19.11.2015 -

Das Kündigungsschutzgesetz unterscheidet bekanntlich zwischen verhaltensbedingten und personenbedingten Gründen. Einigkeit besteht dabei darüber, dass nur ein steuerbares Verhalten abgemahnt werden kann. Dies betrifft nach allgemeiner Auffassung den Bereich des Fehlverhaltens. Das Landesarbeitsgericht Hessen hat nun in einer kürzlich erst veröffentlichten Entscheidung auch bei einer Krankheitskündigung die vorherige Abmahnung gefordert und eine Kündigung daran scheitern lassen (LAG Hessen, Urteil v. 18.03.2014 – 13 Sa 1207/13). Die Entscheidung macht deutlich, dass eine Krankheitskündigung an sich nicht schon eine Abmahnung ausschließt; Anlass genug, sich mit der Thematik zu befassen.

Der Fall:

Die klagende Arbeitnehmerin ist bereits seit 1985 als Sachbearbeiterin bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand ein spezieller Tarifvertrag über Rationalierungs-, Kündigungs- und Einkommensschutz Anwendung. Das Arbeitsverhältnis war nach diesem Tarifvertrag ordentlich unkündbar.

Bereits seit Frühjahr 2007 hatte die Mitarbeiterin paranoide Auffälligkeiten. Sie redete mit sich selbst. In Gesprächen äußerte sie immer wieder, sie werde verfolgt, fotografiert und ihr Telefon abgehört. Diese Maßnahmen seien vom Management genehmigt. Im Rahmen eines Personalgesprächs äußerte sie, sie dusche nur noch mit Kleidung, da ihr Haus durchleuchtet werde. Die Mitarbeiterin unterzog sich dann Anfang des Jahres 2008 einer psychologischen Behandlung und nahm in der Folgezeit Medikamente ein. Die Auffälligkeiten endeten dann zunächst.

Im Herbst 2010 traten die Störungen wieder auf. So behauptete die Klägerin, das Management füge ihr mittels hochentwickelter drahtloser Technologie Schmerzen zu. Die Aufforderung ihres Arbeitgebers, erneut einen Arzt aufzusuchen, lehnte die Klägerin ab. Sie äußerte vielmehr, dass der Abteilungsdirektor ihr privates Telefon abhöre. Sie habe aufgrund dieser Vorkommnisse Schmerzen. Sie erklärte sich dann zwar im Anschluss bereit, sich einer psychologischen Untersuchung zu unterziehen. Diese führte sie aber tatsächlich nicht durch. Vielmehr teilte sie einige Zeit später mit, sie sei gesund und biete ihre Arbeitskraft an.

Der beklagte Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grund mit sozialer Auslauffrist von sieben Monaten.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Klägerin hätte hier zunächst abgemahnt werden müssen, um ihr die Dringlichkeit einer ärztlichen Behandlung vor Augen zu führen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Außerordentliche Kündigung

Die Mitarbeiterin war unkündbar. Dies hindert aber eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht. Auch unkündbare Mitarbeiter können wegen Krankheit außerordentlich gekündigt werden. Allerdings darf die Kündigung nicht mit sofortiger (fristloser) Wirkung erklärt werden, sondern mit einer sozialen Auslauffrist, die der vereinbarten Höchstkündigungsfrist entspricht (hier sieben Monate).

Das Landesarbeitsgericht hat zunächst klargestellt, dass die psychische Erkrankung der Klägerin einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellt. Die Klägerin leide augenscheinlich an einer psychischen Erkrankung, die ihr ein sozialadäquates Verhalten schwer bis unmöglich mache.

Hinweis für die Praxis:

Bei unkündbaren Mitarbeitern sind erhöhte Anforderungen an die negative Prognose bei einer außerordentlichen Kündigung wegen Krankheit zu stellen. Nur wenn unter keinem Gesichtspunkt eine Weiterbeschäftigung möglich erscheint, kommt eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist in Betracht. Vor diesem letzten Schritt der außerordentlichen Kündigung müssen alle milderen Mittel versucht und geprüft werden.

II. Vorherige Abmahnung?

Eine fristlose Kündigung bedarf zudem einer Interessenabwägung. Auf dieser zweiten Prüfungsstufe hat das Landesarbeitsgericht, wie auch das Arbeitsgericht, die Kündigung für unwirksam erachtet. Unter Abwägung und Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles hätte hier nicht von einer vorherigen Abmahnung abgesehen werden dürfen. Auch bei einer personenbedingten Kündigung, wie z.B. aus Krankheitsgründen, sei eine vorherige Abmahnung geboten, wenn der Arbeitnehmer den personenbedingten Kündigungsgrund durch steuerbares Verhalten beseitigen könne. Die Klägerin hätte hier durch eine entsprechende psychologische Behandlung und Medikation wieder zu einem sozialadäquaten Verhalten zurückfinden können. Dies hat sie bereits in der Zeit ab Anfang des Jahres 2008 bewiesen, wo sie unstreitig in ärztlicher Behandlung war und abweichende Verhaltensweisen nicht mehr vorkamen. Erst Ende des Jahres 2010, als die Klägerin ihre Medikamente abgesetzt hatte, kam es wieder zu den dargestellten paranoiden Auffälligkeiten.

Ihr hätte daher mit einer Abmahnung und dem Hinweis auf ein drohendes Ende des Arbeitsverhältnisses deutlich gemacht werden müssen, dass nur mit einer ärztlichen Betreuung und entsprechender Medikation eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist. Eine Abmahnung wurde aber unstreitig nicht erteilt.

Fazit:

Die Entscheidung ist in ihrer Begründung nachzuvollziehen, hinterlässt aber ein Störgefühl. Die Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin waren hier massiv. Von einem sozialadäquaten Verhalten war bei den dargestellten schweren psychotischen Auffälligkeiten keine Rede mehr. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erscheint auf dieser Basis unzumutbar. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht auch zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin es in der Hand gehabt hätte, die Medikation wieder aufzunehmen. Dies hatte sie abgelehnt. Der Praxis können wir auf Basis dieser Entscheidung nur empfehlen, in Zweifelsfällen vorsorglich und zusätzlich eine Abmahnung auszusprechen. War die Abmahnung überflüssig, weil es sich nicht um steuerbares Verhalten handelte, hindert dies die Wirksamkeit der Kündigung an sich nicht. Gerade bei unkündbaren Mitarbeitern sollte man sich daher in Zweifelsfällen zusätzlich absichern.

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