05.02.2001

Der Bundesgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich jede Vereinbarung, in der für die Zeit nach Ehescheidung auf Unterhaltsansprüche verzichtet worden ist, als nicht sittenwidrig angesehen, auch wenn ein Ehegatte gemeinsame Kinder betreute und deshalb kein oder nur geringes Einkommen haben konnte; allenfalls in ganz besonderen Ausnahmefällen sollte ein solcher Verzicht unwirksam sein können. Der Bundesgerichtshof hat allerdings erklärt, auf den Unterhaltsverzicht könne man sich, obwohl er wirksam sei, unter Umständen nicht berufen, nämlich, wenn ansonsten der die Kinder betreuende Elternteil für sich nicht einmal einen Betrag in Höhe des sogenannten Mindestunterhalts von zurzeit 1.300 bis 1.500 DM monatlich zur Verfügung habe. Dies hat im Ergebnis dazu geführt, dass praktisch jeder Unterhaltsverzicht wirksam war und bei Kinderbetreuung im äußersten Fall für einen gewissen Zeitraum monatlich 1.300 bis 1.500 DM gezahlt werden mussten.

Mit Urteil vom 6. Februar 2001 hat das Bundesverfassungsgericht dieser allgemeinen Rechtsprechung den Boden weggezogen für den Fall, dass in dem Vertrag „eine erkennbar einseitige Lastenverteilung zu Ungunsten der Frau“ erfolgt ist und der Vertrag „vor der Ehe und im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft geschlossen worden“ ist. Es hat die Familienrichter verpflichtet, in jedem solchen Einzelfall zu prüfen, ob ein Ehevertrag mit durch das Grundgesetz geschützten Werten zu vereinbaren ist.

In der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts heißt es u.a.:

Bei besonders einseitiger Lastenverteilung und einer erheblich ungleichen Verhandlungsposition der Vertragspartner muss das Recht jedoch auf die Wahrung der Grundrechtspositionen beider Vertragspartner hinwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in Fremdbestimmung verkehrt. Dies gilt auch für Eheverträge. Der Staat hat der Freiheit der Ehegatten, ihre ehelichen und rechtlichen Beziehungen durch Vertrag zu gestalten, dort Grenzen zu setzen, wo der Vertrag nicht Ausdruck und Ergebnis gleichberechtigter Lebenspartnerschaft ist, sondern eine einseitige Dominanz eines Ehepartners widerspiegelt. …. Enthält ein Ehevertrag eine erkennbar einseitige Lastenverteilung zu Ungunsten der Frau und ist er vor der Ehe und in Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft geschlossen worden, gebietet auch der Anspruch der werdenden Mutter auf Schutz und Fürsorge aus Art. 6 Abs. 4 GG eine besondere richterliche Inhaltskontrolle des Vertrages. Eine Situation von Unterlegenheit ist regelmäßig anzunehmen, wenn eine nicht verheiratete Frau schwanger ist und sich vor die Alternative gestellt sieht, in Zukunft entweder allein für das erwartete Kind Verantwortung und Sorge zu tragen oder durch Eheschließung den Vater in die Verantwortung einzubinden, wenn auch um den Preis eines mit ihm zu schließenden, sie aber stark belastenden Ehevertrages. … Schwangerschaft bei Abschluss eines Ehevertrages ist allerdings nur ein Indiz für ein vertragliches Ungleichgewicht. Die Vermögenslage der Schwangeren, ihre berufliche Qualifikation und Perspektive sowie die von den zukünftigen Eheleuten geplante Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit in der Ehe müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Im Einzelfall können diese Umstände die dargelegte Unterlegenheit ausgleichen, auch wenn die Frau im Ehevertrag auf gesetzlich garantierte Rechte verzichtet.

Bringt aber auch der Inhalt eines Ehevertrags eine solche Unterlegenheitsposition der Schwangeren zum Ausdruck, wird die Schutzbedürftigkeit offenkundig. Dies ist der Fall, wenn der Vertrag sie einseitig belastet und ihre Interessen keine angemessene Berücksichtigung finden. Ob dem so ist, hängt wesentlich auch von der Lebensplanung der Ehepartner ab. Soll danach einer der Eheleute sich im Wesentlichen der Kinderbetreuung und Haushaltsführung widmen, bedeutet ein Verzicht auf nachehelichen Unterhalt eine Benachteiligung dieser Person.

Im konkreten Fall war es so gewesen, dass die – spätere – Ehefrau schon vor der Heirat ein Kind hatte und nun erneut schwanger war. Der – spätere – Ehemann hatte die Heirat offenbar davon abhängig gemacht, dass ein Ehevertrag abgeschlossen wurde und darin auf Unterhalt für die Zeit nach einer Scheidung verzichtet wurde; außerdem musste sich die werdende Mutter verpflichten, dafür zu sorgen, dass der Vater nicht mehr als 150 DM (!) Kindesunterhalt zu zahlen brauchte. Diese Gesamtregelung hat das Bundesverfassungsgericht als unerträglich und damit als sittenwidrig angesehen mit der Folge, dass die Vereinbarung unwirksam ist.

In Zukunft wird also sehr viel mehr als bisher zu prüfen sein, ob ein Unterhaltsverzicht tatsächlich wirksam ist, wenn er vor der Ehe abgeschlossen worden ist und die – spätere – Ehefrau bereits schwanger war; die allgemeine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird nicht mehr reichen, eine Einzelfallprüfung muss in solchen Fällen erfolgen.

Zu sonstigen Fällen des Unterhaltsverzichts hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht geäußert und insbesondere nicht erklärt, Verzichtsvereinbarungen seien generell unwirksam. Hier ging es um einen extremen Fall, bei dem die besonders verwerfliche Regelung zum Kindesunterhalt letztlich wesentliche Bedeutung gehabt haben dürfte. Es ist allerdings möglich, dass in Zukunft Gerichte eher als bisher zur Unwirksamkeit eines Unterhaltsverzichts kommen werden, wenn Umstände vorliegen, die in den Worten des Bundesverfassungsgerichts eine besondere Unterlegenheit des schwächeren Partners bei Vertragsabschluss erkennen lassen, so dass der Vertrag gewissermaßen als Ergebnis einer Nötigung oder Erpressung erscheint.

Verfasser: Rechtsanwalt Rainer Bosch

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