Eine krankheitsbedingte (personenbedingte) Kündigung kann bei langandauernder Krankheit oder aber auch bei häufigen Kurzerkrankungen ausgesprochen werden. An die Wirksamkeit einer solchen Kündigung stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen. Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang vor allem die Erforderlichkeit eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun zu entscheiden, welche Bedeutung dieses Verfahren für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses hat (BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08). Die praxisrelevante Entscheidung und ihre wesentlichen Kernaussagen möchten wir nachfolgend vorstellen.
Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):
Der beklagte Arbeitgeber betreibt ein Krankenhaus. Die klagende Arbeitnehmerin ist dort seit 1991 als Arbeiterin im „Zentralen Hausdienst“ beschäftigt.
Die Klägerin wies seit 2003 erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten auf. Im Jahre 2003 in fünf Intervallen an 37 Arbeitstagen, im Jahre 2004 in sieben Intervallen an 53 Arbeitstagen, im Jahre 2005 in 17 Intervallen an 96 Arbeitstagen und bis zum 26. Mai 2006 in fünf Intervallen an 33 Arbeitstagen. Der Arbeitgeber wandte in diesem Zeitraum insgesamt rund 21.400,00 € an Entgeltfortzahlungskosten auf.
Mit der Klägerin kam es in den Jahren 2004 und 2005 zu mehreren „Fehlzeitengesprächen“. Die Betriebsärztin empfahl eine Reduzierung der Arbeitszeit oder eine Versetzung in die Bettenzentrale. Beide Alternativen lehnte die Arbeitnehmerin seinerzeit ab.
Der die Klägerin behandelnde Facharzt für Orthopädie schlug eine stufenweise Wiedereingliederung vor, die von dem Arbeitgeber abgelehnt wurde. Der Betriebsärztliche Dienst bescheinigte unter anderem, dass die Ursache der Fehlzeiten nicht an der Beschaffenheit des Arbeitsplatzes liege. Ferner wurde eine stationäre Reha-Maßnahme empfohlen, die von der Klägerin wegen der Betreuung ihrer Kinder ebenfalls abgelehnt wurde.
Schließlich kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus krankheitsbedingten Gründen zum 31. Dezember 2006 wegen erheblicher Fehlzeiten.
Die Klägerin stützte ihre Kündigungsschutzklage unter anderem darauf, ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) sei nicht durchgeführt worden.
Arbeitsgericht und auch Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
I. BEM keine Wirksamkeitsvoraussetzung
Die Durchführung des BEM ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Das bloße Unterlassen eines BEM führt daher nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit einer Kündigung.
Hinweis für die Praxis:
Mit Hilfe des BEM können aber mildere Mittel als eine Kündigung ermittelt werden. Als mildere Mittel kommen z.B. eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz in Betracht. Allerdings muss stets hinzukommen, dass überhaupt Möglichkeiten einer alternativen Weiterbeschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten.
II. Fehlendes BEM: Folgen für die Darlegungs- und Beweislast
Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass der Arbeitgeber sich bei einem unterlassenen BEM dadurch keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen darf. In diesem Fall darf sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung noch einnehmen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz ausscheiden. Erst dann ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung vorstellt.
Hinweis für die Praxis:
Die Darlegungs- und Beweislast wird also im Falle eines vollständig unterlassenen BEM umgedreht. Zunächst muss der Arbeitgeber substantiiert vortragen; erst dann muss sich der Arbeitnehmer hierzu einlassen und qualifiziert erwidern.
III. Gesetzliche Mindestanforderungen an ein BEM
Die Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB IX enthält keine näheren gesetzlichen Ausgestaltungen des BEM. Gleichwohl lassen sich nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den gesetzlichen Zielen des BEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des BEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist und ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden.
1. Negatives Ergebnis des BEM
Hat das BEM zu einem negativen Ergebnis geführt, genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast, wenn er auf diesen Umstand hinweist und behauptet, es bestünden keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten.
2. Positives Ergebnis des BEM
Hat das BEM hingegen zu einem positiven Ergebnis geführt, ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die empfohlene Maßnahme, soweit dies in seiner alleinigen Macht steht, vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung als milderes Mittel umzusetzen. Kündigt er, ohne sie umgesetzt zu haben, muss er im Einzelnen und konkret darlegen, warum die Maßnahme entweder trotz Empfehlung undurchführbar war oder selbst bei einer Umsetzung diese keinesfalls zu einer Vermeidung oder Reduzierung von Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt hätte.
IV. Kündigungsandrohung erforderlich!
Kommt es im Rahmen des BEM zu einer empfohlenen Rehabilitationsmaßnahme, muss der Arbeitgeber die Einwilligung des Arbeitnehmers einholen bzw. den Arbeitnehmer zur Durchführung der Maßnahme auffordern. Dazu kann er dem Arbeitnehmer dann eine Frist setzen.
Aber: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer dabei deutlich darauf hinweisen, dass er im Weigerungsfall mit einer Kündigung rechnen muss. Lehnt der Arbeitnehmer die Maßnahme dennoch ab oder bleibt er trotz Aufforderung untätig, braucht der Arbeitgeber die Maßnahme vor Ausspruch der Kündigung nicht mehr als milderes Mittel berücksichtigen.
Fazit:
Das BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX sollte vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung immer (!) durchgeführt werden. Nur so wird vermieden, dass sich Arbeitnehmer im Prozess auf das unterlassene BEM berufen. Kündigungen können hieran scheitern. Zudem dreht sich die Darlegungs- und Beweislast erheblich zu Lasten des Arbeitgebers um, wenn kein BEM durchgeführt wird. Alle Maßnahmen des BEM sollten zu Beweiszwecken genau dokumentiert werden. Die zuständigen Stellen, insbesondere die Betriebsvertretungen, die Schwerbehindertenvertretung, Rehabilitationsträger oder Integrationsämter, sind zu beteiligen, um den gesetzlichen Mindestanforderungen des BEM zu genügen.
Auszeichnungen
-
TOP-Wirtschaftskanzlei für Arbeitsrecht(FOCUS SPEZIAL 2024, 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht(WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen(WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)
-
TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen(WirtschaftsWoche 2023, 2020)
Autor
UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME
UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME
Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.