11.08.2016

Die Steuerfahndung darf von einem Zeitungsverlag die Übermittlung von Personen- und Auftragsdaten zu den Auftraggebern einer bestimmten Anzeigenrubrik verlangen. Dies entschied der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 12. Mai 2016, II R 17/14, der hierin keinen Verstoß gegen die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit erkennt.

Der Fall

Im Streitfall richtete die Steuerfahndungsstelle an die Herausgeberin einer Tageszeitung und eines Anzeigenblatts ein Auskunftsersuchen. Das Finanzamt verlangte für einen Zeitraum von insgesamt zwei Jahren die Übermittlung von Namen und Adressen sämtlicher Auftraggeber von Anzeigen der Rubrik „Kontakte“, in denen sexuelle Dienstleistungen beworben wurden. Das Finanzamt begründete sein Auskunftsersuchen u.a. mit einem vom Bundesrechnungshof beanstandeten Vollzugsdefizit bei der Besteuerung der im Rotlichtmilieu tätigen Betriebe und Personen. Das Finanzgericht sah darin eine ausreichende Begründung für das Auskunftsersuchen und wies die Klage ab. Die hiergegen eingelegte Revision wies der BFH als unbegründet zurück.

Die Entscheidung des BFH

Finanzbehörden dürfen unter bestimmten Voraussetzungen Sammelauskunftsersuchen an andere Personen als die am Steuerverfahren Beteiligten richten. Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO haben andere Personen als die am Steuerverfahren Beteiligten – hier die Zeitungsverlage – der Finanzbehörde die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte – einschließlich der Sammelauskünfte – zu erteilen. Allerdings sollen sie nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AO erst dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht (Subsidiaritätsgrundsatz).

Die Auskunftspflicht anderer Personen nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO ist – so der BFH –  wie die prozessuale Zeugenpflicht eine allgemeine Staatsbürgerpflicht und verfassungsrechtlich – ebenso wie die Auskunftspflicht der Beteiligten – grundsätzlich unbedenklich. Sie ist Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und verstößt insbesondere nicht gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Ein hinreichender Anlass für das Sammelauskunftsersuchen ergibt sich für den BFH

  • zum einen aus den Erfahrungswerten des Finanzamts, dass bisherige Ermittlungen zu Auftraggebern von Annoncen, in denen sexuelle Dienstleistungen angeboten wurden, zu nicht unerheblichen Steuernachzahlungen geführt hatten, und
  • zum anderen aus der Feststellung von Vollzugsdefiziten bei der Besteuerung von Einnahmen und Einkünften von Betrieben und Personen des Rotlichtmilieus durch den Bundesrechnungshof und den Niedersächsischen Landesrechnungshof.

Das Finanzamt darf mit Auskunftsersuchen hingegen nicht anlasslos „ins Blaue hinein“ ermitteln.

Da dem Finanzamt keine anderen Aufklärungsmittel zur Verfügung stehen, ist das Sammelauskunftsersuchen auch – im Rechtssinn – notwendig. Insbesondere kann das Finanzamt laut BFH nicht darauf verwiesen werden, sich zunächst selbst an die Anzeigenauftraggeber zu wenden. Wie der BFH bereits früher entschieden hatte, kann die Steuerfahndung von einer Tageszeitung die Benennung der Inserenten einzelner Chiffre-Anzeigen fordern, ohne sich zunächst selbst über Chiffre an die unbekannten Inserenten zu wenden (BFH, Urteil vom 29.10.1986 – VII R 82/85, unter II.4.c). Das gilt erst recht bei einer Vielzahl von sonst erforderlichen Einzelanfragen (BFH, Urteil vom 16.05.2013 – II R 15/12, dort Tz. 59)

Keine überwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung

Die von dem Auskunftsersuchen ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen dürfen nicht schwerer wiegen als die durchzusetzenden Allgemeininteressen.

Soweit es die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Zeitungsverlage geht, hält der BFH die schutzwürdigen Allgemeininteressen als schwerwiegender:

„Richtet sich ein Sammelauskunftsersuchen darauf, die Identität von Geschäftspartnern zu offenbaren, ist grundsätzlich auch das wirtschaftliche Interesse des Auskunftspflichtigen am Fortbestand seines Geschäftsbetriebs zu berücksichtigen. Mögliche wirtschaftliche Einbußen des Steuerpflichtigen durch Ausbleiben von Inserenten, Kunden oder Geschäftspartnern führen jedoch nicht von vornherein zur Unzulässigkeit eines Sammelauskunftsersuchens, sondern sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung gegenüber den mit den Ermittlungen des Finanzamts verfolgten Interessen der Allgemeinheit abzuwägen. Das Vertrauen von Geschäftspartnern, durch Verwendung von Pseudonymen Steuern gefahrlos verkürzen zu können, ist nicht schutzwürdig. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit der Auskunftserteilung ist der hohe Stellenwert des Interesses der Allgemeinheit an einer möglichst lückenlosen Verhinderung von Steuerverkürzungen zu berücksichtigen.

Soweit die Pressefreiheit tangiert ist, zu deren Schutzbereich grundsätzlich auch der Anzeigenteil von Presseerzeugnissen gehört, sieht der BFH in den „allgemeinen Gesetzen“ (vgl. Art 5 Abs. 2 GG) in § 93 Abs. 1 Satz 1, § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO i.V.m. § 102 Abs. 1 Nr. 4 AO eine hinreichende Rechtsgrundlage.

Der Schutzbereich der Pressefreiheit umfasst dabei grundsätzlich auch den Anzeigenteil von Presseerzeugnissen. Auch der Anzeigenteil dient der Kommunikationsaufgabe der Presse (Information über die in den Anzeigen enthaltenen wirtschaftlichen Möglichkeiten oder die in ihnen zum Ausdruck kommenden Meinungen) und ist bedeutsam für den Erhalt der wirtschaftlichen Grundlage der Presse als wesentliche Voraussetzung ihrer Unabhängigkeit. Die konkrete Reichweite des Grundrechtsschutzes ergibt sich jedoch erst unter Berücksichtigung der durch die „allgemeinen Gesetze“ i.S. des Art. 5 Abs. 2 GG gezogenen Schranken, die ihrerseits im Lichte des Grundrechts auszulegen sind. Die Regelung in § 93 Abs. 1 Satz 1, § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO i.V.m. § 102 Abs. 1 Nr. 4 AO, wonach das Auskunftsverweigerungsrecht von Presseangehörigen nur für den redaktionellen Teil, nicht jedoch hinsichtlich des Anzeigenteils gilt, ist ein die Pressefreiheit einschränkendes, „allgemeines Gesetz“ i.S. des Art. 5 Abs. 2 GG. Für den nichtredaktionellen Bereich, insbesondere den Anzeigenteil, verbleibt es bei der gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1, § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO grundsätzlich uneingeschränkten Auskunftspflicht der Presseangehörigen gegenüber der Steuerfahndung (vgl. BVerfG Kammerbeschluss vom 06.04.1989 – 1 BvR 33/87).

Ein Auskunftsverweigerungsrecht könnte sich ergeben, wenn es sich um Anzeigen handelt, die aufgrund ihrer Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung oder ihrer Kontrollfunktion in besonderem Maße des Schutzes durch das Grundrecht der Pressefreiheit bedürfen. Das war bei Kontaktanzeigen allerdings nicht der Fall.

„Für die Anzeigen der Rubrik „Kontakte“ musste die Auskunftspflicht nicht eingeschränkt werden. Diese Anzeigen, in denen entgeltliche sexuelle Dienstleistungen angeboten werden, leisten weder einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung noch stehen sie mit der Kontrollfunktion der Presse im Zusammenhang.“

Auch den Erhalt der wirtschaftlichen Grundlage sieht der BFH nicht als gefährdet an.

„Die wirtschaftliche Bedeutung des Anzeigenteils für das Presseerzeugnis ist zwar im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, führt aber im Streitfall nicht zur Rechtswidrigkeit des Auskunftsersuchens, da mit der Rubrik „Kontakte“ nur relativ wenige Anzeigen betroffen sind. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Anzeigen ist daher – wie auch die Klägerin eingeräumt hat – eher gering. Der Grundrechtsschutz nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wird dadurch nicht verletzt.“

Fazit

Die durch den BFH zugelassene Möglichkeit, bei Zeitungsverlagen die hinter den Kontaktanzeigen stehenden Personen in Erfahrung zu bringen, wird sicher weitere Ermittlungen nach sich ziehen. Das massenhaft genutzte Chiffre-Verfahren zur anonymen Kommunikation im Bereich sexueller Dienstleistungen über Zeitungsinserate wird keine echte Anonymität mehr bieten können. Für den Fahnder sind Chiffreanzeigen transparent geworden.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2022/2023)

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2017-2021)

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