13.06.2011 -

Wesentliche Aufgabe des Betriebsrats ist es u.a., darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden (vgl. § 80 Abs. 1 BetrVG). Das Arbeitsgericht Bonn hatte in einem interessanten und für die Praxis bedeutsamen Beschluss zu entscheiden, ob dem Auskunftsanspruch des Betriebsrats datenschutzrechtliche Erwägungen entgegengehalten werden können. Konkret ging es um die Weitergabe von Namen und Fehlzeiten wegen der Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (ArbG Bonn, Beschluss v. 16.06.2010 – 5 BV 20/10). Das Arbeitsgericht Bonn hat die Ansprüche des Betriebsrats bejaht. Der Arbeitgeber hat Sprungrechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt, so dass in Kürze auch das Bundesarbeitsgericht Gelegenheit haben wird, höchstrichterlich für Klärung zu sorgen. Wir werden berichten.

Der Fall:

Der Antragsteller ist der bei dem Projektträger E. des Antragsgegners bestehende Betriebsrat. Die Betriebspartner schlossen im Januar 2008 eine Betriebsvereinbarung über die Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM). In dieser Betriebsvereinbarung heißt es u.a.:

„§ 4 Maßnahmen

Der Betriebsrat erhält quartalsmäßig (zusammen mit der Mitarbeiterliste) ein Verzeichnis der Mitarbeiter, die die Voraussetzungen für ein BEM erfüllen. Der Arbeitgeber teilt gleichzeitig seine Einschätzung mit, ob ein BEM aus seiner Sicht geeignet und sinnvoll ist. Er teilt zudem eine nachvollziehbare Begründung hierfür mit. Erachtet der Arbeitgeber ein BEM nicht als sinnvoll, und teilt der Betriebsrat diese Beurteilung, findet ein BEM nicht statt.

Soweit die Betriebsparteien hierüber nicht einig sind, nimmt die Arbeitgeberseite einen ersten, nicht formellen Kontakt mit dem Betroffenen auf. (…)

§ 7 Datenschutz

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement erfolgt unter Wahrung der jeweils gültigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen.

(…)“

Nachdem sich der Arbeitgeber unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Bedenken weigerte, dem Betriebsrat ein Verzeichnis der Mitarbeiter herauszugeben, die die Voraussetzungen für ein Betriebliches Eingliederungsmanagement erfüllen, machte der Betriebsrat seine Ansprüche im Beschlussverfahren geltend. Der Betriebsrat ist der Ansicht, die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vorlage des begehrten Verzeichnisses ergebe sich aus § 4 Abs. 1 der Betriebsvereinbarung i.V.m. der Durchführungspflicht des § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG und auch aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG i.V.m. § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG. Es gehöre zu den Aufgaben des Betriebsrats, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze durchgeführt werden.

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats, den Arbeitgeber zu verpflichten, quartalsmäßig ein Verzeichnis der Mitarbeiter, die die Voraussetzungen für ein Betriebliches Eingliederungsmanagement erfüllen, zu übergeben, stattgegeben.

I. Anspruch aus Betriebsvereinbarung

Die Betriebsvereinbarung regelt den Anspruch allgemein und unmissverständlich. Einschränkungen dahingehend, dass der Anspruch nur in den Fällen besteht, in denen Mitarbeiter zusätzlich und ausdrücklich ihr Einverständnis mit der Weitergabe von Daten erklärt haben, lassen sich der Betriebsvereinbarung nicht entnehmen. Hätten die Betriebsparteien bei Abschluss der Betriebsvereinbarung eine Beschränkung des Anspruchs gewollt, so hätten sie dies ohne weiteres in der Formulierung des § 4 Abs. 1 S. 1 BV zum Ausdruck bringen können. Tatsächlich haben die Betriebsparteien jedoch eine umfassende Formulierung gewählt.

II. Entgegenstehende datenschutzrechtliche Bestimmungen?

Datenschutzrechtliche Bestimmungen stehen der quartalsweisen Herausgabe nicht entgegen. Das Arbeitsgericht weist zutreffend darauf hin, dass der Betriebsrat lediglich die Herausgabe von Eckdaten in Gestalt der Namen und Fehlzeiten der betreffenden Arbeitnehmer begehrt, nicht aber die Bekanntgabe sensibler Gesundheitsdaten wie Art und Schwere der Erkrankung oder auch nur Informationen über die Frage, ob eine Fortsetzungserkrankung oder mehrere voneinander unabhängige Erkrankungen vorliegen.

Das Bundesdatenschutzgesetz steht einer Weitergabe von Informationen an den Betriebsrat nicht entgegen, soweit die Daten zulässig ermittelt wurden und deren Kenntnis zur Durchführung einer gesetzlichen Aufgabe des Betriebsrats erforderlich sind. Das Bundesdatenschutzgesetz schränkt daher das Betriebsverfassungsgesetz nicht ein. Vielmehr gehen nach herrschender Meinung gesetzliche Vorschriften wie § 80 BetrVG dem Bundesdatenschutzgesetz vor.

Die betroffenen Arbeitnehmer informieren den Arbeitgeber von sich aus über ihre Erkrankungen. Damit liegt ein Fall der zulässigen Datenerhebung vor. Die Weitergabe der Gesundheitsdaten an den Betriebsrat ist zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgabe des Betriebsrats erforderlich. Der Betriebsrat ist gesetzlich verpflichtet, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze durchgeführt werden. Hierzu zählt auch und gerade die Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB IX, welche das Betriebliche Eingliederungsmanagement regelt. Dem Betriebsrat obliegt auch die Pflicht, darüber zu wachen, dass der Arbeitgeber die ihm nach § 84 Abs. 2 SGB IX obliegenden Verpflichtungen erfüllt (vgl. § 84 Abs. 2 S. 7 SGB IX). Um dieser Aufgabe effektiv nachkommen zu können, ist der Betriebsrat auf die Angabe der Anzahl, der Namen und der konkreten Dauer der Fehlzeiten der Arbeitnehmer angewiesen, die die Voraussetzungen für ein BEM erfüllen.

Fazit:

Das Betriebsverfassungsgesetz geht dem Bundesdatenschutzgesetz grundsätzlich vor. Datenschutz kann nicht als Vorwand genutzt werden, um etwaige gesetzliche Pflichten nicht erfüllen zu müssen. Darüber hat der Betriebsrat zu wachen. Es ist davon auszugehen, dass der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts diese Rechtsprechung bestätigen wird (Vgl. in diesem Zusammenhang auch Bundesverwaltungsgericht, Beschluss v. 23.06.2010, 6 P 8/09).

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