Der Sozialhilfeträger kann Ansprüche des Leistungsberechtigten grundsätzlich auf sich überleiten und sie selbst geltend machen. Das gilt auch für Pflichtteilsansprüche (BGH NJW-RR 2005, 369 ff.). Aus diesem Grund wird häufig ein Pflichtteilsverzicht zugunsten der testamentarisch bedachten Erben vereinbart, um den Pflichtteil dem Zugriff des Sozialhilfeträgers zu entziehen. Bisher war in der Rechtsprechung und juristischen Literatur umstritten, ob ein solcher Pflichtteilsverzicht „zu Lasten des Sozialhilfeträgers“ sittenwidrig ist.

Der Bundesgerichtshof hat diese Frage mit Urteil vom 19.01.2011 höchstrichterlich geklärt und sie in wünschenswerter Klarheit verneint.

Der Fall:

Die Erblasser waren Eheleute und hatten drei Kinder. Eines davon war körperbehindert und aus diesem Grund auf Sozialleistungen angewiesen. Die Eheleute setzten sich gegenseitig testamentarisch zu ihren alleinigen Erben und ihre beiden gesunden Kinder zu Schlusserben ein. Alle drei Kinder erklärten den Verzicht auf ihren Pflichtteil nach beiden Eltern. Nachdem die Mutter verstorben war, leitete der Sozialhilfeträger den angeblichen Pflichtteilsanspruch des bedürftigen Kindes auf sich über und machte diesen gegen den Vater als Alleinerben geltend. Das Oberlandesgericht Köln wies die Klage mit Verweis auf den wirksamen Pflichtteilsverzicht des Kindes ab. Hiergegen wandte sich der Sozialhilfeträger mit der Revision an den Bundesgerichtshof.

Die Entscheidung des BGH:

Der Bundesgerichtshof wies die Revision des Sozialhilfeträgers zurück.

Eine Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzichts sei nicht zu erkennen. Rechtsgeschäfte seien grundsätzlich aufgrund der verfassungsmäßig gewährleisteten Privatautonomie der Beteiligten solange wirksam, als sie nicht gegen entgegenstehende Gesetze verstoßen. Auch in Fällen etwaiger nachteiliger Wirkungen zu Lasten der Allgemeinheit sei daher nicht die Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes im Einzelfall zu rechtfertigen, sondern vielmehr im Gegenteil positiv festzustellen und zu begründen, weshalb seine Wirksamkeit im Einzelfall nicht hingenommen werden kann. Die von dem Sozialhilfeträger angeführten Gründe vermöchten die Annahme einer Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzichts nicht zu rechtfertigen.

Insbesondere liege kein unzulässiger „Vertrag zu Lasten Dritter“ vor. Ein unmittelbarer Nachteil entstehe dem Sozialhilfeträger aus dem Pflichtteilsverzichtsvertrag nicht, vielmehr handele es sich bei der nachteiligen Wirkung nur um eine mittelbare Folge desselben. Für Dritte lediglich mittelbar durch ein Rechtsgeschäft verursachte nachteilige Wirkungen seien von diesen aber grundsätzlich hinzunehmen. Anders liege der Fall nur dann, wenn da Gesetz konkrete Regelungen zum Ausgleich derartiger Nachteile vorsehe, wie etwa Schadenersatz- oder Bereicherungsansprüche. Dies sei hier jedoch nicht der Fall.

Der Bedürftige könne sich überdies auch auf die verfassungsmäßig gewährleistete so genannte „negative Erbfreiheit“ berufen. Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz gewährleiste nicht nur die Freiheit, jede beliebige Person zu seinem Erben zu bestimmen, sondern auch  – umgekehrt – die Freiheit, darüber zu entscheiden, ob man Erbe werden oder auf andere Weise etwas aus dem Nachlass erhalten will.

Zudem sei auch anzuerkennen, dass Kinder mit einem Pflichtteilsverzicht typischerweise dem Wunsch der Eltern nachkommen, sicherzustellen, dass die Nachkommen nicht bereits nach dem Tod des Erstversterbenden ihren Pflichtteil gegen den verbleibenden Elternteil geltend machen. Zwinge man den bedürftigen Abkömmling dazu, sich einem Pflichtteilsverzicht zu verweigern, verletze dies den verfassungsmäßig gewährleisteten Schutz der Ehe und Familie.

 

Hinweis für die Praxis:

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist eindeutig. Sie dürfte auch für Fälle gelten, in denen der Bedürftige nicht an einer Behinderung leidet, sondern erwerbsunfähig oder schldauerhaft arbeitslos ist.

Dennoch sollten sich die Beteiligten, insbesondere der Bedürftige selbst, nicht zu früh freuen, denn § 26 SGB XII sieht vor, dass die Sozialleistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden müssen, wenn der Leistungsberechtigte sein Vermögen in der Absicht bewusst vermindert hat, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung herbeizuführen. Hierauf hat auch der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung hingewiesen. Der Pflichtteilsverzicht kann also trotz seiner grundsätzlichen Zulässigkeit unangenehme Nachteile für den Verzichtenden haben.

Entscheidet sich der Pflichtteilsberechtigte dennoch zu einem Verzicht, ist folgendes zu beachten:

1. Der Pflichtteilsverzicht sollte vor dem Tod der Erblasser erklärt werden. Der Pflichtteilsanspruch entsteht im Augenblick des Todes des Erblassers. Ist der Anspruch aber einmal entstanden, kann der Sozialhilfeträger den Anspruch auf sich überleiten und selbst geltend machen. Auch dies hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden (BGH, aaO). Ob ein Verzicht in dem Zeitfenster zwischen Tod und Überleitung des Pflichtteilsanspruchs auf den Sozialhilfeträger möglich ist, mit der Folge, dass dieser ihn nicht mehr geltend machen kann, ist noch nicht entschieden.

2. Der Pflichtteilsverzicht bedarf vor dem Tod des Erblassers der notariellen Beurkundung.

3. Soweit andere Motivationen für den Pflichtteilsverzicht vorhanden sind, als die Absicht, den Zugriff des Sozialhilfeträgers zu verhindern, sollten diese in der Verzichtsurkunde genannt werden. Andernfalls droht der Verlust von Sozialleistungen.

 

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