27.02.2012 -

Der Umgang mit alkoholisierten Mitarbeitern ist für den Arbeitgeber häufig sehr schwierig. Es ist unklar, ob die Mitarbeiter lediglich im Einzelfall Alkohol zu sich genommen haben oder aber ob eine Alkoholabhängigkeit besteht. Die Differenzierung ist kündigungsschutzrechtlich von besonderer Bedeutung. Das reine Fehlverhalten richtet sich nach den Grundsätzen zur verhaltensbedingten Kündigung. Die Alkoholabhängigkeit hingegen ist ein personenbedingter, krankheitsbedingter Kündigungsgrund. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte sich nun mit der Frage zu befassen, ob bei einer Alkoholabhängigkeit schon der erste Rückfall für eine negative Prognose und damit für eine wirksame Kündigung ausreichend ist (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 17.08.2009 – 10 Sa 506/09). Wir möchten die Entscheidung zum Anlass nehmen, die wesentlichen Punkte nochmals für die Praxis darzustellen.

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer war seit 2001 bei dem beklagten Unternehmen als Industrieelektroniker beschäftigt. Der Kläger ist alkoholkrank. Er wurde bereits im Juni 2006 in stark alkoholisiertem Zustand angetroffen und verwarnt.

Im Juli 2008 trat er wieder in stark alkoholisiertem Zustand die Arbeit an. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin ordentlich zum 30. September 2008. Im Nachgang vereinbarte man eine Weiterbeschäftigung, soweit sich der Arbeitnehmer bis zum 30. September 2008 in jeder Hinsicht kooperativ verhalte, sich in ärztliche Beratung begebe und eine Therapie beginne.

Der Kläger kam diesen Vorgaben nach und setzte seine Tätigkeit am 1. Oktober 2008 fort. Schon am 2. Oktober 2008 wurde der Kläger jedoch von einem Vorgesetzten wegen der Vermutung seiner Alkoholisierung angesprochen. In dem anschließenden Gespräch mit dem Personalleiter und der Betriebsärztin räumte er ein, am Vorabend Alkohol in Form von Bier zu sich genommen zu haben. Er habe aus Freude darüber, dass er die „Bewährungszeit“ geschafft habe, drei bis vier Flaschen Bier aus Altbeständen zu Hause getrunken. Es könne sein, dass er am nächsten Morgen nach Alkohol gerochen habe, er sei aber nicht mehr alkoholisiert gewesen.

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin erneut, nach Zustimmung des Betriebsrats, fristlos und hilfsweise ordentlich. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Alkoholabhängigkeit und Kündigung

Eine Kündigung wegen Alkoholabhängigkeit richtet sich grundsätzlich nach den für krankheitsbedingte Kündigungen geltenden Grundsätzen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit im medizinischen Sinne. Sie liegt vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung ist die physische oder psychische Abhängigkeit vom Alkohol. Sie äußert sich vor allem im Verlust der Selbstkontrolle. Der Alkoholiker kann, wenn er zu trinken beginnt, den Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren, mit dem Trinken nicht mehr aufhören. Dazu kommt die Unfähigkeit zur Abstinenz; der Alkoholiker kann auf Alkohol nicht mehr verzichten.

Hieraus folgt zwingend, dass auf eine Kündigung, die im Zusammenhang mit dieser Alkoholsucht des Arbeitnehmers steht, die Grundsätze anzuwenden sind, die das Bundesarbeitsgericht für die krankheitsbedingte Kündigung entwickelt hat.

II. Rückfall und Negativprognose

Bei einer krankheitsbedingten Kündigung bedarf es einer negativen Prognose für die Zukunft. Diese liegt bei der Feststellung der Alkoholabhängigkeit noch nicht vor. Dem alkoholabhängigen Arbeitnehmer muss in der Regel zuvor die Chance zu einer Entziehungskur gegeben werden. Erst wenn es im Anschluss an eine Entziehungskur zu einem erneuten Rückfall kommt, rechtfertigt dies in der Regel die negative Prognose. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht zu einer Therapie bereit ist (BAG a.a.O.).

Ein solcher Rückfall lag hier vor. Das Landesarbeitsgericht hat aber diesen Rückfall dennoch nicht ausreichen lassen. So könne von einer mangelnden Therapiebereitschaft des Arbeitnehmers nicht auszugehen sein. Er habe die Vereinbarung eingehalten. Alkoholerkrankung sei generell nicht mehr heilbar. Sie ist nur bei absoluter Abstinenz zu bewältigen. Aus den besonderen Gründen des Einzelfalls sei deshalb eine negative Prognose hier nicht festzustellen.

Hinweis für die Praxis:

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts macht deutlich, dass eine Kündigung nicht schon deshalb wirksam wegen Alkoholabhängigkeit ausgesprochen werden kann, wenn ein Mitarbeiter auch nur irgendeinen Rückfall erleidet. Die Qualität des Rückfalls ist maßgeblich. Der Personalpraxis kann daher nur dringend empfohlen werden, Mitarbeiter so konkret wie möglich in Therapiemaßnahmen etc. einzubinden und sich regelmäßig die Blut- und Leberwerte nachweisen zu lassen, üblich ist hier ein Vier-Wochen-Rhythmus. Dies ist in Form von einschlägigen Tests möglich. Häufig empfiehlt es sich auch, mit Mitarbeitern zunächst nur befristete Vereinbarungen über eine Weiterbeschäftigung abzuschließen und das Arbeitsverhältnis erst dann wieder unbefristet fortzusetzen, wenn der Mitarbeiter über einen langen Zeitraum Therapieerfolge nachweisen kann.

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