26.01.2016 -

Der Betriebsübergang ist von der bloßen Funktions- oder Auftragsnachfolge abzugrenzen. Bei einem Betriebsübergang ist der Betriebsübernehmer zur Übernahme sämtlicher Arbeitnehmer verpflichtet. Kommt es hingegen zu einer lediglichen Funktionsnachfolge greift diese Rechtsfolge nicht! Die Abgrenzung ist daher von weitreichender Bedeutung. Das Bundesarbeitsgericht hat sich in einem aktuellen Urteil mit diesen Abgrenzungsfragen befasst und seine Rechtsprechung weiter präzisiert (BAG, Urteil v. 19.03.2015 – 8 AZR 150/14). Wir möchten die wichtige Entscheidung für die Praxis aufbereiten und vorstellen.

Der Fall:

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Betriebsübergangs von dem einen Arbeitgeber auf den anderen Arbeitgeber übergegangen ist. Beide Arbeitgeber betreiben Zustelldienste und gehören zu einem Konzern. Einziger Auftraggeber der beiden Arbeitgeber ist die S. GmbH.

Der Kläger war bereits seit dem Jahre 2000 als Zeitungszusteller mit 20 Wochenstunden beschäftigt. Die S. GmbH kündigte den mit diesem Arbeitgeber geschlossenen Zustellvertrag zum 29. Februar 2012. Die Gesellschafter beschlossen daraufhin die Einstellung des Geschäftsbetriebs und die Betriebsstilllegung zum 29. Februar 2012. Allen Mitarbeitern wurde zu diesem Zeitpunkt betriebsbedingt gekündigt.

Die S. GmbH beauftragte daraufhin eine andere Gesellschaft ihres Konzerns mit der Zustellung ab 1. März 2012. Diese Gesellschaft begann dann auch zu diesem Zeitpunkt mit der Zustellung. Sie stellte die Touren der Zusteller neu zusammen und reduzierte sie von 140 auf 98 Touren. Einzelne Großkunden wurden nunmehr direkt beliefert. Die drei Verteilstellen, an denen sich die Zusteller bislang noch die Zeitungen abholten, entfielen. Die Zusteller wurden nunmehr von der S. GmbH direkt beliefert. Allerdings wurden die für die Zustellung benötigten Hauseingangsschlüssel der Abonnenten vollständig ausgehändigt.

Von den 57 bislang beschäftigten Arbeitnehmern wurden lediglich sieben mit neuen Arbeitsverträgen eingestellt.

Einer der gekündigten Arbeitnehmer hat die Auffassung vertreten, es sei ein Betriebsübergang zu Stande gekommen. Die bisherige Verteilung der Zeitungen sei in vollem Umfang und nahtlos fortgeführt worden. Die Hausschlüssel, die den Zugang zu den Abonnentenbriefkästen ermöglichten, seien sämtlich übernommen worden. Diese Schlüssel seien entscheidend für die Zustellung der Zeitungen in die Hausbriefkästen in den frühen Morgenstunden und für die Ausübung der Kerntätigkeit des Zeitungszustellers. Hintergrund der Neuvergabe des Auftrags sei allein gewesen, dass der Betriebsrat sich für eine Erhöhung der Zuschlagvergütungen eingesetzt habe.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben dem Antrag, gerichtet auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei der neuen Gesellschaft im Rahmen eines Betriebsübergangs, stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht hingegen einen Betriebsübergang verneint und die Klage abgewiesen.

I. Begriff des Betriebsübergangs

Ein Betriebsübergang oder auch Betriebsteilübergang im Sinne von § 613a Abs. 1 BGB liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine bestehende wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Es muss sich dabei um eine auf Dauer angelegte Tätigkeit und Einheit handeln. Um eine solche Einheit handelt es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbständigen Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck.

Den maßgebenden Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. Es müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden.

Beispiele: Art des Unternehmens oder Betriebs; der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter; der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs; die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber; der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten.

Hinweis für die Praxis:

Diese Umstände sind nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden. Es kommt also immer auf eine Gesamtbetrachtung an.

II. Besonderheiten bei Dienstleistungsunternehmen

Im vorliegenden Fall unterhalten die beiden betroffenen Gesellschaften und Arbeitgeber Zustellbetriebe. Es handelt sich dabei um klassische Dienstleistungsunternehmen, bei denen die menschliche Arbeitskraft im Mittelpunkt steht. Auch wenn es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann eine strukturierte Gesamtheit von Arbeitnehmern trotz des Fehlens nennenswerter materieller oder immaterieller Vermögenswerte eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in diesem Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt.

Vorliegend hat der neue Zustellbetrieb nur sieben der ursprünglich beschäftigten 57 Arbeitnehmer weiterbeschäftigt und mit diesen neue Arbeitsverträge abgeschlossen. Es handelte sich damit nicht um den wesentlichen Teil der ursprünglichen Belegschaft. Diese Voraussetzung war hier also nicht erfüllt.

III. Abgrenzung zur Funktionsnachfolge

Die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen Anderen (Funktionsnachfolge) stellt ebenso wenig einen Betriebsübergang dar wie die reine Auftragsnachfolge. Das Bundesarbeitsgericht hat hier eine solche reine Funktions- bzw. Auftragsnachfolge bejaht. Zwar bedienen beide Beklagten die gleichen Zustellbereiche. Dies liegt jedoch in der Natur einer Auftragsnachfolge. Unschädlich ist auch, dass beide Zustellgesellschaften eines Konzerns bzw. Unternehmensverbunds waren. Eine Auftragsneuvergabe und Funktionsnachfolge wird nicht dadurch zum Betriebsübergang, dass sie im Rahmen eines Unternehmensverbunds oder Konzerns erfolgt. Das neue Zustellunternehmen hat auch nicht die Art des Unternehmens übernommen, sondern war schon vorher eine Zustellgesellschaft. Sie hatte auch schon vorher die S. GmbH als Kunden. Die Hausschlüssel für etwa 80 % der Zustellungen waren hier zwar unverzichtbar. Ohne sie können die Zeitungen nicht in die Briefkästen der Abonnenten eingeworfen werden. Es handelt sich damit zwar um ein materielles Betriebsmittel von Gewicht, aber nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts auch nicht um mehr. Die eigentliche Leistung der Zustellung wird nicht durch die Hausschlüssel, sondern nur mit ihrer Hilfe erbracht. Es handelt sich daher um wichtige Hilfsmittel die jedoch nicht die Identität der Einheit prägen.

Fazit:

Ein Betriebsübergang setzt voraus, dass eine bestehende wirtschaftliche Einheit von einem neuen Rechtsträger fortgeführt wird. Bei klassischen Dienstleistungsunternehmen kommt es in solchen Fällen auf die Übernahme des überwiegenden Teils der Belegschaft an. Die Tatsache, dass zur Erbringung der Dienstleistung bestimmte Hilfsmittel unverzichtbar sind ändert an dieser Beurteilung nichts. Das Bundesarbeitsgericht hat daher zutreffend im vorliegenden Fall einen Betriebsübergang abgelehnt.

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