Im Rahmen der sogenannten Testierfreiheit steht es jedem Menschen grundsätzlich frei, auch einen seiner nächsten Angehörigen zu enterben. Den sogenannten Pflichtteil erhalten die pflichtteilsberechtigten Verwandten (Abkömmlinge, Eltern, Ehegatten) jedoch auch im Fall der Enterbung. Erst wenn der Pflichtteilsberechtigte eine schwerwiegende Verfehlung begangen hat, kann der Erblasser diesem auch den Pflichtteil durch eine testamentarische Verfügung entziehen. Nach einer vom saarländischen Oberlandesgericht veröffentlichten Entscheidung kann der Pflichtteil schon dann entzogen werden, wenn der Erbberechtigte den Erblasser schlägt und beleidigt.

Der Fall:

Die Tochter des Erblassers verließ ihren Ehemann und ihre drei minderjährigen Kinder, um sich einer neuen Beziehung mit einem verheirateten Mann zu widmen. Bei einem Zusammentreffen des Erblassers, dessen Tochter, dem in Trennung lebenden Ehemann dieser Tochter sowie einer weiteren Tochter des Erblassers kam es dann zwischen der (später enterbten) Tochter und dem Erblasser zu einem heftigen Streit über die Trennung. Nachdem der Erblasser erklärt hatte, sie wisse überhaupt nicht, was sie ihren Kindern antue, schlug die Tochter den Erblasser mehrfach mit der Hand ins Gesicht. Zudem zeigte sie ihrem Vater den gestreckten Mittelfinger und bezeichnete ihn als „Drecksschwein“, „Arschloch“ und „Idiot“, dem sie wünsche, er möge „verrecken“.

Daraufhin errichtete der Erblasser ein notarielles Testament, in dem er die besagte Tochter nicht nur enterbte, sondern ihr darüber hinaus auch den Pflichtteil entzog. Dazu enthielt das Testament folgenden Wortlaut: „Meine Tochter hat mich Ende April 1996 am Tage ihres Auszuges aus dem Hausanwesen geschlagen. Bei diesem Vorfall waren mein Schwiegersohn sowie meine andere Tochter anwesend.“

Gegen diese Entziehung des Pflichtteils ging die betroffene Tochter nach Eintritt des Erbfalls gerichtlich vor.

Entscheidung des Oberlandesgerichts:

Das saarländische Oberlandesgericht sah in der nun veröffentlichten Entscheidung die Voraussetzungen für eine wirksame Pflichtteilsentziehung wegen eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Erblasser als gegeben an. Nach der gesetzlichen Regelung muss die Entziehung des Pflichtteils im Rahmen einer letztwilligen Verfügung erfolgen, in der der Grund der Entziehung angegeben wird. In der erbrechtlichen Praxis und Rechtsprechung sind die genauen Anforderungen an eine solche Pflichtteilsentziehung bislang noch nicht abschließend geklärt.

Die Angabe muss jedenfalls hinreichend konkret erfolgen, sodass später gerichtlich geklärt werden kann, auf welchen Entziehungsgrund der Erblasser seinen Entschluss stützt. Dieses Erfordernis ist aus Sicht des Gesetzgebers insbesondere auch deshalb erforderlich, um ein „Nachschieben von Gründen“ durch die Erben, die ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Wirksamkeit der Pflichtteilsentziehung haben, vermeiden zu können.

In diesem Zusammenhang hat das Oberlandesgericht nun entschieden, dass der Grund der Pflichtteilsentziehung zwar konkret angegeben, aber nicht in allen Einzelheiten geschildert werden muss. Der Erblasser braucht in seiner letztwilligen Verfügung nicht den gesamten Geschehensablauf in allen Einzelheiten zu schildern. Vielmehr ist zu prüfen, ob die durch Auslegung ermittelten konkreten Einziehungsgründe in dem Testament selbst einen hinreichenden Ausdruck gefunden haben. Im vorliegenden Testament waren die Angaben so konkret, dass sie die gerichtliche Klärung der relevanten Einzelheiten des als Entziehungsgrund benannten Geschehensablaufes einschließlich der die Körperverletzung begleitenden massiven Beschimpfungen ohne weiteres ermöglichte. Dabei nahm das Gericht auch besonderen Bezug auf die Benennung der beiden Zeugen in der letztwilligen Verfügung, die die Grundlage dafür schuf, um später die Begleitumstände der Schläge aufklären und beweisen zu können.

Im Hinblick auf die Schwere des vorsätzlichen Vergehens stellte das Oberlandesgericht auch klar, dass das Ausbleiben von Verletzungsfolgen (durch die Ohrfeigen) für die Wirksamkeit der Pflichtteilsentziehung ohne Bedeutung sei. Die unangemessene Behandlung braucht weder grob noch gefährlich oder besonders schwer zu sein.

Die Pflichtteilsentziehung setzt allerdings nicht nur eine vorsätzliche Körperverletzung voraus, sondern stets auch eine schwere Verletzung der familiären Achtung, die Kinder ihren Eltern schulden (Pietätsverletzung). Diese Verletzung muss so schwerwiegend sein, dass sie das Eltern-Kind-Verhältnis empfindlich stört. In diesem Zusammenhang würdigte das Gericht insbesondere, dass Schläge ins Gesicht schon für sich genommen demütigend sind. Zusätzlich berücksichtigte das Gericht, dass die Tochter den Erblasser in gröbster und verletzendster Weise – und zwar im Beisein weiterer Personen – beleidigt hatte.

Das saarländische Oberlandesgericht teilte die Einschätzung der Tochter auch nicht, ihr Fehlverhalten wiege deshalb weniger schwer, weil ihr Vater sich trotz heftiger (nach der Behauptung der Tochter) auch körperlicher Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihrem damaligen Ehemann mit Vorwürfen in ihre persönlichen Angelegenheiten eingemischt und sich dabei gegen sie gestellt hat. Die Äußerungen des Erblassers zu der Trennung – so das Oberlandesgericht weiter – seien auch dann nicht übergriffig, wenn es im Rahmen des gesamten Konflikts möglicherweise sogar zu Handgreiflichkeiten und Beleidigungen zwischen den Eheleuten gekommen sein sollte. Denn bei der Prüfung der Pflichtteilsentziehung sei in erster Linie die Verletzung der familiären Bande zwischen Erblasser und pflichtteilsberechtigtem Kind zu würdigen.

Zusammenfassung:

Immer wieder stellen sich Eltern die Frage, ob sie einem ihrer Kinder (auch) den Pflichtteilsanspruch entziehen können, da sie für ihren Erbfall den Wunsch verfolgen, dieses Kind ganz von der wirtschaftlichen Teilhabe am zu vererbenden Vermögen auszuschließen. Regelmäßig wird in diesen Situationen mit wirtschaftlichen Erwägungen („mein Sohn kann einfach nicht mit Geld umgehen“) argumentiert. Oft wird man den ratsuchenden Eltern sagen müssen, dass ihre Erwägungen für eine Pflichtteilsentziehung nicht ausreichen. Auf der anderen Seite gibt die Entscheidung des saarländischen Oberlandesgerichts allerdings Anlass dazu, die Möglichkeit einer Pflichtteilsentziehung nicht erst dann zu prüfen, wenn das pflichtteilsberechtigte Kind schwerste Straftaten gegen die eigenen Eltern begangen hat. Vielmehr kann schon bei Geschehensabläufen wie dem vorstehend dargestellten eine Pflichtteilsentziehung gerechtfertigt sein. Um in der letztwilligen Verfügung allerdings auch eine wirksame Pflichtteilsentziehung anzuordnen, sollten mögliche Betroffene bei der Formulierung anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen.

Autor

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