17.04.2017 -

Betriebsvereinbarung und allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gilt nicht nur für individualvertragliche Entscheidungen des Arbeitgebers, z.B. bei der Gewährung von Sonderzahlungen. Vielmehr unterliegen auch die Betriebsparteien dem (betriebsverfassungsrechtlichen) Gleichbehandlungsgrundsatz. Eine Missachtung dieses Grundsatzes kann dazu führen, dass die benachteiligte Gruppe die ihnen vorenthaltenen Leistungen dennoch beanspruchen können. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil diese Rechtsprechung bestätigt und nochmals die Grundsätze, die von der betrieblichen Praxis zu beachten sind, aufgezeigt (BAG, Urteil v. 26.04.2016 – 1 AZR 435/14).

Der Fall:

Die Parteien streiten über Sonderzahlungen nach einer Betriebsvereinbarung. Der Kläger ist bereits seit 1984 als Fernfahrer bei der Beklagten beschäftigt. In dem Unternehmen wurden jährlich mit dem Betriebsrat Betriebsvereinbarungen über eine Sonderzahlung vereinbart. Deren Höhe belief sich auf einen jährlich unterschiedlichen Prozentbetrag. Für die Fernfahrer war jeweils ein niedrigerer Prozentsatz als bei den anderen Arbeitnehmern festgesetzt.

Die Betriebsvereinbarungen wurden jeweils immer nur für ein Jahr vereinbart und endeten dann automatisch ohne Nachwirkung.

Die Prozentsätze für das Jahr 2010 beliefen sich für die Fernfahrer auf 2,94 % und für alle anderen Mitarbeiter auf 4 %, im Jahre 2011 für die Fernfahrer auf 4,61 % und für alle anderen Mitarbeiter auf 6,4 % und im Jahre 2012 für die Fernfahrer auf 6,48 % und für alle anderen Mitarbeiter auf 9 %.

Mit seiner Klage hat der klagende Arbeitnehmer die Differenzbeträge geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Festsetzung des geringeren Prozentsatzes für die Fernfahrer verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Der Arbeitgeber hat hingegen vorgetragen, er habe lediglich die Betriebsvereinbarungen vollzogen. Ungeachtet dessen hätten die Betriebsparteien mit der Differenzierung bei der Höhe der Sonderzahlungen sicherstellen wollen, dass die Fernfahrer im Hinblick auf ihre längeren Arbeitszeiten, die zu höheren Jahresentgelten führten, nicht gegenüber anderen Arbeitnehmern bevorzugt würden.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage über 1.766,12 € abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und dem Anspruch stattgegeben.

I. Betriebsverfassungsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz

Die Betriebsparteien haben bei Betriebsvereinbarungen § 75 Abs. 1 BetrVG zu beachten. Der dort geregelte und auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen.

Sind in einer Betriebsvereinbarung für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Leistungen vorgesehen, verlangt der Gleichheitssatz, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Maßgeblich hierfür ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck. Dieser ergibt sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird. Dabei ist bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichheitssatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.

Hinweis für die Praxis:

Die Argumentation des Arbeitgebers, die Unterscheidung sei schon deshalb gerechtfertigt, da die Fernfahrer im Hinblick auf ihre längeren Arbeitszeiten einen höheren Verdienst aufweisen, war nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts unbeachtlich. Der höhere Verdienst ist – wie bei allen anderen Arbeitnehmern auch – ein Äquivalent für eine entsprechende Arbeitsleistung. Damit kann der höhere Verdienst keinen sachlichen Grund für eine Differenzierung darstellen.

II. Rechtsfolge bei gleichheitswidrige Gruppenbildung

Die gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßende Ausgestaltung der Sonderzahlung für die Fernfahrer führt dazu, dass diese die ihnen durch die gleichheitswidrige Gruppenbildung vorenthaltene, also die allen anderen Mitarbeitern zustehende, Leistung beanspruch können. In dem der gleichheitswidrige Tatbestand nicht angewandt wird, kann die Gleichstellung mit den übrigen Arbeitnehmern erreicht werden.

Fazit:

Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gilt umfassend. Er ist nicht nur bei Individualmaßnahmen des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern zu beachten, sondern auch die Betriebspartner müssen diesen Grundsatz beachten. Verstöße führen dazu, dass die benachteiligten Mitarbeiter die höhere Leistung beanspruchen können.

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