22.03.2011 -

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte vor kurzem entschieden, dass bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer im Rahmen der Kündigungsfrist die Zeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres berücksichtigt werden müssen (EuGH, Urt. v. 19.01.2010 – C 555/07 (Kücükdeveci)). Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun ebenfalls mit Rechtsfragen aus dieser Entscheidung des EuGH zu befassen. Der 5. Senat musste darüber entscheiden, ob einem Arbeitnehmer bei zu kurz bemessener Kündigungsfrist Ansprüche aus Annahmeverzug zustehen können, wenn dieser zu einem späteren Zeitpunkt, nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist, noch Ansprüche geltend macht (BAG, Urt. v. 01.09.2010 – 5 AZR 700/09). Wir möchten die wichtige und praxisrelevante Entscheidung nachfolgend besprechen.

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war seit dem 1. August 1995 bei der beklagten Tankstelle als Tankstellenmitarbeiter beschäftigt. Die Kündigung des unbefristet abgeschlossenen Arbeitsvertrages unterlag den gesetzlichen Kündigungsfristen. Der Kläger war am 9. November 1972 geboren.

Mit Schreiben vom 22. April 2008 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Juli 2008. Ab August 2008 bezog der Kläger Arbeitslosengeld.

Mit seiner erst am 11. November 2008 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger Annahmeverzugsvergütung für die Monate August und September geltend gemacht und die Auffassung vertreten, die Kündigung der Beklagten habe das Arbeitsverhältnis erst zum 30. September 2008 beendet. Die Kündigungsfrist betrage fünf Monate zum Monatsende, weil bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer auch die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres liegende Beschäftigungszeit zu berücksichtigen sei. Mit Ablauf der unzutreffend gewählten Kündigungsfrist sei die Beklagte in Annahmeverzug geraten, eines besonderen Arbeitsangebotes habe es nicht bedurft.

Der Arbeitgeber hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, Beschäftigungszeiten vor der Vollendung des 25. Lebensjahres seien nicht zu berücksichtigen solange der Gesetzgeber eine Gesetzesänderung nicht vorgenommen habe. Unabhängig davon sei das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2008 beendet worden, weil der Kläger keine Klage innerhalb von drei Wochen nach § 4 S. 1 KSchG erhoben habe.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen in der Berufung der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

I. Berechnung der Kündigungsfrist

Die Vorschrift des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB ist nach der neuesten Rechtsprechung des EuGH, der sich nun das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich angeschlossen hat, nicht mehr anzuwenden. Bei der Berechnung der gesetzlichen Kündigungsfrist sind Betriebszugehörigkeitszeiten auch vor dem 25. Lebensjahr damit voll zu berücksichtigen. Dass der deutsche Gesetzgeber die Vorschrift noch nicht abgeändert bzw. außer Kraft gesetzt hat, ist hierfür irrelevant.

II. Vertrauensschutz?

Für die Praxis stellt sich die Frage, auf welche Kündigungen die Entscheidung des EuGH anzuwenden ist. Nur auf Kündigungen nach dem 19. Januar 2010, also dem Tag der Entscheidung des EuGH oder auf Kündigungen, deren Kündigungsfrist zu diesem Zeitpunkt noch liefen oder aber sogar rückwirkend auf bereits in der Vergangenheit abgeschlossene Kündigungssachverhalte?

Der EuGH hat seine Entscheidung zeitlich nicht begrenzt und damit keinen Vertrauensschutz gewährt. Das Bundesarbeitsgericht hat hieraus den Schluss gezogen, dass die neue Rechtsprechung nunmehr für alle Kündigungen maßgeblich ist, die nach dem 2. Dezember 2006 erfolgt sind. Dies war das Datum, in der die Diskriminierungsrichtline 2000/78 in deutsches Recht umgesetzt werden musste. Daher bestand auch ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich kein Vertrauensschutz mehr.

III. Einwand der abgelaufenen Klagefrist?

Kündigungsschutzklagen können bekanntlich nach § 4 KSchG nur innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung erhoben werden. Ist diese Frist abgelaufen, wird die Kündigung von Anfang an rechtswirksam, § 7 KSchG. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG konnten allerdings Klagen, die allein auf eine fehlerhafte Berechnung der Kündigungsfrist gerichtet waren, auch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist noch erhoben werden (Vgl. BAG, Urt. v. 06.07.2006 – 2 AZR 215/05).

Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht aber aufgegeben! Nunmehr muss sich aus der Kündigungserklärung selbst ergeben, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis beendet werden soll. Ist also eine ordentliche Kündigung ohne weiteren Zusatz zu einem bestimmten Datum erklärt worden, steht deshalb das Bestimmtheitsgebot der Auslegung der Kündigungserklärung zu einem anderen Termin entgegen. Es ist nicht Aufgabe des Arbeitnehmers, darüber zu rätseln, zu welchem anderen als in der Kündigungserklärung angegebenen Termin der Arbeitgeber die Kündigung gewollt haben könnte.

Hinweis für die Praxis:

Werden Kündigungen zu einem bestimmten Datum ausgesprochen und enthält die Kündigungserklärung auch keine sonstigen Hinweise zur Kündigungsfrist, beispielsweise eine vorangegangene Fristenberechnung oder ähnliche Umstände, muss eine fehlerhaft berechnete Kündigungsfrist innerhalb von drei Wochen geltend gemacht werden. Versäumt der Arbeitnehmer diese Frist, kann er sich später nicht mehr darauf berufen, dass die Kündigungsfrist fehlerhaft berechnet worden ist. Selbst wenn der Arbeitgeber die neue Rechtsprechung zur Berücksichtigung der Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres nicht einbezogen hat, kann sich der Arbeitnehmer hierauf später nicht mehr berufen. Auch in diesen Fällen muss er innerhalb von drei Wochen klagen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn sich aus der Kündigungserklärung selbst ein anderer Wille des Arbeitgebers ergäbe, beispielsweise der Hinweis, dass hilfsweise zum nächst möglichen Zeitpunkt gekündigt werde.

Fazit:

Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist grundsätzlich zuzustimmen. Alle Arbeitnehmer, die bislang nicht in der Drei-Wochen-Frist geklagt haben und deren Kündigungen zu einem bestimmten Zeitpunkt erklärt worden sind, können nun nachträglich wegen der neuen EuGH-Rechtsprechung keine Ansprüche mehr geltend machen. Dies führt zur Rechtssicherheit.

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