06.09.2010

§ 17 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 bewirkt eine unzulässige unechte Rückwirkung soweit die Beteiligung im Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung am 31. März 1999 bereits bestand.

Die 10 %ige Beteiligungsquote des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Mit Beschluss vom 19. August 2010 (Az.: 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass § 17 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 wegen des Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes teilweise verfassungswidrig ist. Die Herabsetzung der Beteiligungsquote auf 10 % als solche sei allerdings verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, so die Pressemitteilung vom 19. August 2010.

Nach der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Rechtslage unterlagen die Gewinne aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft der Einkommensbesteuerung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG, wenn der Steuerpflichtige innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor der Veräußerung zu mehr als 25 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt war. Es genügte, wenn die 25 %ige Beteiligungsquote zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb des Fünf-Jahreszeitraums überschritten wurde. Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 senkte der damalige Gesetzgeber die Beteiligungsquote auf 10 % herab. Die Gesetzesänderung trat mit Wirkung zum 31. März 1999 in Kraft.

Nach der Übergangsregelung des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG galt die Neuregelung ab dem Veranlagungszeitraum 1999, bezog aber gleichzeitig, d. h. rückwirkend, auch Beteiligungsverhältnisse in den Anwendungsbereich der neuen 10 %igen Wesentlichkeitsgrenze ein, wenn das Beteiligungsverhältnis bereits vor dem 31. März 1999 begründet worden war.

Der Streitfall

In den entschiedenen Streitfällen hielten die Beschwerdeführer jeweils Beteiligungen an einer GmbH unterhalb der 25 %igen, jedoch oberhalb der 10 %igen Wesentlichkeitsgrenze. In einem Fall übertrug die Beschwerdeführerin noch im Jahr 1998 einen Teil ihrer Geschäftsanteile auf ihren Ehemann. Ihre Beteiligungsquote sank dadurch bereits 1998 unter 10 %. In den anderen Fällen veräußerten die Beschwerdeführer ihre Geschäftsanteile teilweise unmittelbar vor, teilweise erst nach der Verkündung der Neuregelung. Das beklagte Finanzamt wandte in allen Fällen die 10 %ige Wesentlichkeitsgrenze an und unterwarf die erzielten Veräußerungsgewinne der Besteuerung. Hiergegen richteten sich die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer.

Die Entscheidungsgründe

Das BVerfG verneint eine unzulässige „echte“ Rückwirkung der Regelung des 17 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002, bejaht jedoch das Vorliegen einer „unechten“ Rückwirkung, soweit die Beteiligung im Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung am 31. März 1999 bereits bestand, weil die Anwendung der herabgesetzten Beteiligungsquotengrenze insoweit an einen zurückliegenden Sachverhalt anknüpfe. Dies sei zwar grundsätzlich nicht unzulässig, mit den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes aber nur vereinbar, wenn die Rückanknüpfung zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Diese Voraussetzungen liegen nach der Ansicht des BVerfG allerdings nur teilweise vor.

Soweit sich der einkommensteuerliche Zugriff auf die erst nach der Verkündung der Neuregelung des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG eingetretenen Wertsteigerungen beschränke, begegne die Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies gelte auch, wenn die entsprechenden Wertsteigerungen nach Maßgabe des alten Rechts steuerfrei gewesen seien. Denn die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründe keine (vertrauens-)rechtlich geschützte Position. Mit Wertsteigerungen könne im Zeitpunkt des Erwerbs nicht sicher gerechnet werden, so dass auch die enttäuschte Hoffnung auf künftige steuerfreie Vermögenszuwächse nicht als Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte zu bewerten sei.

Die Anwendung der herabgesenkten Wesentlichkeitsgrenze verstoße aber gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und sei nichtig, soweit ein im Zeitpunkt der Verkündung bereits eingetretener Wertzuwachs der Besteuerung unterworfen werde, der nach der zuvor geltenden Rechtslage bereits steuerfrei realisiert worden sei oder zumindest bis zur Verkündung steuerfrei hätte realisiert werden können, weil die alte Wesentlichkeitsgrenze von 25 % nicht überschritten war. Insoweit sei bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch die rückwirkende Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze nachträglich entwertet werde.

Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, die nachträgliche einkommensteuerrechtliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, bestehen nach der Ansicht des BVerfG nicht.

Die vollständige Pressemitteilung kann unter http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-065.html eingesehen werden.

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