Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einer aktuellen Entscheidung mit einer für die Praxis sehr bedeutsamen Frage zu befassen: Welcher Urlaub verbraucht sich, wenn ein Mitarbeiter im Falle einer Kündigung unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freigestellt wird (BAG, Urteil v. 17.05.2011 – 9 AZR 189/10)? Das Urteil weicht von dem bisherigen Verständnis solcher Freistellungserklärungen ab. Die Praxis wird sich hierauf einstellen müssen.
Der Fall (verkürzt):
Der klagende Arbeitnehmer war bei der beklagten Bank als Angestellter beschäftigt. Der arbeitsvertragliche Urlaubsanspruch umfasste jährlich 30 Arbeitstage.
Mit Schreiben vom 13. November 2006 erklärte der Arbeitgeber die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 2007. In dem Schreiben heißt es u.a. wie folgt:
„Sie werden ab sofort unter Anrechnung Ihrer Urlaubstage von Ihrer Arbeit unter Fortzahlung Ihrer Bezüge freigestellt.“
Der Arbeitnehmer erbrachte dann auch in diesem Zeitraum keine Arbeitsleistung. Mit rechtskräftigem Urteil vom 2. Mai 2007 stellte das Arbeitsgericht Frankfurt am Main fest, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Kündigung vom 13. November 2006 nicht aufgelöst worden. Der Kläger wurde daraufhin weiterbeschäftigt.
Auf den Antrag des Arbeitnehmers vom 12. Juni 2007 gewährte ihm sein Arbeitgeber für den Zeitraum vom 8. Oktober bis zum 2. November 2007 17,5 Arbeitstage Erholungsurlaub.
Der Kläger macht nun geltend, ihm stünden für das laufende Jahr 2007 noch fünf weitere Tage Urlaub zu. Die Freistellung bis Ende März 2007, zum Ablauf der vorgesehenen Kündigungsfrist, habe nur den Teilurlaub von drei Monaten erfassen können, mithin 7,5 Tage. Würde man die weiteren 17,5 Tage Erholungsurlaub im Jahre 2007 hinzurechnen, ergebe dies insgesamt 25 Tage. Die Differenz zum vereinbarten Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen betrage mithin fünf Tage.
Das Arbeitsgericht und auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung:
In der Revisionsinstanz hat das Bundesarbeitsgericht dem Kläger die weiteren fünf Urlaubstage zugestanden.
I. Freistellung muss deutlich sein
Der Arbeitgeber kündigte zum 31. März 2007 und stellte den Arbeitnehmer ab sofort unter Anrechnung seiner Urlaubstage von der Arbeit frei. Will der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des Laufs der Kündigungsfrist zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freistellen, muss der Arbeitnehmer als Adressat der Erklärunghinreichend deutlich erkennen können, in welchem Umfang der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers erfüllen will. Erklärt sich der Arbeitgeber nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit, geht dies zu seinen Lasten. Denn, so das Bundesarbeitsgericht, als Erklärender hat es der Arbeitgeber in der Hand, die Freistellungserklärung sprachlich so zu fassen, dass der Arbeitnehmer über ihren Inhalt nicht im Zweifel ist.
II. Freistellung und Teilurlaub
Mit der Kündigung brachte der Arbeitgeber erkennbar zum Ausdruck, er gehe davon aus, der Kläger werde mit Wirkung zum 31. März 2007 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden und in Folge dessen für das Jahr 2007 lediglich einen Teilurlaubsansprucherwerben. Denn nach § 5 Abs. 1 Buchst. c Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat ein Arbeitnehmer, der nach erfüllter Wartezeit in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, lediglich Anspruch auf 1/12 des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Auf der Grundlage eines arbeitsvertraglichen Gesamturlaubsanspruchs im Umfang von 30 Arbeitstagen sind dies 7,5 Arbeitstage (3 Monate x 1/12 von 30 Arbeitstagen). Hieraus schließt das Bundesarbeitsgericht, dass für den Arbeitnehmer nicht zweifelsfrei zu erkennen gewesen sei, ob die Beklagte über den in jedem Fall geschuldeten Teilurlaubsanspruch hinaus den ihrer Rechtsauffassung nach nicht geschuldeten Urlaub gewähren wollte. Dieser Zweifel geht zu Lasten des Arbeitgebers.
Gegen eine Auslegung dahingehend, dass der Arbeitgeber tatsächlich den gesamten Jahresurlaubsanspruch anrechnen wollte spricht auch, dass er im laufenden Jahr einen weiteren Urlaubsanspruch in Höhe von 17,5 Tagen gewährte. Wäre er nämlich der Auffassung gewesen, er habe schon bis zum 31. März 2007 den gesamten Jahresurlaub wegen der erfolgten Freistellung angerechnet und verbraucht, hätte er den späteren Urlaubsantrag ablehnen müssen.
Fazit:
Dem Arbeitnehmer steht damit für das Jahr 2007 Resturlaub zu. Den 30 Arbeitstage umfassenden Anspruch auf Jahresurlaub hat der Arbeitgeber durch die Freistellung vom 1. Januar bis zum 31. März 2007 nur in Höhe eines Teilurlaubsanspruchs von 7,5 Tagen erfüllt. Hinzu kommen die weiteren 17,5 Tage gewährten Urlaub in der zweiten Jahreshälfte. Damit verbleibt ein Resturlaubsanspruch im Umfang von fünf Arbeitstagen.
Hinweis für die Praxis:
Diese neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat weitreichende Folgen. Arbeitgeber, die eine Kündigung aussprechen, müssen berücksichtigen, dass in der ersten Jahreshälfte nur ein gequotelter Urlaubsanspruch entsteht. Jede Freistellungserklärung kann daher bei einer Kündigung in der ersten Jahreshälfte auch nur diesen gequotelten Urlaubsanspruch umfassen. Allerdings kann man auch einen weitergehenden Urlaubsanspruch ohne weiteres erfassen. Dies muss dann nur zweifelsfrei zum Ausdruck kommen, z.B. durch folgenden Zusatz:
„Mit der Freistellung wird Ihr gesamter Jahresurlaubsanspruch erfüllt.“
Auszeichnungen
-
TOP-Wirtschaftskanzlei für Arbeitsrecht(FOCUS SPEZIAL 2024, 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht(WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen(WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen(WirtschaftsWoche 2023, 2020)
Autor
UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME
UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME
Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.