26.05.2011 -

Die in § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX normierten Prüf- und Konsultationspflichten des Arbeitgebers bestehen auch dann, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, eine freiwerdende oder neu geschaffene Stelle mit einem Leiharbeitnehmer und nicht mit einem Stammmitarbeiter zu besetzen (s. BAG, Beschl. v. 23.06.2010 – 7 ABR 3/09). Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hatte nun darüber zu entscheiden, welche Anforderungen an die gesetzlichen Prüfpflichten konkret bestehen, insbesondere ob es ausreichend ist, wenn der Arbeitgeber nur telefonisch bei der Agentur für Arbeit nachfragt (LAG Rheinland-Pfalz v. 10.09.2010 – 6 TaBV 10/10). Der Entscheidung lassen sich wichtige Hinweise für die Praxis und den Umgang mit den gesetzlichen Prüfpflichten aus § 81 SGB IX entnehmen. Das Verfahren ist aktuell beim Bundesarbeitsgericht in der Rechtsbeschwerde anhängig; wir werden über den Ausgang zu gegebener Zeit berichten.

Der Fall (verkürzt):

Die Beteiligten streiten über die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung einer Arbeitnehmerin als Senior-Manager Employee Relation & HR Service in der Abteilung Human Resources und die Feststellung der dringenden Erforderlichkeit ihrer vorläufigen Einstellung.

Die antragstellende Arbeitgeberin schrieb intern die oben genannte Stelle für eine neu geschaffene Position in der Abteilung Human Resources als schnellstmöglich zu besetzen aus. In der Stellenausschreibung ist unter den Voraussetzungen für Ausbildung/Berufserfahrung u.a. Folgendes vorgesehen:

Abgeschlossenes Studium im Bereich Wirtschaft oder Jura mit Schwerpunkt Personal oder vergleichbare Ausbildung – mindestens 10 Jahre Berufserfahrung als Generalist im HR-Bereich mit tiefen Kenntnissen im Arbeitsrecht und Betriebsverfassungsgesetz – mindestens 10 Jahre Erfahrung in Verhandlungen mit dem Betriebsrat – mindestens fünf Jahre Führungserfahrung“.

Die Arbeitgeberin beantragte nach Abschluss der Bewerbungsfrist beim Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung der Frau Constanze K. Hierbei handelt es sich um eine Mitarbeiterin des neuen Personalleiters bei dessen vorheriger Arbeitgeberin.

Der Betriebsrat verweigerte fristgerecht die Zustimmung. Die Verweigerung wurde u.a. wie folgt begründet:

Des Weiteren wurde nach unserem Kenntnisstand arbeitgeberseitig nicht überprüft, ob der Arbeitsplatz von einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Es liegt somit ein Verstoß gegen die Prüfpflicht gem. § 81 SGB IX vor.

Die Arbeitgeberin stellte die Bewerberin dennoch im Rahmen der §§ 99, 100 BetrVG vorläufig zum 1. November 2009 wegen dringender Erforderlichkeit ein.

Insbesondere die Prüfpflichten nach § 81 SGB IX seien eingehalten worden. Der Personalleiter habe telefonisch bei der Agentur für Arbeit nach geeigneten schwerbehinderten Bewerbern nachgefragt und die Auskunft erhalten, man könne keinen Vermittlungsvorschlag machen.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen der Arbeitgeberin auf Zustimmungsersetzung und Feststellung, dass die vorläufige Durchführung der Einstellung dringend erforderlich war, entsprochen. Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Betriebsrats.

Die Entscheidung:

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz den Beschluss des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Anträge zurückgewiesen.

I. Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats

Der Betriebsrat kann nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG die Zustimmung zu einer von dem Arbeitgeber beabsichtigten personellen Einzelmaßnahme verweigern, wenn diese gegen ein Gesetz verstoßen würde. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX begründet bei Einstellungen ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Das BAG hat dies bereits im vergangenen Jahr grundsätzlich entschieden (siehe die Nachweise in Fußnote 1).

II. Pflichten aus § 81 Abs. 1 SGB IX

Zweck der Prüfungspflicht ist es, die Einstellung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu fördern. Die Prüfungspflicht wird konkretisiert durch die in § 81 Abs. 1 S. 2 SGB IX normierte Verpflichtung des Arbeitgebers, frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen. Dadurch wird der Agentur für Arbeit oder einem Integrationsfachdienst die Möglichkeit eröffnet, dem Arbeitgeber geeignete schwerbehinderte Menschen vorzuschlagen.

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat nun klargestellt, dass eine solche Prüfung wegen der Verschiedenartigkeit der Behinderung und der unterschiedlichen Anforderungen der Arbeitsplätze konkret erfolgen muss. Um der gesetzlichen Prüfpflicht zu genügen, ist damit erforderlich, dass der Agentur für Arbeit ausreichend Zeit zur Prüfung eingeräumt wird, ob ein konkret ausgeschriebener Arbeitsplatz mit einem arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Die Agentur für Arbeit hatte insoweit im konkreten Fall mitgeteilt, dass sie hierfür regelmäßig ein Zeitfenster mit in der Regel ein bis drei Wochen veranschlage. Dem Arbeitgeber gehe dann eine schriftliche Stellungnahme per Post oder per E-Mail zu. Der Vorgang werde im System der Arbeitsagentur registriert und vermerkt.

Das Landesarbeitsgericht hat dazu festgestellt, dass telefonische Nachfragen diesen Anforderungen nicht genügen. Die Prüfung habe sich auch bundesweit zu vollziehen. Hierfür sei ein gewisser Zeitraum zu veranschlagen. Eine telefonische Abklärung widerspreche daher einer ordnungsgemäßen Prüfpflicht.

Hinweis für die Praxis:

Das Verfahren ist zwar noch in der Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht anhängig. Allerdings ist davon auszugehen, dass das Bundesarbeitsgericht seine bereits eingeschlagene Rechtsprechung weiter bestätigt und konkretisiert. Der Praxis kann nur empfohlen werden, vor jeder Stellenbesetzung bei der Agentur für Arbeit schriftlich – und damit nachweisbar! – unter Beifügung der genauen Stellenbeschreibung nachzufragen, ob geeignete schwerbehinderte Bewerber vermittelt werden können. Insbesondere ist der Arbeitgeber gehalten, die Antwort der Agentur für Arbeit abzuwarten und diese dann dem Betriebsrat im Rahmen des mitbestimmungspflichtigen Einstellungsvorgangs vorzulegen. Verstöße des Arbeitgebers gegen seine Prüfpflichten nach § 81 SGB IX begründen ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG.

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