22.01.2003 -

 

Das Bundesarbeitsgericht hat sich ein weiteres Mal mit der bedeutsamen Vorschrift des § 628 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) beschäftigt. Spricht ein Arbeitnehmer wirksam wegen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers eine außerordentliche Eigenkündigung aus, ist der Arbeitgeber nach § 628 Abs. 2 BGB verpflichtet, die Vergütung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzuzahlen. Möglicherweise schuldet er darüber hinaus sogar eine Abfindung. In der Regel muss der Eigenkündigung des Arbeitnehmers eine Abmahnung gegenüber dem Arbeitgeber vorausgehen. In dem nun zu besprechenden Urteil hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung weiter präzisiert (Urt. v. 8. 8. 2002 – 8 AZR 574/01 -).

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Der Kläger sollte bei der beklagten Gesellschaft als Geschäftsführer tätig werden. Mit Wirkung zum 1. Januar 1998 schloss er deshalb einen Geschäftsführervertrag, in dem unter anderem vereinbart wurde, dass die Tätigkeit am 1. Januar 1998 beginnen und die Bestellung zum Geschäftsführer erst nach einer halbjährigen Einarbeitungszeit zum 1. Juli 1998 erfolgen sollte. Der Vertrag wurde auf unbestimmte Dauer abgeschlossen und war nach Ablauf der Probezeit nur noch mit einer Frist von einem Jahr zum Quartalsende kündbar.

 

Weiter wurden gestaffelte Gehälter vereinbart. Schon nach Ablauf der Probezeit sollte sich das Gehalt von 150.000,00 DM auf 180.000,00 DM erhöhen, zum 1. Januar 1999 dann auf 200.000,00 DM. Weitere Erhöhungen um jeweils 20.000,00 DM waren zum 1. Juli 1999 und zum 1. Januar 2000 fest vorgesehen.

 

Die Gesellschafter des Unternehmens beschlossen kurz vor Ablauf der Probezeit, den Kläger nicht wie vorgesehen zum 1. Juli 1998 zum Geschäftsführer zu bestellen, sondern dessen Probezeit um ein weiteres halbes Jahr bis zum 31. Dezember 1998 zu verlängern. Auch wurde das Gehalt nicht wie vereinbart zum 1. Juli 1998 erhöht.

 

Der Kläger widersprach der Probezeitverlängerung ausdrücklich und forderte mehrmals die Gesellschaft schriftlich auf, die vertraglichen Vereinbarungen zu erfüllen, insbesondere ihn zum Geschäftsführer zu bestellen und die vertragsgemäße Vergütung auszuzahlen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 9. November 1998 ließ der Kläger schließlich folgendes mitteilen:

„Sollte diese Abmahnung – und als solche wollen Sie dieses Schreiben bitte verstehen – unbeachtet bleiben, muss Herr Dr. V. davon ausgehen, dass Sie zur Vertragserfüllung nicht bereit sind. Ihm würde dann nichts anderes übrig bleiben, als sämtliche rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, wozu unter anderem auch eine Kündigung aus wichtigem Grund sowie die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gem. § 628 Abs. 2 BGB gehört.“

 

Die Gesellschaft erfüllte die Forderungen des Klägers dennoch nicht. Nach Fristablauf erklärte der Kläger deshalb mit Schreiben vom 1. Dezember 1998 die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages mit Auslauffrist zum 31. Dezember 1998.

 

Mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht machte der Kläger die Nachzahlung der Gehaltsdifferenz für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1998 sowie Ersatz des Verdienstausfalls für die Zeit bis 31. Dezember 1999 geltend. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage im Wesentlichen stattgegeben.

 

Die Entscheidung des BAG:

In der Revision hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der beiden Vorinstanzen bestätigt.

 

I. Auflösungsverschulden des Arbeitgebers?

Liegen Gründe vor, die einen Arbeitnehmer zur außerordentlichen Kündigung berechtigen, kann der Arbeitnehmer Ansprüche nach § 628 Abs. 2 BGB geltend machen. Der Kündigungsempfänger ist also, wenn die fristlose Kündigung durch sein vertragswidriges Verhalten veranlasst wurde, dem Kündigenden zum Ersatz des durch die Aufhebung des Vertragsverhältnisses entstehenden Schaden verpflichtet.

 

Grund für den Anspruch aus § 628 Abs. 2 BGB ist das Auflösungsverschulden und nicht der Formalakt der fristlosen Kündigung. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um ein Dienst- oder ein Arbeitsverhältnis handelt.

 

II. Vorherige Abmahnung erforderlich!

Bei der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gelten für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber dieselben Voraussetzungen. Grundsätzlich ist es deshalb erforderlich, dass der Arbeitnehmer, der ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung nehmen will, den Arbeitgeber zunächst abmahnt.

 

Der Arbeitnehmer muss also die vom Arbeitgeber begangene Pflichtverletzung konkret beanstanden. Weiter muss er deutlich machen, dass er den Bestand des Arbeitsverhältnisses als gefährdet ansieht, wenn der Arbeitgeber nicht zu einem vertragskonformen Verhalten zurückkehrt.

 

Eine Abmahnung ist nur ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn es sich um besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitgeber ohne weiteres erkennbar war und bei denen es ausgeschlossen ist, dass der Arbeitnehmer ein solches Verhalten hinnimmt bzw. wenn dieses Verhalten zu einer irreparablen Störung der Vertragsbeziehungen führt.

 

III. Wirksame Kündigung notwendig

Wird eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen, muss sie berechtigt und auch wirksam sein. Ihr Grund muss ferner in einem vertragswidrigen, schuldhaften Verhalten des anderen Vertragsteils liegen (so genanntes Auflösungsverschulden). Dabei genügt nicht jede geringfügige schuldhafte Vertragsverletzung. Vielmehr muss ihr das Gewicht eines wichtigen Grundes zukommen und zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB berechtigen.

 

In der bereits an anderer Stelle besprochenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wurde ein wichtiger Grund für den Fall bejaht, in dem sich der Arbeitgeber mit Vergütungszahlungen in nicht unerheblicher Höhe oder für einen längeren Zeitraum in Verzug befindet. Vorliegend hat das BAG die unterbliebene Bestellung des Klägers zum Geschäftsführers sowie die Vorenthaltung eines Teils der Dienstbezüge ebenfalls für ausreichend erachtet, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung zu bilden.

 

Dies gilt unabhängig davon, dass nach § 38 GmbHG die Bestellung zum Geschäftsführer gesellschaftsrechtlich jederzeit widerruflich ist. Einer schuldrechtlichen Bestellungsvereinbarung in einem Anstellungsvertrag steht dies nicht entgegen, selbst dann nicht, wenn dies der Satzung der Gesellschaft widersprechen sollte.

 

Die Bedeutsamkeit der Pflichtverletzungen zeigte sich vorliegend im Übrigen auch daran, dass der Dienstvertrag ausdrücklich die Tätigkeit eines Geschäftsführers regelte. Die unterbliebene Bestellung entzog dem auf das Geschäftsführeramt zugeschnittenen Anstellungsvertrag mithin jede Grundlage.

 

IV. Zahlungsverpflichtungen des Arbeitgebers erheblich!

Für den Arbeitgeber kann ein Anspruch aus § 628 Abs. 2 BGB erheblich finanzielle Belastungen zur Folge haben. Ist nämlich wie hier eine besonders lange Kündigungsfrist vereinbart, kann der Arbeitnehmer alle adäquat kausal verursachten Schadensfolgen verlangen, die durch die vorzeitige Beendigung des Dienstverhältnisses aufgrund des Auflösungsverschuldens des anderen Teils entstanden sind. Der Anspruch geht auf das volle Erfüllungsinteresse. Der Berechtigte ist also so zu stellen, wie er bei Fortbestand des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses stehen würde. Die ordentliche Kündigungsfrist stellt dann die zeitliche Grenze des Schadensersatzanspruchs dar.

 

Wir weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB nicht nur den Verdienst umfasst, sondern der Arbeitnehmer auch eine Abfindung als angemessenen Ausgleich für den Verlust des durch das Kündigungsschutzgesetz vermittelten Bestandsschutzes verlangen kann. Die Bemessung des Ausgleichs orientiert sich dabei nach dem BAG an der Abfindungsregelung der §§ 9, 10 KSchG. Dieser Anspruch soll kumulativ zum Anspruch auf Ersatz des Vergütungsausfalls hinzutreten.

 

V. Wahrung der 2-Wochen-Frist beachten

Das Recht der fristlosen Kündigung ist verwirkt, wenn die gesetzliche Ausschlussfrist von 2 Wochen nach § 626 Abs. 2 BGB versäumt ist. Bei der Vorenthaltung von Bezügen sowie der unterbliebenen Bestellung zum Geschäftsführer handelt es sich jedoch um ein so genanntes Dauerverhältnis. Hier beginnt die Frist nicht vor Beendigung des vertragswidrigen Zustandes. Solange also dieser Zustand fortbesteht, kann auch jederzeit die fristlose Eigenkündigung mit den dargestellten Folgen ausgesprochen werden.

 

Dabei hat das BAG ausdrücklich klargestellt, dass auch der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer kurzen Auslauffrist möglich ist. Wer zur fristlosen Kündigung berechtigt ist, kann nämlich auch mit einer Frist kündigen, weil das die mildere Maßnahme ist.

 

Fazit:

Der sorgfältig begründeten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Liegen die strengen Anforderungen an eine fristlose Kündigung vor und spricht deshalb der Arbeitnehmer – nach vorheriger Abmahnung des Arbeitgebers – eine Eigenkündigung aus, können die Ansprüche nach § 628 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden. Die Vergütung muss dann bis zum Ablauf der vorgesehenen Kündigungsfrist weitergezahlt werden.

 

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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