28.08.2014 -

Das OLG hat entschieden, dass ein Zahnarzt Schmerzensgeld zahlen muss, weil er nach der Überzeugung des Gerichts die Eintragungen in der elektronisch geführten Patientenkartei über die erfolgte Aufklärung nachträglich manipuliert hatte.

Der Fall (verkürzt):

Der beklagte Zahnarzt entnahm der Klägerin am 14. August 2007 Knochenmaterial aus dem linken Unterkiefer zum Aufbau des Knochens im Oberkiefer für eine geplante Implantation. Auf der am 31. Mai 2007 unterzeichneten „OP-Einwilligungsklärung“ wurde bei den in Betracht kommenden Risiken der Operation lediglich „Entzündung der Wundregion, Nachblutung, Wundheilungsstörungen, Schwellung, Hämatom“ angekreuzt. In der elektronischen Karteikarte wurde zusätzlich eine Aufklärung über das Risiko einer Nervverletzung vermerkt. Eine Software, die eine Abänderung oder Ergänzung von Daten ausschließt, nutzte der Beklagte nicht. Das in der Praxis des Beklagten genutzte EDV-Programm ermöglicht es, in der Karteikarte nachträglich Ergänzung vorzunehmen.

Die Klägerin verfolgte ihre Ansprüche in dem Berufungsverfahren vor dem OLG nicht mehr wegen des Vorwurfs von Behandlungsfehlern, sondern allein wegen behaupteter Aufklärungsfehler weiter.

Die Entscheidung:

Das OLG hielt die Berufung teilweise für begründet:

Die Klägerin habe einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld, weil der Beklagte sie nicht ausreichend über Behandlungsalternativen und Risiken des Eingriffs aufgeklärt habe.

Zum einen sei der Beklagte verpflichtet gewesen, die Klägerin über alternative Methoden der Knochenentnahme aufzuklären. Dabei stützt sich das Gericht auf die Ausführungen des Sachverständigen, der eine Aufklärung über die Möglichkeit einer Knochenentnahme aus dem Beckenkamm aus medizinischer Sicht für geboten erachtete. Bei der Entnahme aus dem Unterkiefer und aus dem Beckenkamm habe es sich um zwei unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten gehandelt, die mit unterschiedlichen Risiken behaftet gewesen seien. Bei einer Knochenentnahme aus dem Beckenkamm bestünden grundsätzlich Gefahren für Baucheingeweide, Durchblutung, Motorik und Sensibilität des Beines. Demgegenüber bestehe bei einer Entnahme von Knochen aus dem Unterkiefer unter anderem das Risiko einer Verletzung und Beeinträchtigung des Nervus alveolaris inferior, was zu einer Gefühlsstörung oder Taubheit im Bereich des Unterkiefers führen könne.

Zum anderen hielt es der Senat für nicht erwiesen, dass die Klägerin über das Risiko einer Nervverletzung aufgeklärt worden ist. Die „OP-Einwilligungsklärung“ enthalte keinen Hinweis auf eine derartige Aufklärung. Auch seien die ebenfalls formularmäßig erwähnten Risiken „Nervverletzung“ und „Gefühlsstörung (Taubheit)“ nicht angekreuzt. Soweit in der elektronischen Karteikarte unter dem 31. Mai 2007 eine Aufklärung über das Risiko einer Nervverletzung vermerkt sei, habe der Senat erhebliche Zweifel, ob der Vermerk die tatsächlich erfolgte Aufklärung wiedergebe. Es bestehe vielmehr der Verdacht, dass diese, die Risikoaufklärung betreffende Dokumentation erst im Nachhinein erstellt worden sei. Die außergewöhnlich detaillierte Beschreibung des Aufklärungsinhaltes passe nicht zur ansonsten recht knapp gehaltenen Dokumentation. Für die Dokumentation hätte es durchaus ausgereicht, lediglich eine erfolgte Aufklärung über die Gefahr von Nervverletzung zu erwähnen, so die Richter. Es erschließe sich dem Senat nicht, warum bei ansonsten knapp gehaltener Dokumentation an dieser Stelle so ausführlich das Risiko einer Nervverletzung beschrieben worden sei. Das Gericht stellte ferner darauf ab, dass auch technisch die Möglichkeit bestanden habe, die Eintragungen in der elektronisch geführten Karteikarte nachträglich zu ändern. Bestehen Zweifel daran, ob die Eintragungen unter dem 31. Mai 2007 nicht nachträglich erstellt worden seien, könne auch den Eintragungen unter dem 3. August 2007 („Es können … Gefühlsstörungen auftreten“), keine entscheidende Indizwirkung mehr zukommen, betonten die Richter.

Hinweis für die Praxis:

Bislang kam einer ärztlichen EDV-Dokumentation der volle Beweiswert auch dann zu, wenn sie nicht gegen nachträgliche Veränderungen gesichert ist, jedenfalls wenn der Arzt nachvollziehbar darlegt, dass die Dokumentation nicht nachträglich verändert wurde und die Dokumentation auch medizinisch plausibel ist. Der mit Verabschiedung des Patientenrechtegesetzes im Jahr 2013 neu eingeführte § 630f Abs. 1 BGB stellt nun folgende Anforderungen an die Dokumentation:

„Der Behandelnde ist verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Dies ist auch für elektronisch geführte Patientenakten sicherzustellen.“

Nach dem Willen des Gesetzgebers muss im Falle einer elektronisch geführten Patientenkartei die eingesetzte Software gewährleisten, dass nachträgliche Änderungen erkennbar werden, um so eine fälschungssichere Organisation der Dokumentation sicherzustellen.

Fazit:

Nach der neuen Rechtslage kommt der ärztlichen EDV-Dokumentation kein bzw. nur ein geringerer Beweiswert zu, wenn sie nachträglich inhaltlich geändert worden und/oder nicht revisionssicher ist. Vor diesem Hintergrund ist Praxisinhabern zur Vermeidung eines ärztlichen Haftungsrisikos anzuraten, ihre Praxissoftware auf die neue Gesetzeslage umzustellen. Wie die Entscheidung des OLG Köln zeigt, gehen Zweifel zu Lasten des Arztes.

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