
Sexuelle Belästigungen, ob am Arbeitsplatz oder privat, sind nicht akzeptabel. Gerade im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis wird unmittelbar an den Ausspruch einer (fristlosen) Kündigung gedacht. Mit Mitarbeitern, die Kollegen sexuell belästigen, möchte man nicht mehr zusammenarbeiten. Das Vertrauensverhältnis ist empfindlich gestört. Eine Abmahnung erscheint vielen als zu milde und für den Verstoß nicht angemessen. Das LAG Niedersachsen hat nun in einem aktuellen Urteil klargestellt, dass mehrere schwerwiegende Pflichtverstöße regelmäßig eine vorhergehende Abmahnung entbehrlich machen (LAG Niedersachsen, Urt. v. 29.4.2025, 11 SLa 472/24). Wir möchten die Entscheidung hier besprechen.
Der Fall (verkürzt):
Der Arbeitgeber betreibt ein 4-Sterne-Hotel mit Bar und Restaurant. Der 1972 geborene, drei Kindern gegenüber unterhaltspflichtige und verheiratete Kläger ist dort seit dem 1. September 2004 als Restaurantleiter beschäftigt. Er ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Das Arbeitsverhältnis wurde zunächst fristlos, hilfsweise ordentlich am 13. September 2023 gekündigt. Nach Zustimmungsbescheid des zuständigen Integrationsamtes erfolgte eine weitere ordentliche Kündigung am 28. November 2023.
Der Arbeitgeber hat die Kündigung auf mehrfache sexuelle Belästigungen im Zeitraum 2019 bis 2023 gestützt. So habe sich der Kläger am 11. September 2023 in einem Hotel im Zusammenhang mit einer besuchten Weinmesse trotz klar erkennbarer vorheriger Ablehnung der Mitarbeiterin M. genähert und einen intimen Kontakt mit ihr gesucht. Der Kläger hat versucht, sie zu küssen. Am 26. Juli 2019 habe der Kläger die Mitarbeiterin E. von hinten an der Hüfte festgehalten und seinen Unterkörper mit erigiertem Glied gegen ihr Gesäß gedrückt. Dabei habe er ihr zugeflüstert, dass er noch sehr fit und körperlich einsatzfähig sei. Die Mitarbeiterin C. habe der Kläger im Frühjahr 2016 gefragt „Beherrscht Du auch das andere Französisch gut oder nur die Sprache?“. Gegenüber der Mitarbeiterin S. habe der Kläger ab Ende 2022 mehrfach im Monat geäußert: „Möchtest Du einmal mit mir schlafen?“ oder „Darf ich mal Deine Brüste anfassen?“ oder „Hast Du schon mal einen Dreier gehabt oder möchtest Du das mal ausprobieren?“. Am 23. August 2023 sei der Kläger auf die Empfangsleiterin der Beklagten Frau E. zugekommen, habe ihren Blazer links und rechts zur Seite geschoben, ihre Oberweite betrachtet und gesagt „Wo stillst Du denn zwei Kinder? Da ist doch gar nichts“.
Klageverfahren
Den Klageanträgen wurde zunächst umfassend durch Versäumnisurteil stattgegeben, da der Arbeitgeber beim ersten Kammertermin vor dem Arbeitsgericht nicht erschienen ist. Auf den rechtzeitigen Einspruch hat man sich dann in der Folge nur noch über die Kündigung vom 28. November 2023 gestritten. Das Versäumnisurteil ist hingegen für die ordentliche und fristlose Kündigung vom 13. November 2023 rechtskräftig geworden.
Der Kläger hat vorgetragen, da die Kündigung vom 13. September 2023 das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch hilfsweise ordentlich aufgelöst habe, sei diese Feststellung in Rechtskraft erwachsen. Daher sei auch die weitere Kündigung vom 28. November 2023 unwirksam, da die Kündigungsgründe identisch seien.
Die sexuellen Belästigungen seien ebenfalls nicht für eine Kündigung ausreichend. Bei dem Sachverhalt in Bezug auf Frau M. sei zu beachten, dass es sich bei der besuchten Weinmesse um eine private Veranstaltung gehandelt habe. In Bezug auf die anderen Mitarbeiterinnen bestreite er die jeweils erhobenen Vorwürfe.
Die Entscheidung:
Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung vom 28. November 2023 für wirksam erachtet.
I. Keine Präklusion durch das Versäumnisurteil
Zunächst hat das Landesarbeitsgericht klargestellt, dass es sich nicht um eine unzulässige Wiederholungskündigung handelt. Das Arbeitsgericht hat sich im Rahmen seines Versäumnisurteils nicht inhaltlich mit den materiellen Kündigungsgründen befasst. Es handelte sich um ein Versäumnisurteil. Der Arbeitgeber war hier nicht daran gehindert, eine weitere Kündigung, wie geschehen am 28. November 2023, mit Gründen zu rechtfertigen, die bereits vor der vorhergehenden Kündigung eingetreten waren.
Hinweis für die Praxis:
Eine Wiederholungskündigung ist im Arbeitsrecht durchaus üblich. Es mag sein, dass bestimmte Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, z.B. die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates oder eine Fristversäumnis, so dass dann häufig nochmals gekündigt wird, um diese Fehler zu heilen. Hat sich aber ein Arbeitsgericht bereits mit Kündigungsgründen inhaltlich befasst und rechtskräftig die Unwirksamkeit festgestellt, kann eine nachfolgende Kündigung dann nicht mehr erneut auf diese Kündigungsgründe gestützt werden.
II. Keine Abmahnung erforderlich!
Der Mitarbeiter hatte hier die Vorwürfe bestritten. Das Landesarbeitsgericht hat daher die betroffenen Mitarbeiterinnen sämtlich als Zeuginnen vernommen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme war das Landesarbeitsgericht dann in allen Punkten überzeugt von den sexuellen Belästigungen.
Wegen der Schwere der einzelnen Pflichtverletzungen war hier eine vorherige Abmahnung entbehrlich. Dem Kläger musste bewusst sein, dass es sich bei seinem Verhalten um eine sehr schwere Vertragspflichtverletzung handelte, die von dem Arbeitgeber nicht geduldet werden würde. Es gab keinerlei Anlass für ihn davon auszugehen, dass sein Verhalten zunächst auch nur mit einer Abmahnung geahndet würde. Auch andere mildere Mittel, wie eine Versetzung kamen hier nicht in Betracht.
Hinweis für die Praxis:
Ganz erkennbar waren hier die jeweiligen Pflichtverletzungen, schon einzeln, so gravierend, dass wegen der Schwere eine Abmahnung nicht notwendig war.
Fazit:
Sexuelle Belästigungen können die (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. In schwerwiegenden Fällen, wie hier, muss auch eine vorhergehende Abmahnung nicht vorrangig ausgesprochen werden. Zur weiteren Vertiefung der Thematik verweisen wir auf unseren Aktuellen Bericht in B+P, Ausgabe Juli 2018 (Nicolai Besgen, Sexuelle Belästigung: Einmal „Grabschen“ erlaubt oder fristlose Kündigung? B+P, 2018, S. 451 bis 454.).
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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