
Die Kündigung von Schwangeren führt bekanntlich ohne weiteres zur Unwirksamkeit der Kündigung, § 17 Abs. 1 MuSchG. Immer wieder kommt es aber zu Fällen, in denen der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwangerschaft hat und dennoch kündigt. Auch die Schwangere hat nicht immer zum Zeitpunkt der Kündigung bereits eigene Kenntnis von der bestehenden Schwangerschaft. Wie verhält sich nun diese Unkenntnis zur dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG? Darf eine Schwangere auch nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist dennoch gegen eine Kündigung klagen, wenn sie erst nach Ablauf der drei Wochen Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt? Mit diesen Fragen hatte sich jetzt das Bundesarbeitsgericht ausführlich in einer aktuellen Entscheidung zu befassen (BAG v. 3.4.2025, 2 AZR 156/24). Wir möchten die wichtige Entscheidung hier für die Praxis besprechen.
Der Fall:
Die klagende Arbeitnehmerin war bereits seit Dezember 2012 bei dem beklagten Unternehmen beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13.5.2022, zugegangen am 14.5.2022, ordentlich zum 30.6.2022.
Am 29.5.2022, einem Sonntag, führte die Arbeitnehmerin privat einen Schwangerschaftstest mit einem positiven Ergebnis durch. Hierüber informierte sie ihren Arbeitgeber am selben Tag per E-Mail und bemühte sich umgehend um eine Vorstellung bei ihrer Frauenärztin. Dort erhielt sie einen Termin für den 17.6.2022.
Noch vor dem Termin hat sie am 13.6.2022 gegen die Kündigung Klage erhoben und diese mit einem Antrag auf nachträgliche Zulassung verbunden.
Nach dem Arzttermin reichte sie am 21.6.2022 ein ärztliches Zeugnis vom 20.6.2022 beim Arbeitsgericht ein, das eine bei ihr am 17.6.2022 festgestellte Schwangerschaft bestätigte. Die Klägerin verband diese Nachricht vorsorglich mit einem weiteren Antrag auf nachträgliche Klagezulassung. Der Mutterpass wies als voraussichtlichen Geburtstermin den 2.2.2023 aus. Danach hatte die Schwangerschaft am 28.4.2022 begonnen (Rückrechnung vom mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage).
Die Klägerin hat gemeint, die Klage sei gem. § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG nachträglich zuzulassen. Ohne die ärztliche Feststellung habe sie keine sichere Kenntnis von der Schwangerschaft gehabt. Im Übrigen sei auch die Kündigungsfrist nicht beachtet worden, wegen der Betriebszugehörigkeit seit 2012 habe eine dreimonatige Kündigungsfrist gegolten und die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis jedenfalls erst zum 31.8.2022 auflösen können.
Der Arbeitgeber hat hingegen die Auffassung vertreten, die Klägerin habe schon durch den Schwangerschaftstest am 29.5.2022 Kenntnis von ihrer Schwangerschaft gehabt. Zu diesem Zeitpunkt sei die dreiwöchige Klagefrist, gerechnet ab dem 14.5.2022, noch nicht abgelaufen gewesen. Sie sei daher durchaus in der Lage gewesen, fristgerecht innerhalb von drei Wochen Klage zu erheben.
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage nachträglich zugelassen und ihr stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Arbeitgebers zurückgewiesen.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.
I. Grundsatz: Einhaltung der dreiwöchigen Klagefrist
Klagen gegen eine Kündigung müssen innerhalb von drei Wochen beim zuständigen Arbeitsgericht eingereicht werden, § 4 S. 1 KSchG. Wird die 3-Wochen-Frist nicht eingehalten, wird die Kündigung wirksam. Dies folgt aus § 7 KSchG.
Hinweis für die Praxis:
Über die dreiwöchige Klagefrist muss sich jeder Arbeitnehmer selbst informieren. Bei Ausspruch der Kündigung muss der Arbeitgeber darüber nicht informieren oder den Mitarbeiter über die Einhaltung der Fristen belehren.
II. Sonderfall: Zustimmungserfordernis einer Behörde
Die dreiwöchige Klagefrist gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn die Kündigung vor Ausspruch die Zustimmung einer Behörde bedarf. In diesem Fall läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an. Dies ergibt sich aus § 4 S. 4 KSchG.
Bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer bedarf z.B. die Kündigung vor Ausspruch der Zustimmung des Inklusionsamts, also einer Behörde. Wird die Kündigung ohne Zustimmung des Inklusionsamtes in Kenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft ausgesprochen, läuft dann die dreiwöchige Kündigungsfrist ausnahmsweise nicht. Damit wird das Informationsdefizit des Arbeitnehmers im Hinblick auf die erforderliche behördliche Zustimmung korrigiert.
Hinweis für die Praxis:
Die besondere Vorschrift des § 4 S. 4 KSchG gilt aber nur bei Kenntnis des Arbeitgebers von dem Erfordernis einer behördlichen Zustimmung. Hat der Arbeitgeber keine Kenntnis von dem Erfordernis, weil ihm z.B. die Schwerbehinderteneigenschaft nicht bekannt ist, kommt die Vorschrift nicht zur Anwendung. Gleiches gilt für den Fall der Unkenntnis von einer Schwangerschaft, dazu weiter im Folgenden.
III. Unkenntnis von der Schwangerschaft
Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass die Vorschrift des § 4 S. 4 KSchG bei Unkenntnis des kündigenden Arbeitgebers von einer Schwangerschaft nicht eingreift. Ohne Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwangerschaft sind die Voraussetzungen des Sonderkündigungsschutzes und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Zustimmung zum Zeitpunkt des Ausspruchs bzw. des Zugangs der Kündigung nicht gegeben. Deshalb greift in solchen Fällen die dreiwöchige Frist nach § 4 S. 1 KSchG. Die Mitarbeiterin hätte daher im Grundsatz innerhalb von drei Wochen Klage einreichen müssen. Die Klagefrist lief hier aber wegen des Zugangs der Kündigung am 14.5.2022 am 7.6.2022 (Dienstag nach Pfingsten) ab. Die Klage selbst wurde erst am 13.6.2022 beim Arbeitsgericht eingereicht, also nach Ablauf der drei Wochen. Im vorliegenden Fall bestand aber die Besonderheit, dass auch die Arbeitnehmerin selbst zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch keine Kenntnis von der bestehenden Schwangerschaft hatte. Daher konnte sie die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage trotz Ablaufs der dreiwöchigen Klagefrist beantragen.
IV. Voraussetzungen nachträgliche Klagezulassung
Eine Kündigungsschutzklage ist auch nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist gem. § 5 Abs. 1 KSchG nachträglich zuzulassen, wenn nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt die Arbeitnehmerin gehindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen zu erheben. Die Rechtsprechung wendet diese Regelung bei Unkenntnis von der eigenen Schwangerschaft an. Dazu müssen dann aber alle Voraussetzungen einer nachträglichen Klagezulassung gegeben sein, was hier der Fall war.
Die Mitarbeiterin hatte positive Kenntnis von der Schwangerschaft zu zwei verschiedenen Zeitpunkten. Einmal aufgrund des eigenen Schwangerschaftstests am 29.5.2022 (Sonntag) und zum anderen auf Basis des ärztlichen Zeugnisses vom 20.6.2022. Die Schwangerschaft wurde bei dem ärztlichen Untersuchungstermin am 17.6.2022 festgestellt.
Maßgeblich für die Rechtsprechung ist das Ergebnis der frauenärztlichen Untersuchung. Eine Arbeitnehmerin ist nicht aufgrund einer entsprechenden Vermutung oder bloß vager Anhaltspunkte gehalten, auf Basis eines Schwangerschaftstests Fristen zu beachten. Eine Frist fängt daher in der vorliegenden Konstellation erst dann an zu laufen, wenn die Arbeitnehmerin nicht nur Kenntnis von ihrer Schwangerschaft als solche hat, sondern auch um den Beginn dieser Schwangerschaft weiß. Das wird in aller Regel aber erst der Fall sein, wenn sie ein entsprechendes ärztliches Zeugnis erhalten hat. Der Schwangerschaftstest allein verschafft ihr keine Gewissheit über den Zeitpunkt des Beginns der Schwangerschaft. Dieser ist aber maßgeblich, um festzustellen, ob sie zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits schwanger war. Erst mit dem ärztlichen Zeugnis kann der Beginn der Antragsfrist einfach und rechtssicher berechnet werden.
V. Alle Fristen eingehalten!
Die Arbeitnehmerin hatte hier am 29.5.2022 und damit innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist einen Schwangerschaftstest durchgeführt. Damit hatte sie aber noch keine positive Kenntnis darüber erlangt, ob die (mögliche) Schwangerschaft bereits zum mehr als zwei Wochen zurückliegenden Kündigungszeitpunkt (14.5.2022) bestanden hat. Dazu bedürfte es einer ärztlichen Untersuchung.
Sie hat sich unverzüglich um einen Untersuchungstermin bemüht und diesen für den 17.6.2022 vereinbart. Damit begann die Antragsfrist zur nachträglichen Zulassung der Klage erst am 18.6.2022 und wäre am 1.7.2022 abgelaufen. Hier hatte die Klägerin schon vor dem Untersuchungstermin am 13.6.2022 einen Antrag auf nachträgliche Zulassung gestellt. Der Antrag kann auch „vorfristig“ wirksam gestellt werden. Es ist auch unschädlich, dass sie vorsorglich nach dem ärztlichen Untersuchungstermin einen weiteren nachträglichen Zulassungsantrag eingereicht hatte. Der Antrag wurde auch mit der eigentlichen Klageerhebung verbunden. Damit waren alle Fristen gewahrt. Die Kündigungsschutzklage war nachträglich zuzulassen. Die Kündigung war wegen Verstoß gegen das Kündigungsverbot während der Schwangerschaft nach § 17 Abs. 1 MuSchG unwirksam.
Fazit:
Bei Unkenntnis der Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Ausspruchs einer Kündigung kann der Arbeitgeber das Zustimmungserfordernis der zuständigen Behörde nicht einholen. Umgekehrt weiß auch die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nichts von ihrer Schwangerschaft. Die Sondervorschrift des § 4 S. 4 KSchG greift in solchen Fällen nicht. Vielmehr muss die Arbeitnehmerin nach Kenntnis der Schwangerschaft dem Arbeitgeber unverzüglich die Schwangerschaft mitteilen. Ist dann die dreiwöchige Klagefrist schon abgelaufen, kann sie nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG beantragen. Die Kündigung ist dann in solchen Fällen nach § 17 MuSchG unwirksam. Maßgeblich ist dabei nicht ein selbst durchgeführter Schwangerschaftstest für die Kenntnis, sondern das Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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