07.06.2009 -

 

Die Berufungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.2.2009 – 7 Sa 2017/08) zu der Unterschlagung von Pfandbons durch eine Kassiererin im Wert von 1,30 € hat bundesweit für Aufregung gesorgt. Die geäußerte Kritik war teilweise erheblich („asoziales Urteil“). Wir möchten die erhebliche Medienwahrnehmung zum Anlass nehmen, das Urteil hier einmal vollständig darzustellen. Dabei wird sich zeigen, dass die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht abweicht und auch der tatsächliche Sachverhalt in der Presse nur unvollständig wiedergegeben wurde.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

In dem Rechtsstreit streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, die der beklagte Arbeitgeber gegenüber der klagenden Arbeitnehmerin wegen des Verdachts, diese habe zwei von einer Kollegin gefundene Leergutbons im Wert von insgesamt 1,30 € bei einem Einkauf zum eigenen Vorteil eingelöst, erklärt hat.

In der Filiale, in der die Klägerin arbeitet, steht für die Rückgabe von Leergut ein Flaschenautomat bereit. Die dort ausgedruckten Pfandbons werden beim Einlösen durch Kunden an der Kasse von der Kassiererin mit der Hand abgezeichnet.

Sofern die Mitarbeiter der Filiale Leergut abgeben wollen, müssen sie dieses nach einer Anweisung des Beklagten zunächst bei Betreten der Filiale dem Filialverantwortlichen vorzeigen und später den Pfandbon von diesem abzeichnen lassen, bevor sie ihn an der Kasse abgeben. Beim Einlösen an der Kasse werden die Leegutbons der Mitarbeiter von der Kassiererin ein zweites Mal abgezeichnet.

Am 12. Januar 2008 fand eine Kollegin der Klägerin, die Zeugin K., im Kassenbereich zwei noch nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 € und 0,82 €. Beide Pfandbons trugen das Datum 12. Januar 2008 und waren zu unterschiedlichen Zeiten am Automaten erstellt worden. Die Zeugin K. übergab die Bons dem Marktleiter. Dieser gab sie an die Klägerin zur Verwahrung weiter, falls ein Kunde sie für sich reklamieren sollte. Andernfalls sollten die Pfandbons später als Fehlbons bei der Leergutabrechnung verbucht werden. Die Klägerin legte die Pfandbons in das allen Mitarbeitern zugängliche Kassenbüro.

Am 22. Januar 2008 überreichte die Klägerin bei einem Einkauf in ihrer Filiale nach Ende ihrer Arbeitszeit gegen 14.45 Uhr zwei Leergutbons, die von der Kassiererin im Kassensystem registriert wurden. Sie sind im E-Journal anhand der Eingabenummern als eingescannt ausgewiesen, mit den Werten 0,48 € und 0,82 € aufgeführt und haben den von der Klägerin für den Einkauf zu zahlenden Preis um 1,30 € reduziert. In einer schriftlichen Erklärung vom 13. Dezember 2008 gab die diese Pfandbons entgegennehmende Kassiererin unter anderem an, die beiden Bons der Klägerin hätten das Datum 12. Januar 2008 getragen und seien nicht abgezeichnet gewesen.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob es sich bei den von der Klägerin überreichten Bons um die beiden am 12. Januar 2008 gefundenen Leergutbons handelt. In der Folgezeit kam es zu verschiedenen Personalgesprächen. Die Klägerin gab als eine Möglichkeit für den Besitz der beiden Pfandbons an, dass ihre Töchter Zugang zu ihrer Geldbörse hätten. Ferner behauptete sie, die Leergutbons seien nicht am 12. Januar 2008 gefunden worden, vielmehr habe sich dieser Sachverhalt bereits im September / Oktober 2007 abgespielt. Die von ihr eingelösten Pfandbons hätten auch von Kollegen oder Kolleginnen in ihre Geldbörse gelegt worden sein können. Die Kündigung sei ausgesprochen worden, um sie als letzte Streikteilnehmerin der Filiale an dem von ver.di für den Einzelhandel organisierten Streik aus dem Betrieb der Beklagten zu entfernen. Der Arbeitgeber habe ihr mit den Pfandbons „eine Falle gestellt“. Es müsse von einer Manipulation des Kassenvorgangs zu ihren Lasten ausgegangenen werden.

Das Arbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen.

 

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das LAG die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

 

I. Ständige Rechtsprechung des BAG

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG, dass vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Vermögensdelikte regelmäßig geeignet sind, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer, der im Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung strafrechtlichrelevante Handlungen gegen das Vermögen seines Arbeitgebers begeht (z.B. Diebstahl oder Unterschlagung), verletzt damit seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht schwerwiegend und missbraucht das ihm gesetzte Vertrauen in erheblicher Weise. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die rechtswidrige Verletzungshandlung nur Sachen von geringem Wert betrifft. Das Eigentum des Arbeitgebers kann nach der Rechtsprechung auch nicht zu einem Bruchteil zur Disposition der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer stehen.

Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung schon im Jahr 1984 mit der berühmten „Bienenstich-Entscheidung“ bekräftigt, bei der der in der Cafeteria eines Kaufhauses beschäftigten Buffetkraft wegen Verzehrs eines Stücks Kuchen ohne Bezahlung fristlos gekündigt wurde. Im Fall eines ICE-Zugbegleiters im Boardrestaurant, der eine Schinkenpackung aus dem Boardrestaurant eingesteckt hat, wurde diese Rechtsprechung nochmals bestätigt. Aus der aktuellen Rechtsprechung ist auf eine Entscheidung des LAG Köln hinzuweisen, in der ein Verkäufer aus dem Baumarkt zwei Kartons fehlerhafte Fliesen entwendete. Das LAG Rheinland-Pfalz hat die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters, der 12 Kinderzahnbürsten aus einem Karton für Ausschussware an sich genommen hat, zugelassen.

 

Hinweis für die Praxis:

Das Urteil des LAG Brandenburg fügt sich damit in die ständige Rechtsprechung des BAG und auch der Instanzgerichte ein. Die Prüfung erfolgt dabei stets in zwei Schritten: Auf der ersten Stufe wird der wichtige Grund zum Ausspruch der fristlosen Kündigung an sich geprüft. Im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung (zweite Stufe) wird dann festgestellt, ob im konkreten Einzelfall dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann.

 

II. Verdachtskündigung

Die Rechtsprechung lässt für die fristlose Kündigung und den wichtigen Grund (erste Stufe) nicht nur die erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon den schwerwiegenden Verdacht einer solchen Verfehlung als wichtigen Grund ausreichen. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines nicht erwiesenen strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Eine Verdachtskündigung ist zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen begründen, diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

 

Hinweis für die Praxis:

An eine fristlose Verdachtskündigung sind höchste Anforderungen zu stellen. Nur wenn sich die Verdachtsmomente zwingend auf eine bestimmte Person zuspitzen, kann im Ausnahmefall fristlos gekündigt werden. Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verdachtskündigung ist dabei stets die konkrete Anhörung des Arbeitnehmers zu den Vorwürfen.

 

Fazit:

Die vorgenannten Voraussetzungen lagen im konkreten Rechtsstreit vor. Im Rahmen der ersten Prüfungsstufe wurde der wichtige Grund bejaht. Bei der konkreten Interessenabwägung (zweite Stufe) musste zugunsten der Klägerin ihre mehr als 31-jährige Betriebszugehörigkeit berücksichtigt werden ebenso wie die Tatsache, dass die Pflichtwidrigkeit bei dem beklagten Arbeitgeber keinen nennenswerten finanziellen Schaden hervorgerufen hat. Der Betrag von 1,30 € ist in der Tat gering und fällt für sich genommen nicht ins Gewicht.

Maßgeblich ist aber in diesen Fällen der eingetretene Vertrauensverlust in die Redlichkeit des Arbeitnehmers. Im Einzelhandel darf der Arbeitgeber bei seinen Reaktionen auf Vermögensdelikte auch präventive Gesichtspunkte beachten. Gerade von einer Kassiererin wird eine absolute Zuverlässigkeit und Korrektheit im Umgang mit der Kasse, bei den Buchungen, mit dem Geld, Leergutbons oder sonstigen Bons erwartet. Ein Arbeitgeber muss sich darauf verlassen dürfen, dass sich die bei ihm beschäftigten Kassierer stets korrekt verhalten und es auch nicht bei kleineren Beträgen zu Unregelmäßigkeiten kommen lassen.

Zu Lasten der Klägerin musste ferner berücksichtigt werden, was den eingetretenen Vertrauensverlust erheblich verstärkte, dass die Klägerin im Rahmen der Aufklärung nicht nur das Einlösen der beiden Pfandbons beharrlich geleugnet und Dritte als mögliche Quelle für die Leergutbons benannt hat. Zudem hatte sie mehrfach versucht, den Verdacht auf andere Mitarbeiter abzuwälzen, was sich in der Beweisaufnahme als unhaltbar erwiesen hat.

Die Entscheidung mag auf den ersten Blick hart erscheinen. Sie ist aber zutreffend und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. In den Medien war nun zu lesen, dass die Klägerin gleichzeitig Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG und Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht eingelegt hat.

 

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