26.09.2018 -

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung beträgt bekanntlich sechs Wochen, § 3 EFZG. Ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von erneut sechs Wochen entsteht grundsätzlich immer dann, wenn der Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut krankheitsbedingt arbeitsunfähig wird und die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht.

Das Landesarbeitsgericht Köln hatte sich mit der sehr praxisrelevanten Frage zu befassen, wen die Darlegungs- und Beweislast trifft, wenn der Arbeitnehmer behauptet, er sei kurz gesund gewesen und habe deshalb einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen (LAG Köln v. 15.11.2016, 12 Sa 453/16). Das Urteil gibt wichtige Hinweise, in welchen Fällen ein Anspruch regelmäßig ausgeschlossen wird.


Das LAG Köln hat in seinem Urteil vom 15.11.2016 darüber entschieden, wen die Darlegungs- und Beweislast trifft, wenn der Arbeitnehmer behauptet, er sei kurz gesund gewesen und habe deshalb einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. 

Der Fall:

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus dem bereits beendeten Arbeitsverhältnis. Der Kläger war bei dem beklagten Arbeitgeber als Rohrnetzmonteur vom 20. März 1978 bis zum 30. November 2015 beschäftigt. Er litt unter diversen gesundheitlichen Einschränkungen. In einem Prozessvergleich vor dem Landesarbeitsgericht Köln wurde am 17. Dezember 2014 die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2015 vereinbart.

Nach Abschluss dieses Vergleichs arbeitete der Kläger noch an vier Tagen (18. Dezember 2014, 26. und 27. Januar 2015 sowie 13. März 2015). Im Übrigen hat der Kläger an 11 Tagen Urlaub in Anspruch genommen und war die restliche Zeit arbeitsunfähig erkrankt.

Eine Begutachtung der Arbeitsunfähigkeit durch den Medizinischen Dienst bestätigte die Arbeitsunfähigkeit mit dem Ergebnis, dass der Kläger „ohne Zweifel auf unabsehbare Zeit arbeitsunfähig“ sei.

Der behandelnde Hausarzt erteilte dem Kläger u.a. am 29. Mai 2015 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erstbescheinigung, mit der eine Arbeitsunfähigkeit zunächst voraussichtlich bis einschließlich 12. Juni 2015 bestätigt wurde. Am 12. Juni erteilte der Hausarzt eine Folgebescheinigung bis einschließlich 30. Juni 2015. Eine weitere Folgebescheinigung wurde bis einschließlich Freitag, 3. Juli 2015 ausgestellt.

Für das darauffolgende Wochenende (Samstag, 4. Juli und Sonntag, 5. Juli 2015) liegt keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Ab Montag, 6. Juli 2015, stellte der Hausarzt dem Kläger eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erstbescheinigung aus, zunächst bis voraussichtlich einschließlich 17. Juli 2015, später verlängert bis einschließlich 31. Juli 2015.

Der Kläger verlangte von dem Arbeitgeber Entgeltfortzahlung ab dem 6. Juli 2015 mit der Begründung, die bisherige Arbeitsunfähigkeit sei mit dem 3. Juli 2016 beendet gewesen, er sei das Wochenende arbeitsfähig gewesen und ab dem 6. Juli 2015 aufgrund einer anderen Erkrankung als zuvor arbeitsunfähig erkrankt.

Der Arbeitgeber hat hingegen die Auffassung vertreten, es läge eine Fortsetzungserkrankung vor. Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangt, insbesondere nicht an dem Wochenende nach dem 3. Juli 2015.

Das Arbeitsgericht hat den Hausarzt als Zeugen vernommen. Dieser sagte aus, dass er keine Feststellung getroffen habe, ob der Kläger am 4. und 5. Juli arbeitsfähig gewesen sei. Die ab dem 6. Juli 2015 diagnostizierten Beschwerden dürften jedoch auch schon vorher bestanden haben.

Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage in Höhe von 3.291,92 Euro brutto stattgegeben.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat hingegen die Klage in der Berufung abgewiesen.

I. Einheit des Verhinderungsfalles

Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für sechs Wochen besteht dann nicht, wenn es sich bei der neuen Erkrankung um eine Fortsetzung der früheren Erkrankung handelt, die auf demselben nicht behobenem Grundleiden beruht (sogenannte Fortsetzungserkrankung). Darüber hinaus hat das Bundesarbeitsgericht aber in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles entwickelt.

Nach diesem Grundsatz entsteht ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch dann nicht, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (zuletzt bestätigt durch BAG 25.05.2016 – 5 AZR 318/15). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist nicht ersichtlich, weshalb ein Arbeitnehmer, der bereits arbeitsunfähig erkrankt ist und dessen Entgeltfortzahlungsanspruch nach sechs Wochen ausläuft, bessergestellt werden soll, nur weil eine weitere Erkrankung hinzutritt.

Insofern entsteht ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zur erneuten Arbeitsverhinderung führt. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden.

II. Beweislastverteilung

Hinsichtlich der Beweislastverteilung trifft das Risiko, nicht mehr feststellen zu können, ob Arbeitsunfähigkeit infolge einer bestimmten Krankheit erst ab dem vom behandelnden Arzt attestierten Zeitpunkt bestanden hat oder schon während einer unmittelbar vorangegangenen sechswöchigen Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer anderen Krankheit eingetreten ist, grundsätzlich den Arbeitnehmer.

Denn anders als bei der Fortsetzungserkrankung betrifft der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls nicht eine vom Arbeitgeber einzuwendende Ausnahme, sondern eine der Voraussetzungen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG trägt der Arbeitnehmer. Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig ist, trifft ihn auch für deren Beginn und Ende die objektive Beweislast.

Hier konnte sich zwar der Arbeitnehmer zunächst auf die neue ärztliche Arbeitsunfähigkeit ab Montag 6. Juli 2015 stützen. Es lagen jedoch gewichtige Indizien dafür vor, dass die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruhte, die bereits vor dem attestierten Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat. In einem solchen Fall muss der Arbeitnehmer als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs den von ihm behaupteten Beginn der „neuen“ krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung beweisen.

Das Landesarbeitsgericht hat auf Basis einer erneuten Zeugenvernehmung des behandelnden Hausarztes und der weiteren Indizien diesen Beweis als nicht geführt angesehen. So habe der Kläger in einem Zeitraum von einem Jahr lediglich an insgesamt vier Arbeitstagen seine Arbeitsleistung erbracht. Daher stelle die Erbringung der Arbeitsleistung die absolute Ausnahme dar und die Krankheit den absoluten Regelfall. Der Kläger habe auch keinerlei Dispositionen getroffen, am Montag wieder zur Arbeit zu erscheinen. Zudem habe auch der Medizinische Dienst eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit „ohne Zweifel“ festgestellt. Dass daher der Kläger ausgerechnet am streitgegenständlichen Wochenende kurz gesund war, sei nicht anzunehmen.

Fazit:

Die Entscheidung ist für die Praxis von besonderer Bedeutung. Es macht einen großen finanziellen Unterschied, ob bei dauererkrankten Mitarbeitern ein neuer Entgeltfortzahlungszeitraum ausgelöst wird, wenn eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an einem Freitag endet und an einem Montag eine neue Erstbescheinigung ausgestellt wird. Die Darlegungs- und Beweislast trifft aber weiterhin den Arbeitnehmer für die Tatsache, dass er an dem Wochenende gesund war. Kann der Arbeitgeber Indizien vortragen, die gegen eine Genesung sprechen, muss daher der Arbeitnehmer für seine kurze Gesundung Beweis führen.

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