08.02.2011 -

Mit den Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung wegen privatem E-Mail-Verkehr während der Arbeitszeit hatten wir uns bereits verschiedentlich beschäftigt. Die ursprünglich großzügige Instanzrechtsprechung hat sich nach einigen Grundsatzurteilen des Bundesarbeitsgerichts seit dem Jahre 2005 gewandelt. Während der Arbeitszeit müssen Arbeitnehmer ihren arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten nachkommen. Wer diese Pflichten verletzt, muss mit der – ggf. fristlosen – Kündigung rechnen. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen bestätigt diese Entwicklung in einer aktuellen Entscheidung (LAG Niedersachsen, Urt. v. 31.05.2010 – 12 Sa 875/09). Wir möchten die Entscheidung zum Anlass nehmen, die wesentlichen Umstände nochmals zusammengefasst darzustellen.

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war seit 1996 bei der beklagten Gemeinde als stellvertretender Leiter des Bauamtes mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. 4.800,00 € tätig. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach den Bestimmungen des TVöD-VKA. Der Kläger wurde 1958 geboren, war verheiratet und zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet.

Bei der Gemeinde existierte eine Dienstanweisung aus November 1997 zur Erfassung der Arbeitszeit. Darin ist u.a. geregelt, dass das Unterbrechen der Arbeitszeit zur Erledigung privater Angelegenheiten untersagt ist. Weitere schriftliche oder ausdrückliche Regelungen zur dienstlichen und/oder privaten Nutzung der E-Mail-Funktion der Dienst-EDV existieren nicht. In der Vergangenheit hat der Arbeitgeber geduldet, dass die bei ihm Beschäftigten das E-Mail-System – zumindest in der Pause – auch für private Kommunikation nutzen.

Im Jahre 2006 und Anfang 2007 wurde der Kläger in zwei Fällen abgemahnt, einmal wegen der Inanspruchnahme einer „Erotik-Hotline“ über den dienstlichen Telefonanschluss und einmal wegen der unbefugten Installation eines privaten Programmes auf dem Dienst-PC.

Im Jahre 2008 stellte man bei dem Kläger fest, dass er über seinen dienstlichen PC in kostenlosen Netzwerken, insbesondere zur Partnersuche, angemeldet war. Allein im Zeitraum von 12. März bis zum 2. Mai 2008 umfasst die Dokumentation der dem Kläger zugegangenen E-Mails 774 DINA4 Seiten.

In der Folgezeit stellte die Gemeinde weitere Verfehlungen des Arbeitnehmers fest, die hier nicht mehr im Einzelnen dargestellt werden sollen. Im Ergebnis sprach man zwischen dem 2. Juli 2008 und dem 25. Februar 2009 sechs außerordentliche Kündigungen mit sozialer Auslauffrist gegenüber dem Kläger aus.

Das Arbeitsgericht hat den Kündigungsschutzklagen stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht eine der außerordentlichen Kündigungen als wirksam erachtet und das Arbeitsverhältnis mit sozialer Auslauffrist zum 31. März 2009 beendet.

I. Private Nutzung des Internets als Kündigungsgrund

Erstmalig mit Urteil aus Juli 2005 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der Arbeitnehmer bei einer privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit grundsätzlich seine Hauptleistungspflicht zur Arbeit verletzt. Die private Nutzung des Internets darf die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung nicht erheblich beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung wiegt dabei umso schwerer, je mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des Internets seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässigt. Deshalb muss es jedem Arbeitnehmer klar sei, dass er mit einer exzessiven Nutzung des Internets während der Arbeitszeit seine arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten erheblich verletzt.

II. Keine Abmahnung

Es bedarf daher in solchen Fällen auch keiner Abmahnung. Mit dem Erfordernis einer einschlägigen Abmahnung vor Kündigungsausspruch soll vor allem dem Einwand des Arbeitnehmers begegnet werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht erkennen bzw. nicht damit rechnen können, der Arbeitgeber werde sein vertragswidriges Verhalten als so schwerwiegend ansehen. Insbesondere in Fällen der exzessiven Privatnutzung bedarf es jedoch keiner vorherigen Abmahnung.

Hinweis für die Praxis:

Der Arbeitgeber muss im Prozess alle Verfehlungen des Arbeitnehmers im Einzelnen darlegen. Gerade in Fällen der verbotenen bzw. unerlaubten Internet- bzw. E-Mail-Nutzung muss daher besondere Sorgfalt auf die Beweissicherung gelegt werden. Im vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber dokumentieren, dass der Kläger an einzelnen Tagen weit über 100 E-Mails geschrieben bzw. erhalten hat, die allein privater Natur waren. Das Arbeitsgericht rechnete dann diese E-Mails pauschal in Zeitaufwand um und stellte fest, dass dem Kläger keinerlei Zeit mehr für die Bearbeitung seiner Dienstaufgaben verbleiben konnte. Bei einem derart exzessiven privaten E-Mail-Verkehr während der Dienstzeit bedürfte es zum Beleg der Verletzung der Arbeitspflicht keiner näheren Substantiierung der tatsächlich aufgelaufenen Arbeitsrückstände. Der mit ca. 4.800,00 € brutto im Monat vergütete Kläger konnte und durfte nicht annehmen, dass es von der beklagten Gemeinde toleriert wird, wenn er den gesamten Arbeitstag versucht, private und erotische Kontakte über das dienstliche E-Mail-System anzubahnen.

III. Verwertungsverbot?

Der E-Mail-Verkehr des Klägers war privater Natur. Die private Nutzung war auch auf den dienstlichen PCs jedenfalls geduldet. Dennoch hat das Landesarbeitsgericht ein Verwertungsverbot abgelehnt. Dies ergebe sich aus einer Interessenabwägung. Zu berücksichtigen war nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts, dass die Gemeinde die private Nutzung des dienstlichen E-Mail-Systems nicht ausdrücklich schriftlich gestattet, sondern lediglich geduldet hatte. Ferner war zu berücksichtigen, dass dem Arbeitnehmer ein Büro zur alleinigen Nutzung zugewiesen war. Damit bestanden keine Möglichkeiten, das Arbeitsverhalten durch ein milderes Mittel, wie z.B. die soziale Kontrolle durch andere Mitarbeiter, zu beeinflussen. Die mit der im Prozess vorgenommenen Auswertung der E-Mails verbundene Persönlichkeitsverletzung musste der Arbeitnehmer daher mit Rücksicht auf die berechtigten Belange der Gemeinde hinnehmen.

Fazit:

Auch langjährig beschäftigte Mitarbeiter können wegen exzessiver privater Internetnutzung bzw. wegen privatem E-Mail-Verkehr während der Arbeitszeit fristlos gekündigt werden. Voraussetzung ist aber, dass es sich tatsächlich um eine „exzessive“ Nutzung handelt. Einzelne kurze Verstöße rechtfertigen regelmäßig nur eine Abmahnung. Kann der Mitarbeiter zusätzlich belegen, dass er seine Arbeitsaufgaben umfassend erfüllt hat, scheidet eine fristlose Kündigung regelmäßig aus.

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