13.08.2025 -
Das Hinweisgeberschutzgesetz sieht die Einrichtung einer internen Meldestelle vor. Doch hat der Betriebsrat bei der Einrichtung ein Mitbestimmungsrecht?
Erfahren Sie, ob bei der Einrichtung und Nutzung einer internen Meldestelle nach dem Hinweisgeberschutzgesetz das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats greift (credits: adobestock).

Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) sieht die Einrichtung einer internen Meldestelle vor, § 12 HinSchG. Bei der Ausgestaltung der Organisationsform der internen Meldestellen besteht für den Arbeitgeber Spielraum, § 14 HinSchG. Regelungsbedürftig ist auch die Frage, welche Regeln für die Nutzung der internen Meldestelle besteht, §§ 15 ff. HinSchG. Das Gesetz gibt also zahlreiche Vorgaben für interne Meldestellen. Das Arbeitsgericht Zwickau hatte nun als erstes Gericht zu entscheiden, ob bei der Ausgestaltung und Nutzung einer internen Meldestelle ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht (ArbG Zwickau v. 19.3.2025, 9 BV 12/24). Wir möchten die ausführliche und gut begründete Entscheidung hier für die Praxis besprechen.

Der Fall:

Der beteiligte Arbeitgeber betreibt ein Senioren- und Seniorenpflegeheim. In den Einrichtungen sind mehr als 480 Arbeitnehmer beschäftigt. Es besteht ein aus elf Mitgliedern bestehender Betriebsrat für das Senioren- und Seniorenpflegeheim. Zusätzlich ist ein Konzernbetriebsrat gebildet.

Der beteiligte Arbeitgeber veröffentlichte Ende Oktober 2023 eine Verfahrensanweisung zum HinSchG. Die Verfahrensanweisung galt ab dem 1.12.2023 für den beteiligten Arbeitgeber und auch zwei weitere Gesellschaften.

Der für das Seniorenpflegeheim gebildete Betriebsrat hat schriftlich seine Mitbestimmung bei der Einführung des internen Hinweisgebersystems geltend gemacht. Konkret hat der Betriebsrat seine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG beantragt.

Der Arbeitgeber hat die Mitbestimmung abgelehnt. Ein Mitbestimmungsrecht sei nicht gegeben, da eine Pflicht der Mitarbeiter zur Meldung von Verstößen nicht bestehe. Die Bildung der internen Meldestelle betreffe lediglich die Organisation und nicht die Ordnung des Betriebs.

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen.

I. Keine gesetzliche Regelung

Die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG greift nur dann, wenn nicht bereits eine gesetzliche Regelung besteht (Gesetzesvorbehalt). Sofern ein Gesetz die Angelegenheit bindet und abschließend regelt, fehlt es an einer Ausgestaltungsmöglichkeit durch die Betriebsparteien. Der Gesetzesvorbehalt greift jedoch insoweit nicht, als das betreffende Gesetz dem Arbeitgeber ein Gestaltungsrecht einräumt.

Das Arbeitsgericht hat ein solches Gestaltungsrecht hier bejaht. Die Vorschriften der §§ 12 bis 18 HinSchG schließen ein Mitbestimmungsrecht wegen vorrangiger gesetzlicher Regelungen nicht aus. Das Gesetz regelt nur das „Ob“ einer Einrichtung einer internen Meldestelle. Das HinSchG bietet aber Gestaltungsspielräume bei der Ausgestaltung. Für diese Ausgestaltung sehen die gesetzlichen Vorschriften keine Vorgaben vor, so dass ein Gesetzesvorbehalt hier nicht besteht.

Hinweis für die Praxis:

Diese Frage nach dem Gesetzesvorbehalt wiederholt sich in vielen mitbestimmungsrechtlichen Konstellationen. Zahlreiche Gesetze geben zwar die Einrichtung bestimmter Organisationsformen vor, die Ausgestaltung verbleibt aber beim Arbeitgeber. In all diesen Fällen besteht dann ein Mitbestimmungsrecht für diese Gestaltungsspielräume.

II. Ordnungsverhalten

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betrifft das sogenannte Ordnungsverhalten. Das Ordnungsverhalten ist berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Es beruht darauf, dass sie ihre vertraglich geschuldete Leistung innerhalb einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsorganisation erbringen und deshalb seinem Weisungsrecht unterliegen. Das berechtigt den Arbeitgeber dazu, Regelungen vorzugeben, die das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb beeinflussen und koordinieren sollen.

Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei diesen Maßnahmen soll gewährleisten, dass die Arbeitnehmer gleichberechtigt in die Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens einbezogen werden. Dazu sprengt das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die auf die betriebliche Ordnung bezogene Regelungsmacht des Arbeitgebers ein.

Hinweis für die Praxis:

Maßnahmen, die das sogenannte Arbeitsverhalten regeln sollen, sind demgegenüber nicht mitbestimmungspflichtig, dabei handelt es sich um solche Maßnahmen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar abgefordert oder konkretisiert wird.

III. Nutzung der internen Meldestelle mitbestimmungspflichtig

Das Arbeitsgericht hat die Mitbestimmung jedenfalls bezogen auf die Nutzung der internen Meldestelle nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bejaht. Zwar besteht in der arbeitsrechtlichen Literatur ein durchaus differenziert geführter Streit zu der Frage, welche

Mitbestimmungsrechte und in welchem Umfang bei der Einführung einer internen Meldestelle bestehen. Das Arbeitsgericht hat sich mit den verschiedenen Meinungen auseinandergesetzt und jedenfalls bezogen auf die Nutzung der Meldestelle klargestellt, dass diese das Verhalten der Arbeitnehmer und nicht die Organisation des Betriebes betrifft. Das Verhalten der Arbeitnehmer soll gesteuert werden. Dies allein reicht schon für die Bejahung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG aus. Nicht notwendig ist es dabei, dass es sich um verbindliche und verhaltensbegründende Regeln handelt.

IV. Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats!

Trotz des bestehenden Mitbestimmungsrechts hat allerdings das Arbeitsgericht den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen. Seine Zuständigkeit war hier nicht gegeben. Zuständig war vielmehr der Konzernbetriebsrat nach § 58 Abs. 1 BetrVG. Die interne Meldestelle wurde für sämtliche Unternehmen der Unternehmensgruppe zentral an einen Dritten vergeben. Die Verfahrensanweisung galt für alle Unternehmen. Sie sollte für den gesamten Konzern einheitliche Vorgaben zur Nutzung der internen Meldestelle darstellen. Ein solche einheitliche Regelung begründet die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats.

Fazit:

Regelungen zur Nutzung einer internen Meldestelle betreffen das Ordnungsverhalten. Der zuständige Betriebsrat hat dann nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitzubestimmen. Es besteht sogar ein Initiativrecht des Betriebsrats. Hingegen ist die Entscheidung über die konkrete Stelle, die als Dritter bzw. interne Meldestelle agieren soll, nicht mitbestimmungspflichtig. Insoweit greift der Gesetzesvorbehalt.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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