23.10.2012 -

Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsleistung nicht erbringen können, haben nur im Rahmen der gesetzlichen Entgeltfortzahlungsvorschriften Anspruch auf Lohn. Problematisch sind aber Fälle, in denen ein Mitarbeiter zwar arbeitsunfähig ist, aber behauptet, der Arbeitgeber könne ihm einen leidensgerechten Arbeitsplatz zuweisen. Hier kommen Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers wegen Verletzung der Rücksichtnahmepflicht in Betracht. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hatte sich mit diesen Fragen aktuell zu befassen (LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 22.03.2012 – 5 Sa 336/11). Von einer Wiedergabe des komplizierten und sehr speziellen Sachverhalts sehen wir hier ab. Vielmehr beschränken wir uns auf die Darstellung der Kernaussagen der Entscheidung.

I. Annahmeverzug

Nach § 615 S. 1 BGB kann der Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung verlangen, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug kommt. Der Arbeitnehmer muss die infolge des Annahmeverzuges ausgefallene Arbeit nicht nachleisten. Der Arbeitgeber kommt in Annahmeverzug, wenn er die ihm angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt. Voraussetzung ist freilich ein zur Erfüllung taugliches Arbeitsangebot. Ein wörtliches Angebot der Arbeitsleistung bedarf es nicht, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt hat.

Aber: Die Fortzahlung des Gehalts während der Freistellungsphase setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die sonstigen gesetzlichen, tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Voraussetzungen eines Vergütungsanspruchs ohne Arbeitsleistung erfüllt. Daher ist der Annahmeverzug des Arbeitgebers ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer nicht leistungsfähig oder nicht leistungswillig ist. Annahmeverzug setzt daher Leistungsfähigkeit des Gläubigers im Annahmeverzugszeitraum voraus. Die Leistungsfähigkeit bezieht sich wiederum auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung auf dem konkret zugewiesenen Arbeitsplatz und nicht nach dem im Arbeitsvertrag umschriebenen allgemeinen Berufsbild.

Hinweis für die Praxis:

Eine teilweise oder eingeschränkte Arbeitsfähigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit ist dem Arbeitsrecht fremd. Für die Beurteilung des Leistungsvermögens kommt es auch nicht auf die subjektive Einschätzung an, sondern nur auf die objektiven Umstände der Leistungsfähigkeit. Ist ein Arbeitnehmer objektiv aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die vereinbarte Leistung zu erbringen, so kann das fehlende Leistungsvermögen nicht allein durch den Willen des Arbeitnehmers ersetzt werden, trotz objektiver Leistungsunfähigkeit einen Arbeitsversuch zu unternehmen.

II. Leidensgerechter Arbeitsplatz

Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Im Arbeitsverhältnis können die Vertragspartner deshalb zur Verwirklichung des Leistungsinteresses zu leistungssichernden Maßnahmen verpflichtet sein. Ist der Arbeitnehmer aus in seiner Person liegenden Gründe nicht mehr in der Lage, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewO näher bestimmte Leistung zu erbringen, kann es die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht erneut Gebrauch macht und die vom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens anderweitig derart konkretisiert, dass dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung wieder möglich wird. Dementsprechend ist kündigungsrechtlich der Arbeitgeber auch bei dauernder Unmöglichkeit, den Arbeitnehmer in seinem bisherigen Tätigkeitsbereich zu beschäftigen, erst dann zur Kündigung berechtigt, wenn auch eine Beschäftigung an anderer Stelle nicht mehr möglich ist.

Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber muss zunächst vor Sanktionen die Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes prüfen.

III. Voraussetzungen

Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit des Arbeitnehmers setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, wie er sich seine weitere, die aufgetretenen Leistungshindernisse ausräumende Beschäftigung vorstellt. Dem Verlangen des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber regelmäßig entsprechen, wenn ihm die in der Zuweisung einer anderen Tätigkeit liegende Neubestimmung der zu bewirkenden Arbeitsleistung zumutbar und rechtlich möglich ist.

Zumutbar ist dem Arbeitgeber die Zuweisung einer anderen Tätigkeit, wenn dem keine betrieblichen Gründe, zu denen auch wirtschaftliche Erwägungen zählen können, oder die Rücksichtnahmepflicht gegenüber anderen Arbeitnehmern entgegenstehen. Betriebliche Gründe werden in der Regel der Zuweisung einer anderweitigen Tätigkeit nicht entgegenstehen, wenn ein entsprechender Arbeitsplatz frei ist und der Arbeitgeber Bedarf für die Tätigkeit hat.

Ist ein entsprechender Arbeitsplatz nicht frei, kann also die Zuweisung einer anderen Tätigkeit nur durch den Austausch mit anderen Arbeitnehmern erfolgen, ist weiter zu prüfen, ob einer Umsetzung neben betrieblichen Gründen die dem Arbeitgeber gegenüber allen Arbeitnehmern obliegende Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB entgegensteht. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn er dem Arbeitnehmer, der den anderweitigen Arbeitsplatz inne hat, nicht im Wege des Direktionsrechts eine andere Tätigkeit zuweisen kann oder die Neuausübung des Direktionsrechts diesem Arbeitnehmer gegenüber nicht billigem Ermessen entsprechen würde. Unzumutbar ist ein Austausch ferner dann, wenn der auszutauschende Arbeitnehmer einem Arbeitsplatzwechsel seine Zustimmung verweigert und der Arbeitgeber Gefahr liefe, bei Ausübung seines Direktionsrechts einem Prozess über die Wirksamkeit der Maßnahme ausgesetzt zu sein. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, sich betriebsverfassungswidrig zu verhalten. Stimmt der Betriebsrat dem mit einem Austausch von Arbeitnehmern verbundenen Versetzungen nicht gem. § 99 Abs. 1 BetrVG zu, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen.

Fazit:

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber konkret seine Dienste auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz mitgeteilt und angeboten. Es wäre dann Sache des Arbeitgebers gewesen, die Unzumutbarkeit darzulegen. Dazu fehlte es aber an Sachvortrag und auch an Gründen. Dem Arbeitnehmer stand daher ein dem Verzugslohn entsprechender Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Rücksichtnahmepflicht zu.

Die Entscheidung macht deutlich, dass die Angebote von dauerkranken Mitarbeitern, ihnen doch einen leidensgerechten anderen Arbeitsplatz zuzuweisen, sehr ernst zu nehmen sind. Die hier besprochene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Betroffenen Mitarbeitern ist zudem ergänzend ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten. Untätigkeit kann sich hier sehr nachteilhaft für die Arbeitgeberseite auswirken.

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