01.07.2009 -

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führt der Grundsatz der Tarifeinheit dazu, dass eine Tarifpluralität nach dem Grundsatz der Spezialität gelöst wird (BAG, Urt. v. 20.3.1991 – NZA 1991, 736). Diese ständige Rechtsprechung hat der 4. Senat des BAG jetzt in Teilen aufgegeben. Bei einer rein individualvertraglichen Bezugnahme eines Tarifvertrages und fehlender Tarifbindung kommt die Auflösung einer Tarifpluralität nach dem tarifrechtlichen Spezialitätsgrundsatz nicht in Betracht (BAG, Urt. v. 22.10.2008 – 4 AZR 784/07, NZA 2009, 151). Die neue Rechtsprechung ist in der Praxis nunmehr anzuwenden und insbesondere bei Verbandswechsel des Arbeitgebers oder im Fall eines Betriebsübergangs dringend zu beachten.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Die Parteien streiten darüber, welches Tarifwerk auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Die Klägerin ist seit Juli 1991 als Vollzeitbeschäftigte bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt und gewerkschaftlich nicht organisiert. Der bei Einstellung abgeschlossene Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 2

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem BAT-O (Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen sowie nach den für Angestellte des Arbeitgebers im Gebiet nach Art. des Einigungsvertrages jeweils geltenden sonstigen Regelungen.“

Der Arbeitgeber war vom 3. Mai 1991 bis einschließlich des 31. Dezember 2004 Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband Thüringen. Mit Wirkung zum 1. Januar 2005 trat er der Tarifgemeinschaft Thüringen e.V. – PATT – bei. Der PATT hatte mit der Gewerkschaft öffentlicher Dienst und Dienstleistungen bereits am 8. Dezember 2003 einen zum 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Rahmentarifvertrag geschlossen.

Der Klägerin wurde im Dezember 2004 ein Arbeitsvertragsentwurf angeboten, der ab dem 1. Januar 2005 wie folgt lauten sollte:

„§ 1 Inhalt und Beginn des Arbeitsverhältnisses

… Das Arbeitsverhältnis regelt sich nach den Vorschriften der Tarifverträge der P Tarifgemeinschaft Thüringen e.V. vom 8. Dezember 2003 und deren ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen.“

Die Klägerin unterzeichnete diesen Entwurf nicht. Sie war nicht bereit, die sich u.a. hieraus ergebenden Entgeltkürzungen zu akzeptieren. Dennoch wurde sie ab dem Monat Januar 2005 nach den Regelungen des Tarifwerkes der PATT abgerechnet.

Mit ihrer Klage verfolgte sie die Feststellung, dass auf das Arbeitsverhältnis weiterhin der BAT-O in der ursprünglich vereinbarten vertraglichen Fassung Anwendung finde.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

 

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidung der Vorinstanzen bestätigt. Das Arbeitsverhältnis richtet sich weiterhin nach dem BAT-O.

 

I. Gleichstellungsabrede

Bei der Regelung in § 2 des Arbeitsvertrages handelt es sich um eine dynamische Verweisung auf den BAT-O. Bei dieser Verweisungsklausel handelt es sich um eine so genannte Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des BAG, nach welcher eine in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten und vor dem 1. Januar 2002 geschlossenen Arbeitsvertrag enthaltene Verweisung auf ein Tarifwerk, an das der Arbeitgeber selbst gebunden ist, regelmäßig die Gleichstellung der bei ihm beschäftigten nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer mit den Tarifgebundenen bezweckt ist.

Bei dem hier noch gegebenen Altvertrag hat dies zur Folge, dass die vertragliche Anbindung an die dynamische Entwicklung der tariflich geregelten Arbeitsbedingungen endet, wenn sie tarifrechtlich auch für einen tarifgebundenen Arbeitnehmer endet. Dies ist im vorliegenden Rechtsstreit durch den Austritt des Arbeitgebers aus dem zuständigen Arbeitgeberverband eingetreten. Der Gleichstellungsgehalt einer solchen Vereinbarung ist nach dieser Rechtsprechung auf den Zusammenhang zwischen der Dynamik der Bezugnahme und der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an die bezeichneten Tarifverträge beschränkt.

 

Hinweis für die Praxis:

Die alte Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede gilt nur noch für Arbeitsverhältnisse, die vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossen worden sind. Für Neuverträge greifen allein die neuen Regeln des BAG (BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05).

 

II. Keine Tarifwechselklausel

Das BAG hat weiter geprüft, ob es sich bei der in § 2 des Vertrages vereinbarten Bezugnahme um eine so genannte Tarifwechselklausel handelt und dies verneint. § 2 des Arbeitsvertrages verweist auf den BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge. Zu „diesen“ Tarifverträgen zählen aber nicht die Tarifverträge des PATT. Es handelt sich nicht um Tarifverträge, die im Sinne von § 2 des Arbeitsvertrages an die Stelle des BAT-O getreten sind. Auch die Formulierung „… jeweils geltenden sonstigen Regelungen“ ändert hieran nichts. Die Bezugnahmeklausel bezieht sich allein auf solche Regelungen, die als „sonstige Regelungen“ über die im BAT-O getroffenen Regelungen hinaus und regelmäßig neben ihm gelten und nicht auf Tarifverträge, die von anderen Tarifvertragsparteien abgeschlossen und dieselben Regelungsbereiche an dessen Stelle regeln.

 

III. Große dynamische Verweisung aber vertraglich regelbar

Die Bezugnahme auf das Tarifwerk einer bestimmten Branche kann über ihren Wortlaut hinaus nur dann als große dynamische Verweisung – also Bezugnahme auf den jeweils für den Betrieb fachlich bzw. betrieblich geltenden Tarifvertrag – ausgelegt werden, wenn sich dies aus besonderen Umständen ergibt. Von dem Typus der so genannten kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel bezieht sich die Dynamik allein auf das zeitliche Moment. Bei der großen dynamischen Verweisungsklausel oder auch Tarifwechselklausel wirkt sich die Dynamik zusätzlich in betrieblicher oder fachlicher Hinsicht aus.

Die Arbeitsvertragsparteien haben die Möglichkeit, die Rechtsfolge eines Tarifwechsels ausdrücklich zu vereinbaren. Dieser Wille kann aber nicht schlicht unterstellt werden. Arbeitnehmer können sich gezielt um eine Anstellung beim Arbeitgeber bemüht haben, der die Vorschriften des öffentlichen Dienstes anwendet, um diese tariflichen Arbeitsbedingungen zu erhalten.

 

Hinweis für die Praxis:

Den Umfang der Abrede bestimmen die Arbeitsvertragsparteien. Sie haben die Möglichkeit, auch für den Fall einer durch einen Verbandswechsel geänderten Tarifbindung des Arbeitgebers die Gleichstellung des Arbeitnehmers auf der Grundlage des dann einschlägigen neuen Tarifrechts zu wählen. Hierzu dient der spezielle Typus der Tarifwechselklausel. Bei der Formulierung von Arbeitsverträgen sollte man sich daher auf Arbeitgeberseite Klarheit darüber verschaffen, welche Klausel konkret sinnvoll ist und vereinbart werden soll.

 

IV. Grundsatz der Tarifeinheit gilt nicht bei vertraglicher Bezugnahme

Kommen in einem Betrieb oder Unternehmen mehrere Tarifverträge nebeneinander zur Anwendung, so genannte Tarifpluralität, wird nach dem Grundsatz der Spezialität oder Tarifeinheit der speziellere Tarifvertrag unter Verdrängung des anderen angewandt. Bereits seit geraumer Zeit geht die tarifrechtliche Literatur von einer Rechtsprechungsänderung des BAG aus, die den Grundsatz der Tarifeinheit aufgibt. Auch in der vorliegenden Entscheidung wird dies kurz angedeutet, dann aber ausdrücklich von dem 4. Senat offen gelassen, da es nicht zu entscheiden war.

Jedenfalls greift der Grundsatz der Tarifeinheit nicht, wenn es sich um die individualrechtliche Inbezugnahme eines Tarifvertrages handelt. Diese individualrechtliche Inbezugnahme führt nicht zu dessen tarifrechtlicher Geltung mit der Folge, dass seine Bestimmungen im Wege der Auflösung einer Tarifpluralität nach dem tarifrechtlichen Spezialitätsprinzip verdrängt werden könnten. Es handelt sich vielmehr (und allein) um eine einzelvertragliche Regelung von Arbeitsbedingungen. Es geht also nicht um die Konkurrenz zweier Normenverträge. Vielmehr gilt bei der Bindung an einen Tarifvertrag kraft einzelvertraglicher Bezugnahme das tarifrechtliche Günstigkeitsprinzip gem. § 4 Abs. 3 TVG. Fehlt es an der Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers, wie im vorliegenden Rechtsstreit, verbleibt es also bei der arbeitsvertraglichen Regelung. Die anders lautende Rechtsprechung des BAG aus dem Jahre 1991, wie im Leitsatz in Fußnote 1 zitiert, hat das BAG nunmehr ausdrücklich aufgegeben.

 

Hinweis für die Praxis:

Der gut begründeten Entscheidung ist zuzustimmen. Zwischen der einzelvertraglichen Vereinbarung und der tarifrechtlichen Geltung eines Tarifvertrages muss unterschieden werden. Die tarifrechtlichen Ablösungs- und Spezialitätsgrundsätze können für den Einzelvertrag nicht greifen. Dem Arbeitgeber stehen dennoch für diese Rechtsfolgen die notwendigen arbeitsvertraglichen Instrumentarien zur Seite. Sollen künftige Tarifwechsel auch für den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer gelten, muss eine große dynamische Bezugnahmeklausel bzw. eine so genannte Tarifwechselklausel vereinbart werden. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Arbeitgeber gezwungen, verschiedene Tarifverträge im Betrieb anzuwenden.

 

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