18.06.2009 -

 

Das Bundesarbeitsgericht hat in den so genannten Eingliederungsfällen einen Betriebsübergang immer dann verneint, wenn der Betrieb oder Betriebsteil zerschlagen und vollständig in die Organisationsstruktur des Erwerbers eingegliedert wurde (BAG, Urt. v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04). Die arbeitsrechtliche Literatur hat sich dieser Rechtsprechung des BAG angeschlossen. Der EuGH hat nun im Rahmen eines Vorlageverfahrens durch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG Düsseldorf, EuGH-Vorlage vom 10.8.2007 – 9 Sa 303/07) entschieden, dass die Eingliederung der erworbenen Produktionsfaktoren in die eigene Arbeitsorganisation des Betriebserwerbers einem Betriebsübergang nicht zwingend entgegensteht (EuGH, Urt. v. 12.2.2009 – C-466/07, Klarenberg ./. Ferrotron Technologies). Die für die betriebliche Praxis äußerst bedeutsame Entscheidung möchten wir nachfolgend vorstellen:

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Im Verfahren vor dem EuGH werden die Prozessparteien, anders als im deutschen Recht, namentlich benannt und auch veröffentlicht. Der klagende Arbeitnehmer, Herr Dietmar Klarenberg, war bei der ET Elektro Technologie-GmbH seit 1989 beschäftigt. Er hatte dort zuletzt die Funktion eines Abteilungsleiters für den Bereich Systeme/Netzwerk/IBS inne.

Bei dem Betriebsübernehmer, der Ferrotron Technologies GmbH, handelt es sich ebenfalls um ein Unternehmen, das auf die Entwicklung und Fertigung von Produkten im Bereich der Mess- und Regeltechnik für die Stahlindustrie spezialisiert ist. Im Jahre 2005 schlossen die ET GmbH und die Ferrotron GmbH einen Übernahmevertrag. Nach diesem Vertrag wurde u.a. auch die Abteilung von Herrn Klarenberg übernommen. Die Ferrotron GmbH erwarb u.a. Rechte an der Software, den Patenten, den Patentanmeldungen und weiteren Erfindungen sowie an den Produktnamen und dem technischen Know-How. Aus der Abteilung des Herrn Klarenberg wurden drei Ingeneure sowie der stellvertretende Leiter übernommen. Herr Klarenberg wurde nicht von der Ferrotron weiterbeschäftigt.

Aus der Vorlageentscheidung geht ferner hervor, dass die vorgenannten Gegenstände und Produkte sowie die Angestellten in die eingerichtete Struktur von Ferrotron eingegliedert worden sind. Sie erledigten auch Aufgaben im Zusammenhang mit Produkten, die Ferrotron nicht von ET GmbH erworben hat.

Im Juli 2006 wurde über das Vermögen der ET GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Herr Klarenberg erhob Klage beim Arbeitsgericht Wesel, um seine Weiterbeschäftigung als Abteilungsleiter bei Ferrotron zu erreichen. Das Arbeitsgericht Wesel wies seine Klage mit Urteil vom 29. November 2006 ab. Gegen dieses Urteil legte Herr Klarenberg Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf  ein und beantragte, Ferrotron zu verurteilen, ihn als Abteilungsleiter zu den Bedingungen des am 1. Januar 1989 mit ET geschlossenen Arbeitsvertrages weiterzubeschäftigen.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist der Auffassung, dass es sich bei der von Herrn Klarenberg geleiteten Abteilung um einen Betriebsteil im Sinne von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB handele, der wegen des Erwerbs der wesentlichen materiellen Betriebsmittel sowie der darauf bezogenen Kunden- und Lieferantenliste und der Übernahme eines Teils der in dem Betriebsteil beschäftigten Know-How-Träger durch Ferrotron sowie des Erwerbs der Rechte an den wesentlichen Produkten und Technologien auf Ferrotron übergegangen sei. Unter Bezug auf die Rechtsprechung des BAG, wonach ein Betriebsteilübergang dann ausscheide, wenn der Erwerber den Betriebsteil nicht im Wesentlichen unverändert und unter Wahrung seiner Identität fortführt, hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die im Leitsatz beantwortete Frage (abgedruckt in Fußnote 3) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

 

Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat die Rechtsprechung des BAG nicht bestätigt.

 

I. Wahrung der wirtschaftlichen Identität

Der Betriebsübergang muss die in der Richtlinie 2001/23 festgelegten Voraussetzungen erfüllen, nämlich auf eine „wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit“ bezogen sein, die nach dem Übergang ihre Identität bewahrt.

Diese Wahrung der Identität setzt aber nicht voraus, dass das die Gesamtheit von Personen und/oder Sachen vereinende organisatorische Band nach dem Betriebsübergang erhalten bleibt. Dies würde nach Auffassung des EuGH nämlich dazu führen, dass die Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/23 auf diesen Unternehmens- oder Betriebsteil allein deshalb ausgeschlossen wäre, weil sich der Erwerber entschließt, den erworbenen Unternehmens- oder Betriebsteil aufzulösen und in seine eigenen Strukturen einzugliedern, wodurch den betreffenden Arbeitnehmern der von dieser Richtlinie gewährte Schutz aber vorenthalten würde.

Maßgeblich ist die Verfolgung der wirtschaftlichen Tätigkeit und nicht allein das Merkmal der Organisation der übertragenen Einheit.

 

II. Voraussetzung aber funktionelle Verknüpfung

Der EuGH verwirft damit die Eingliederungstheorie des BAG. Dennoch müsse eine „funktionelle Verknüpfung der Wechselbeziehung und der gegenseitigen Ergänzung“ zwischen den verschiedenen übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten werden. Diese funktionelle Verknüpfung müsse es dem Erwerber erlauben, derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen.

 

Hinweis für die Praxis:

Die Entscheidung liest sich an dieser Stelle äußerst sperrig. Wir verstehen die Ausführungen dahingehend, dass ein Betriebsübergang dann nicht vorliegt, wenn der Erwerber die erworbenen Produktionsfaktoren nicht mehr einsetzt, wenn also diese Produktionsfaktoren auch nicht mehr zusammenwirken können. Eine gewisse verknüpfende Beziehung muss also zwischen den erworbenen Produktionsfaktoren bzw. Sachmitteln bestehen bleiben, auch wenn diese nicht ihre ursprüngliche organisatorische Einheit beibehalten. Werden also diese Produktionsfaktoren zur Erreichung eines anderen wirtschaftlichen Zwecks oder einer anderen wirtschaftlichen Tätigkeit eingesetzt, scheidet ein Betriebsübergang weiterhin zukünftig aus.

 

III. Auswirkungen für die Praxis

Die Bedeutung der Entscheidung des EuGH kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gerade die von dem BAG anerkannten Eingliederungsfälle führten in der Praxis oftmals zu Gestaltungen, die einen Betriebsübergang ausgeschlossen haben. Diese Gestaltungsvarianten sind grundsätzlich nicht mehr möglich. Die Gestaltungsspielräume werden daher weiter eingeschränkt. Gliedert der Erwerber den Betrieb bzw. Betriebsteil vollständig in die eigene Arbeitsorganisation ein, liegt nunmehr ebenfalls regelmäßig ein Betriebsübergang vor. Nur wenn keinerlei Zusammenhang mehr mit der ursprünglichen Tätigkeit besteht und auch keine funktionelle Verknüpfung zwischen den erworbenen Produktionsfaktoren besteht, ist ein Betriebsübergang ausgeschlossen. Leider sind diese sehr abstrakten Vorgaben für die Praxis nur schwer umzusetzen und von dem EuGH in seiner Entscheidung auch nicht mehr konkretisiert und definiert worden.

 

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