 1990 S. 543).

Dagegen führt die Liquidation des Organträgers regelmäßig zur Beendigung der Organschaft, weil mit der Einstellung der aktiven unternehmerischen Tätigkeit des Organträgers die wirtschaftliche Eingliederung der Organgesellschaft entfällt (vgl. FG Hessen – Urteil vom 21.8.1975, IV 127/74, EFG 1976 S. 34 und FG des Saarlandes – Urteil vom 3.3.1998, 1 K 281/95, EFG 1998 S. 971).

Auch durch die Vermögenslosigkeit der Organgesellschaft wird die Organschaft nicht beendet; sie dauert fort, bis alle Rechtsbeziehungen der Organgesellschaft abgewickelt sind (vgl. BFH – Urteil vom 27.9.1991, V B 78/91; BFH/NV 1992 S. 346, und vom 19.10.1995, V R 128/93; BFH/NV 1996 S. 275). Dies gilt auch in Fällen, in denen der Antrag der Organgesellschaft auf Insolvenzeröffnung mangels einer die Kosten deckenden Masse abgelehnt wird.

Differenzierter ist in den Fällen der Anordnung vorläufiger oder Eröffnung von Insolvenzverfahren zu unterscheiden.

Wird ein vorläufiger lnsolvenzverwalter für das Vermögen der Organgesellschaft bestellt und wird der Organgesellschaft ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, so geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Organgesellschaft gemäß § 22 Abs. 1 InsO auf den vorläufigen lnsolvenzverwalter über. In diesem Fall endet die Organschaft mit Wirksamwerden der Bestellung des vorläufigen lnsolvenzverwalters, weil der Organträger nicht mehr die Möglichkeit hat, seinen Willen in der Organgesellschaft umzusetzen.

Wird hingegen ein vorläufiger lnsolvenzverwalter bestellt, ohne dass der Organgesellschaft ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird (vgl. § 22 Abs. 2 lnsO), so endet die Organschaft nur dann, wenn der vorläufige lnsolvenzverwalter aufgrund der ihm im Einzelfall übertragenen Pflichten den maßgeblichen Einfluss auf die Organgesellschaft erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist (BFH, BStBl II 1997, 580; Urteil vom 28.1.1999, V R 32/98, BStBl 1999 II S. 258; FG Nürnberg, Urteil vom 10.04.2000, II 39/00; FG Baden-Württemberg – Urteil vom 22.2.2001, 14 K 269/97).

Die Organschaft endet regelmäßig spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft, weil der Organträger den wesentlichen Einfluss auf die Organgesellschaft an den lnsolvenzverwalter verliert (§ 80 lnsO, BFH – Urteil vom 28.1.1999, V R 32/98, BStBl 1999 II S. 258; vgl. auch Schiffer, DStR 1998 S. 1989, 1995). Anders ist es jedoch, wenn Organgesellschaft und Organträger gleichzeitig in Insolvenz fallen und denselben Insolvenzverwalter erhalten. Hier bleibt die Organschaft zumindest in den Fällen weiter bestehen, in denen die finanzielle und wirtschaftliche Eingliederung besonders ausgeprägt ist

Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur in den Fällen, in denen das Insolvenzgericht in dem Beschluss über die Eröffnung des lnsolvenzverfahrens gemäß §§ 270 ff. lnsO die Eigenverwaltung der lnsolvenzmasse durch den Schuldner unter Aufsicht eines Sachverwalters anordnet. Hier besteht die Organschaft regelmäßig auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort, weil die Verfügungs- und Verwertungsbefugnis über das Vermögen der Organgesellschaft im Wesentlichen beim Schuldner und damit beim Organträger verbleibt. Die Organschaft endet jedoch auch in den Fällen der Eigenverwaltung mit der Eröffnung des lnsolvenzverfahrens, wenn dem Sachwalter derart weit reichende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse eingeräumt werden, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung möglich ist. Ein solcher Ausnahmefall liegt insbesondere in den Fällen des § 275 Abs. 1 und 2 und § 277 Abs. 1 InsO vor.

Dagegen führen grundsätzlich weder die Beantragung noch die Eröffnung eines lnsolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers zur Beendigung der Organschaft. Diese Maßnahmen ändern nichts an der Abhängigkeit der Organgesellschaft, sondern beeinflussen lediglich die personelle Willensbildung beim Organträger, die für die Ausübung der Beherrschung maßgeblich ist. Dies gilt zumindest solange, wie das Unternehmen des Organträgers trotz Sequestration noch über einen nennenswerten Zeitraum fortgeführt werden soll. Denn anders als nach der Konkursordnung richtet sich unter Geltung der InsO der Unternehmenszweck nach Verfahrenseröffnung nicht zwangsläufig auf Abwicklung. Die Organschaft endet regelmäßig erst, wenn der Organträger seine aktive unternehmerische Tätigkeit einstellt und in die Liquidation eintritt. Die Organschaft endet nach einer noch zur Konkursordnung ergangenen, gleichwohl aber übertragbaren Entscheidung des BFH (Urt. vom 28.1.1999, V R 32/98, BStBl 1999 II S. 258) nur ausnahmsweise mit dem Konkurs des Organträgers, wenn sich der Konkurs nicht auf die Organgesellschaft erstreckt und der Konkursverwalter auf ihre laufende Geschäftsführung keinen Einfluss nimmt.

4.            Rechtsfolgen der Beendigung der Organschaft

Ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft gelten für die danach verwirklichten Sachverhalte die allgemeinen umsatzsteuerrechtlichen Regelungen. Organträger und Organgesellschaft stellen dann zwei selbstständige umsatzsteuerliche Rechtssubjekte dar, die zueinander in Leistungsaustauschbeziehungen treten können (vgl. BFH vom 11.1.1990, V R 156/84; BFH/NV 1990 S. 741).

  • Umsätze, die von der Organgesellschaft vor Beendigung der Organschaft ausgeführt wurden, sind stets dem Organträger zuzurechnen und von diesem zu versteuern, auch wenn die hierauf entfallende Umsatzsteuer erst nach Beendigung der Organschaft entsteht (FG Düsseldorf vom 23.4.1993, 5 K 531/90 U, EFG 1993 S. 747).

Berichtigungsansprüche nach § 17 UStG, die diese Umsätze betreffen, richten sich ebenfalls ausschließlich gegen den Organträger als leistenden Unternehmer (BFH – Urteil vom 6.6.2002, V R 22/01, BFH/NV 2002 S. 135). Die der Umsatzsteuerpflicht zugrunde liegenden Entgelt-Forderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen Dritter an die Organgesellschaft werden spätestens im Augenblick der Insolvenzeröffnung unbeschadet einer möglichen Insolvenzquote in voller Höhe uneinbringlich (BFH – Urteil vom 28.6.2000 V R 45/99, BStBl II 2000, 703, m.w.N.; Urteil vom 6.6.2002, V R 22/01, BFH/NV 2002 S. 135). Im Fall einer Insolvenzquote ist der Vorsteuerabzug dann wieder erneut – nunmehr zu Gunsten des Leistungsempfängers – zu berichtigen.

  • Umsätze, die von der Organgesellschaft nach Beendigung der Organschaft ausgeführt werden, sind dagegen von der Organgesellschaft zu versteuern. Hat jedoch der Organträger An- und Vorauszahlungen auf diese Umsätze bereits der Umsatzbesteuerung unterworfen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 Buchst. b UStG), so bleibt diese Besteuerung auch nach Beendigung der Organschaft bestehen. Von der Organgesellschaft ist dementsprechend nur der im Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft noch offene Restpreis zu versteuern (BFH vom 21.6.2001, V R 68/00, BStBl 2002 II S. 255).

     

  • Der Vorsteuerabzug aus Leistungsbezügen der Organgesellschaft vor Beendigung der Organschaft steht auch dann nur dem Organträger zu, wenn die Rechnung erst nach Beendigung der Organschaft bei der Organgesellschaft eingeht und von dieser beglichen wird. Vorsteuerberichtigungsansprüche nach § 17 UStG, die diese Leistungsbezüge betreffen, richten sich ebenfalls ausschließlich gegen den Organträger (BFH vom 11.4.1991, V R 126/87, BFH/NV 1992 S. 140, und vom 12.8.1993, V B 230/91, BFH/NV 1994 S. 277).
  • Der Vorsteuerabzug aus Leistungsbezügen, der Organgesellschaft nach Beendigung der Organschaft steht nur der Organgesellschaft zu. Hat jedoch der Organträger vor Beendigung der Organschaft An- oder Vorauszahlungen auf diese Leistungen entrichtet und hieraus den (vorgezogenen) Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG vorgenommen, so ist die Organgesellschaft lediglich zum Vorsteuerabzug aus dem im Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft noch offenen Restpreis berechtigt; der vorgezogene Vorsteuerabzug aus den An- und Vorauszahlungen steht weiterhin dem Organträger zu (vgl. BFH vom 21.6.2001, V R 68/00, BStBl 2002 II S. 255).

     

Hat der Organträger auch nach – meist unerkanntem – Wegfall der Voraussetzungen einer Organschaft in der Annahme des (Fort-)Bestehens eines Organschaftsverhältnisses Zahlungen an das Finanzamt geleistet, so steht ausschließlich dem Organträger ein Erstattungsanspruch zu (§ 37 Abs.2 AO, vgl. auch BFH – Urteil vom 26.11.1996, VII R 49/96 (NV) BFH/NV 1997 S. 537). Ob dabei die vom vermeintlichen Organträger gezahlte Umsatzsteuer im wesentlichen auf Umsätzen der – regelmäßig insolventen – Organgesellschaft beruht, ist für die Bestimmung des Anrechnungs- bzw. Erstattungsberechtigten ohne Belang.

Dieses Systematik führt das Finanzamt regelmäßig in die – vom Berater zu erkennende – missliche Lage, erhaltene Zahlungen an den Organträger nebst Erstattungszinsen zurückerstatten zu müssen und hinsichtlich der tatsächlichen Umsatzsteuerforderungen lediglich eine oft wertlose Insolvenzforderung zu besitzen. Die verlockende Verrechnung der Steuerschuld des einen Unternehmens mit der Erstattungsforderung des anderen Unternehmen durch das Finanzamt ist nicht zulässig (vgl.: BFH – Urteil vom 30.10.1984, VII R 70/81, BStBl 1985 II S. 114; Urteil vom 26.11.1996, VII R 49/96 (NV) BFH/NV 1997 S. 537; Urteil vom 23.8.2001, VII R 94/99, BStBl 2002 II S. 330). Denn § 37 AO nimmt den Finanzbehörden eine Prüfung zivilrechtlicher Beziehungen, etwa zwischen dem Steuerschuldner und einem zahlenden Dritten oder zwischen Personen, die eine Steuer als Gesamtschuldner zu leisten haben, ab; ein Erstattungsanspruch soll nicht davon abhängen, wer von ihnen – im Innenverhältnis – auf die zu erstattenden Beträge materiell-rechtlich einen Anspruch hat (vgl. BFH BStBl II 1990, 41, 42). Eine von einem – wirklichen oder vermeintlichen – Steuerschuldner geleistete Zahlung kann auch grundsätzlich nicht auf die Steuerschuld eines anderen Steuerschuldners angerechnet werden (vgl. BFH – Urteil vom 4.4.1995 VII R 82/94, BStBl II 1995, 492), sondern ist demjenigen zu erstatten, der als Leistender aufgetreten ist.

Durch die Beendigung der Organschaft wird der Berichtigungszeitraum nach § 15 a UStG nicht unterbrochen (Abschn. 215 Abs. 2 Satz 6 UStR 1996). Vorsteuerberichtigungsansprüche für Wirtschaftsgüter der Organgesellschaft, die noch zu Zeiten der Organschaft angeschafft oder hergestellt wurden, richten sich daher auch dann gegen die Organgesellschaft, wenn der erstmalige Vorsteuerabzug nach § 15 UStG dem Organträger zugestanden hat.

Kommt es durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Organträgers noch nicht zum Wegfall der Organschaft (s.o.), so verbleibt es bei einer einheitlichen Steuerschuld. Nur für Zwecke der Beteiligung am Insolvenzverfahren sind diese Umsatzsteuerforderungen aufzuteilen in eine vor Eröffnung begründete Schuld (Insolvenzforderung) und eine durch Tätigkeit des Insolvenzverwalters begründete Schuld (Masseschuld). Die Insolvenzforderung ist nicht durch Steuerbescheid, sondern durch Anmeldung zur Insolvenztabelle durchzusetzen, die Masseverbindlichkeit durch Steuerbescheid gegen den Insolvenzverwalter. Verfahrensrechtlich erfolgt hier eine Aufteilung einer einheitlichen Steuerschuld. Denn durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird das Steuerfestsetzungsverfahren in entsprechender Anwendung des § 240 ZPO unterbrochen (vgl. BFH – Urteil vom 2.7.1997 I R 11/97 BStBl II 1998, 428; FG Köln – Urteil vom 30.1.2001, 13 K 6432/00; Tipke/Kruse, AO, § 251 Tz. 42). Gemäß § 87 InsO können Steuerforderungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, nach Verfahrenseröffnung (§ 38 InsO) grundsätzlich nur noch durch Anmeldung zur Tabelle (§§ 174 ff. InsO) geltend gemacht werden. Ein gegen das Verbot des § 87 InsO erlassener Steuerbescheid ist unwirksam (vgl. BFH – Urteil vom 2.7.1997 I R 11/97 BStBl II 1998, 428 zu § 12 KO; Welzel, DStZ 1999, 559).

5.            Haftung bei Organschaft

Nach § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen von Bedeutung ist. Sind Umsatzsteuerschulden betroffen, so müssen die Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG im gesamten Haftungszeitraum vorliegen und die Steuern, um derentwillen gehaftet werden soll, müssen im Organkreis entstanden sein, und zwar während des Bestehens der Organschaft (vgl. zur Haftung FG München Urteil vom 18.9.1991, 3 K 4202/88, EFG 1992 S. 373; FG des Saarlandes Urteil vom 19.3.2002, 2 K 206/98; und zu den Haftungsvoraussetzungen z.B. Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, Köln 1999, Rdnr. 329 ff.).

Die Haftung beschränkt sich grundsätzlich nicht auf solche Beträge, die ohne steuerliche Anerkennung des Organschaftsverhältnisses von der Organgesellschaft zu entrichten wären, also wirtschaftlich von ihrer Tätigkeit verursacht worden sind (Klein/Rüsken, AO, 7. Aufl., § 73, Rdnr. 7). Vielmehr wird der Organkreis als Ganzes betrachtet, so dass auch für Steuern gehaftet wird, die im Betrieb des Organträgers oder einer anderen Organgesellschaft begründet worden sind (FG des Saarlandes Urteil vom 19.3.2002, 2 K 206/98).

In der Literatur wird vertreten, dass im Rahmen der umsatzsteuerlichen Organschaft eine Einschränkung dahingehend zu machen sein soll, dass die Organgesellschaft nur für solche Umsatzsteuern hafte, die von ihr wirtschaftlich verursacht worden sind (Plückebaum/Malitzki, UStG, § 2, Rdnr. 344; Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rdnr. 142). Dabei ist im Einzelnen umstritten, ob die Einschränkung bereits auf der Tatbestandsseite oder erst im Rahmen der Ermessenserwägungen zu berücksichtigen ist (§§ 191 Abs. 1 Satz 1, 5 AO; so wohl die überwiegende Meinung, vgl. zum Streitstand Kruse/Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 73, Tz. 8). Eine verlässliche Rechtsprechung hierzu besteht allerdings nicht.

Der Haftungsanspruch ist im Insolvenzverfahren auch der Organgesellschaft allerdings nur Insolvenzforderung. Ein Haftungsbescheid mit Zahlungsaufforderung zu einem bestimmten Fälligkeitstag kann nach Eröffnung des Verfahrens nicht mehr erteilt werden (§ 87 InsO).

 

Nicht nur für die Finanzverwaltung ist es lohnend, in Insolvenzfällen die Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft genau zu untersuchen (vgl. hierzu auch OFD Hannover 3.7.2002, S 7105 – 101 – StH 442/S 7105 – 49 – StO 351, DStR 2002 S. 1763). Aus Sicht der Steuerpflichtigen lassen sich gemeinsam mit dem Berater bei sorgfältiger Beschäftigung mit den Fragen der Organschaft unter Umständen Steuerfestsetzungen vermeiden, Erstattungsforderungen erwirken und Haftungszugriffe der Finanzverwaltung abwehren. Zumindest aber kann in vielen Fällen durch gestalterische Maßnahmen Einfluss auf den Zeitpunkt des Beginns oder Wegfalls der Organschaft und damit auch auf die steuerlichen Ergebnisse genommen werden. Grund genug, schon im Vorfeld der Insolvenz einer Kapitalgesellschaft, das Vorliegen einer Organschaft zu prüfen.

 

Rechtsanwalt und Steuerberater Andreas Jahn, Bonn

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