04.05.2017 -

Bei einem größeren Personalabbau kann der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat eine Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG vereinbaren, wenn es sich dabei um eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG handelt. Eine solche Namensliste soll dem Arbeitgeber bei einer Vielzahl von betriebsbedingten Kündigungen Rechtssicherheit verschaffen. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu entschieden, dass bei einem Personalabbau in Wellen die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG nur dann greifen, wenn über die gesamte geplante Betriebsänderung ein Interessenausgleich vereinbart wird (BAG, Urteil v. 17.03.2016 – 2 AZR 182/15). In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht auch seine Rechtsprechung zur sogenannten Vorratsbetriebsratsanhörung präzisiert. Die verschiedenen Aspekte der Entscheidung sollen hier für die Praxis erläutert werden.

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer ist seit 1996 bei dem beklagten Unternehmen als Maschinenbediener beschäftigt.

Im August 2012 vereinbarte der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich. In diesem Interessenausgleich vereinbarten die Betriebspartner eine Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG mit den Namen von 38 Arbeitnehmern. Beschäftigt waren insgesamt mehr als 800 Arbeitnehmer. Der Kläger stand mit 61,5 Punkten an Position 21.

Mit Schreiben vom 18. September 2012 hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. In diesem teilte er mit, er beabsichtige eine ordentliche Beendigungskündigung zum 31. März 2013 auszusprechen. „Vorsorglich“ werde der Betriebsrat „zugleich“ zu einer ordentlichen Änderungskündigung angehört.

Der Arbeitnehmer erhob gegen die ordentliche Beendigungskündigung Klage.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen in vollem Umfange bestätigt. Die Kündigung war nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG unwirksam.

I. Betriebsratsanhörung auf Vorrat?

Die Kündigung scheiterte nicht an einer wirksamen Betriebsratsanhörung. Der Arbeitgeber war berechtigt, eine „Vorratsanhörung“ durchzuführen.

Die Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG soll dem Betriebsrat Gelegenheit geben, die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung zu bilden, um ggf. auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Diesem Zweck widerspricht es, das Verfahren zu einem Zeitpunkt einzuleiten, in dem der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss noch nicht abschließend gefasst hat. Die Anhörung des Betriebsrats erfolgt dann vorzeitig, nämlich in einer Phase, in der die Kündigungsüberlegungen noch unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklung stehen. Eine solche Anhörung „auf Vorrat“ ist unzulässig. Der Betriebsrat könnte sich dann lediglich gutachterlich zu einem fiktiven Sachverhalt äußern.

Davon zu unterscheiden sind aber Anhörungen, die lediglich offen lassen, ob der Arbeitgeber eine Änderungs- oder eine Beendigungskündigung erklären wird. Steht nämlich der Kündigungssachverhalt für beide Alternativen im Zeitpunkt der Anhörung fest und wird jedenfalls definitiv eine der beiden Kündigungen ausgesprochen, widerspricht dies nicht dem Schutzzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG. Die Willensbildung des Arbeitgebers, auf die dem Betriebsrat die Einflussnahme ermöglicht werden soll, ist dann regelmäßig abgeschlossen. Der Arbeitgeber möchte in jedem Fall kündigen. Es handelt sich um einen feststehenden Sachverhalt. Dem Betriebsrat stehen auch sämtliche die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflussenden Informationen zur Verfügung.

Hinweis für die Praxis:

Vorratsanhörungen sind nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich möglich. Allerdings ist genau darauf zu achten, dass dem Betriebsrat ein abschließender und feststehender Sachverhalt präsentiert wird. Behält sich der Arbeitgeber noch eine abschließende Entscheidung vor oder wird deutlich, dass er seinen Kündigungsentschluss noch nicht abschließend gefasst hat, würde dies zur Unwirksamkeit der Anhörung führen.

II. Personalabbau in Wellen und Namensliste

Die mit dem Betriebsrat vereinbarte Namensliste zum Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5 KSchG war hier unwirksam. Es lag lediglich ein Interessenausgleich über einen Personalabbau von 38 Mitarbeitern vor. Dieser erfüllte aber nicht die Voraussetzungen für eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG bei bloßem Personalabbau. Für Großbetriebe liegt eine Betriebsänderung bei bloßem Personalabbau erst bei einem Personalabbau von 5 % der Gesamtbelegschaft vor, hier also mindestens 40 Arbeitnehmer.

Der Arbeitgeber hat sich auf eine einheitliche unternehmerische Planung und mehrere Entlassungswellen berufen. Für die vor dem Interessenausgleich bereits ausgesprochenen Entlassungen lag jedoch kein Interessenausgleich vor. Die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG greift aber nur dann ein, wenn die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung vollumfänglich Gegenstand einer Verständigung der Betriebsparteien im Sinne des § 111 S. 1, § 112 BetrVG ist. Ein Interessenausgleich nur über Teile eines geplanten Stellenabbaus reicht hingegen nicht aus. Nur bei einer Einflussmöglichkeit des Betriebsrats auf die gesamte unternehmerische Maßnahme und ihre Folgen für die davon betroffenen Arbeitnehmer können die besonderen Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG eingreifen. An einer solchen Einflussnahmemöglichkeit fehlt es aber, wenn der Betriebsrat nicht über einen gesamten Personalabbau, auch wenn er in Wellen ausgesprochen wird, im Rahmen eines Interessenausgleichs mitbestimmen kann.

Fazit:

Bei einem sukzessiven durchgeführten Personalabbau in mehreren Wellen sind die Personalabbaumaßnahmen grundsätzlich zusammenzurechnen und gelten bei Erreichen des maßgeblichen Schwellenwerts als „eine“ Betriebsänderung im Sinne von § 111 S. 1, § 112 BetrVG. Es reicht aber nicht aus, dass lediglich über Teile des geplanten Stellenabbaus ein Interessenausgleich mit Namensliste zu Stande kommt. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen sich vielmehr über die gesamte geplante Betriebsänderung in einem Interessenausgleich verständigen.

Der Betriebsrat kann alternativ zu einer Beendigungs- oder Änderungskündigung angehört werden (sogenannte Vorratsanhörung). Eine solche Vorratsanhörung ist aber nur dann zulässig, wenn für beide Szenarien der Kündigungssachverhalt abschließend feststeht. Stehen die Kündigungsüberlegungen noch unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklung, schließt dies hingegen eine wirksame Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG aus.

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